Kalkulierte Kühle, Breakbeat-Brexit und ein warmes Warm-UpVarg, Shed, Octo Octa: drei Alben, drei Meinungen

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Auf dem runden Tisch der Filter-Redaktion liegen aktuell drei Platten, die unterschiedlicher nicht sein könnten, doch eines gemeinsam haben: einen Dancefloor in Schieflage. Jonas Rönnberg – Varg – beendet mit „Gore-Tex City“ seine Trilogie zur nordischen Flora. Die war bislang so karg, dass die Fauna tatsächlich keinerlei Überlebenschancen gehabt hätte. Sein neues Album jedoch dreht sich mit erstaunlicher musikalischer Meta-Metastasen-Euphorie um Achsen, die man dem Produzenten im Traum nicht hätte andichten wollen. Derweil legt Shed sein mittlerweile viertes Album vor. So explizit umgesetzt und ausproduziert war René Pawlowitz’ anhaltende Liebesgeschichte mit dem klassischen Rave-Sound Großbritanniens noch nie. Das ist nicht oldschool, sondern viel eher der Jahresbericht eines Breakbeat-Archivarius, der auch gern Electro hört. Und auch Maya Bouldry-Morrison aus Brooklyn verschreibt sich auf ihrem neuen Album als Octo Octa einer Tanzfläche, die es in unseren Zeiten höchstens noch in einem „Auf die guten alten Zeiten“-Sekt-auf-Eis-Klirren kurz wieder in die Wirