Filter Tapes 039„Dark River“ von DJ Dash

filter tapes 039

Steffen Korthals aka DJ Dash aus Dortmund hat uns Ende 2017 bereits ein Tape gemixt, damals anlässlich der Lecture „Detroit Techno, Aquanauten und die Politik des Dancefloors“, die er im Rahmen des „Afro-Tech Fests“ hielt. Dieses neue Filter Tape ist zugleich eine Fortsetzung des ersten Teils. Aber mehr wollen wir von redaktioneller Seite dazu gar nicht sagen, das überlassen wir dem auflegenden Kulturwissenschaftler selbst. Viel Spaß beim Lesen und Hören in irren Zeiten wünschen wir euch.

Ist der Dancefloor noch politisch? In den aktuellen Zeiten der Pandemie beantwortet die Schließung von Clubs diese Frage. Und zeigt, dass der Dancefloor in seiner Abwesenheit als ein gesellschaftliches Regulativ, als Ort der Transgression und Gegenort zu systemisch abgesteckten Räumen der Konzentration statt des Verströmens, als identitätsstiftende und körperbefreiende Stätte und realer statt nur virtueller Möglichkeitsraum für marginalisierte Meinungen und Menschen eben über das Hashtagballern hinaus sozial, politisch und wirtschaftlich entschieden fehlt. Zugleich zeigen sich in der Krise die neo-liberalistischen Zwänge, denen Clubkultur unterliegt. Der Dancefloor ist immer politisch.

Ist Clubmusik politisch? Per se, durch ihren Ort, ja, aber ist sie politisch genug? Eine oft gestellte Frage – zumeist von Köpfen, die ahnen, dass ihre geliebte Kultur und Musik nicht von grimmig drein blickenden, weißen Männern auf Schwarzweiß-DJ-Promofotos oder dem hiesigen Keta-Dealer erfunden worden ist, sondern etwas mit Blues, Disco, Riot und safe spaces zu tun haben könnte. Dennoch spielen oder produzieren nur wenige Tunes, die brennende soziale und politische Themen ausdrücklich in den Fokus des Dancefloors stellen.

Wie kann Clubmusik das Politisch-Soziale explizit zum Thema machen? Durch bestimmte Samples und Klänge und Lyrics oder durch intertextuelle Verweise, wie Cover, mediale Inszenierung und Wahrnehmung, Nachrichten in das Vinyl geritzt, oder durch die Offenlegung und Diskussion ihres politisch-künstlerischen Unterbaus?

DJ Dash

Foto: Jesmari Posa

Das neue Mixtape ist dieser Frage auf der Spur und bildet eine Art Fortsetzung zur politischen Clubmusik im Filter Tape 28, das im Rahmen der Lecture und Veröffentlichung von „Detroit Techno, Aquanauten und die Politik des Dancefloors“ erschienen ist. Der zweite Mix geht über Afrofuturismus, den Black Atlantic, alternative Narrationen, Alienation und Selbstermächtigung sowie Technikbenutzung gegen die Gebrauchsanleitung, Drexciya und Techno hinaus und wendet sich globalen, aktuellen Themen zu. Ohne dass damit gesagt werden soll, dass die Inhalte des Vorgängers nicht mehr akut seien. Verbindendes Element beider Mixe ist zudem, dass in ihnen die Utopie immer ihren politischen Gehalt behält, als Motor der Hoffnung und Veränderung.

Tracklist

  1. Pinch – Border Control – Berceuse Heroique (ca. 4:20 / in the mix)
  2. Viola Klein feat. Florent Kandety – Chant (A Passport And A Visa Stamped By The Holy Ghost EP) – Meakusma (ca. 2:00 / in the mix)
  3. Lamin Fofana – Black Metamorphosis – Sci-Fi & Fantasy (ca. 5:30 / in the mix)
  4. Baptisma – Hash#1 – Disk (ca. 6:00 / in the mix)
  5. Riddim Punks feat. Exco Levi – Stranger In Town (Gentleman’s Dub Club Remix) – Nice Up! (ca. 3:30 / in the mix)
  6. Gene Rondo – A Land Far Away – Soul Jazz (ca. 3:30 / in the mix)
  7. Lamin Fofana – I Sail The Dark River (Edit) – Sci-Fi & Fantasy (ca. 4:30 / in the mix)
  8. CVX – Invectors – Berceuse Heroique (ca. 3:40 / in the mix)
  9. Nazar feat. Shannen SP – Airstrike – Hyperdub (ca. 4:30 / in the mix)
  10. Response & Need For Mirrors – Ruins – Northern Front (ca. 7:00 / in the mix)
  11. Low End Activism – Muzikon 90 – Sneaker Social Club Dubplate (ca. 2:00 / in the mix)
  12. Response & Pliskin – Persecution – Western Lore (ca. 12:30 / in the mix)
  13. CVX – Every Tyrant In History – Berceuse Heroique (ca. 3:00 / in the mix)
  14. Louie Vega feat. Adeva – I Deserve To Breathe (Dub Mix) – Vega (ca. 4:00 / in the mix)
  15. Aly-Us – Follow Me – Strictly Rhythm (ca. 5:00 / in the mix)
  16. Carlos Garnett – Mother Of The Future – Muse (ca. 7:30 / in the mix)

Der neue Vinyl- und Dubplate-Mix setzt weniger auf Beatmatching, sondern mehr auf Sinneinheiten. Er besteht aus einer subjektiven Auswahl von Tracks, die nicht eine Definition von politischer Clubmusik sein wollen und keine Deutungshoheit beanspruchen. Los geht es mit der Grenzziehung. Der dunkle, harsche Sound von Pinchs „Border Control“, welcher Assoziationen an die konkrete Situation weckt, in denen sich Geflüchtete befinden. Das darauf folgende „Chant“ stammt aus Viola Kleins EP „A Passport and Visa Stamped by the Holy Ghost“. Die senegalesische Künstlerin Florent Kandety singt einen persönlichen, gebetsartigen Chant in einem Internet-Telefongespräch über die Grenzen hinweg. „Black Metamorphosis“ von Lamin Fofana bezieht sich auf Sylvia Wynters Manuskript „Black Metamorphosis: New Natives in a New World”, das als eine der wichtigsten Texte der black experience in der westlichen Hemisphäre gilt. Fofana versucht mit Sounds die Reise und Transformationsprozesse von afrikanischer Kultur im heutigen Europa zu skizzieren; „I sail the dark river“, wie ein weiteres Stück aus seiner aktuellen LP heißt, das später im Filter Tape auftaucht.

Von Baptisma stammt der nächste Track. Der japanische Künstler liebt Percussions und Referenzen auf Orte des Durchgangs. Große und kleine Trommel (siehe Karl Bruckmaier: „The Story of Pop“) begleiten die dunkle Reise. Auch die der Windrush Generation, worauf „Stranger in Town“ und „A Land Far Away“ im Mixtape verweisen. Die Verstrebungen von Kapitalismus, Geschichte und Ausbeutung sind Thema in CVX „Invectors“, das alleine im Titel schon das Wort Investor mit strukturellem Kontext verbindet. CVX arbeitet mit Sound an der Schnittstelle von Philosophie, Poesie und Literatur sowie Geschichte und Politik. Zeitlich weiter hinten im Mix ist auf „Every Tyrant in History“ ein Sprachsample aus einem Dialog zweier Philosophen zu hören, das die Zeilen „I hate the government“ loopt. CVXs EP „Zibaldone III Of CVX“ verweist deutlich auf Giacomo Leopardi, eben jenen Dichter, der mit Hilfe der Fantasie versucht, existentielle Fragen mit Ästhetik zu verbinden. Mit „Airstrike“ bleiben wir im Thema, nur dass die Klänge hier noch viel konkreter werden. Der Produzent mit angolanischen Wurzeln, Nazar, nimmt den Kuduro Angolas nach einem Besuch im Nachkriegsland und übersetzt ihn mit Tonaufnahmen aus einem Luftangriff zu etwas, was er „Rough Kuduro“ nennt. Angst, psychisches und physisches Trauma koppeln sich mit dem Geräusch von Bomben und Raketen, das Laden von Schusswaffen und den Lyrics „32 wives and their children / Only one room to stay hidden / Airstrike.“ Was bleibt sind Ruinen, welche Need For Mirrors & Response im nächsten Stück auf dem Tape beschreiben: menschliche, gesellschaftliche und globale. Einhergehend mit der Frage: Wie lange wird es eine Zukunft noch geben können? Das vielleicht wichtigste Drum-and-Bass-Stück der letzten Zeit leitet über zu Patrick Conway a.k.a. Low End Activist. Boxen und Bässen als Waffen gegen das System werden von ihm kombiniert mit den Themen UK Soundsystem-Kultur (hier: Muzikon Sound System 1988 mit Proto-Rave, Acid House, Breakbeats etc.), politischen Aufständen (hier: Blackbird Leys Riots in Oxford) sowie mit den sozialen Partizipationsmöglichkeiten auf den Dancefloors im Hardcore Continuum (MCs, Rewinds etc.). Der nächste Track folgt den Warehouse-Spuren. „Persecution“ von Response & Pliskin ist eine Mischung aus frühen UK-Rave-Stilen: Jungle meets UK Hardcore meets Techno mit politischer Nachricht. Darauf deuten auch Sprach-Samples sowie das Cover hin, ein Riot-Update des original Killing Joke Debutalbumdesigns.

Das Mixtape schließt mit dem Hoffnungsschimmer am Ende des „long dark tunnel“, dem Glauben, dass am Ende des ganzen Abfucks die Einladung und das Versprechen liegt, dass da ein Platz auf dem Dancefloor und in der Welt da draußen ist. Dass das Ergebnis des Kampfes um ein Atmen-Können, um das Leben („I Deserve to Breathe“ von Louie Vega feat. Adeva), jener utopische Ort ist, den House, Disco und eigentlich die ganze Clubkultur, fortwährend sucht und teilweise auch findet („Follow Me“ von Aly-Us). Der Saxophonist Carlos Garnett aus Panama beendet das Mixtape mit „Mother of the Future”, der Revelation, die nur Liebe sein kann. Die Zukunft ist weiblich.

Es bleibt wichtig und spannend mit der Clubmusik und der Politik. Gerade in der Abwesenheit des Clubs und in der Zeit seiner hoffentlich baldigen Rückkehr. Werden die Raver nach dem potentiellen Ende der Coronakrise genug von Dystopien haben und wird vielleicht House als Musik der Entlastung und Befreiung der Sound der kaputten Städte? Wird sich Brexitannien nach der Corona noch wohler fühlen mit der Isolation von Europa und was bedeutet das musikalisch und musikwirtschaftlich? Wird sich die gesamtgesellschaftliche und finanzielle Wertschätzung von Clubkultur weiter ausformulieren? Hat jemand die Pandemie als Chance zum Überdenken kapitalistischer Dogmen genutzt? Gibt es Tränen der Erleichterung, wenn eine Crowd erstmalig wieder auf dem Floor zusammenkommen darf? Und wer spielt als erste*r Mateo & Matos „Celebrate Life“ bei den Club-Reopenings?

Für dieses Filter Tape gestalteten Johanna Goldmann und Kristina Wedel das Artwork. Die Aufgabe: Während der Zeit des Tape-Hörens ein Bild assoziieren, finden, ausdenken und umsetzen. Auch Mixtapes haben passende Bilder verdient. Vielen Dank, Johanna und Kristina.

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Foto: Jesmari Posa

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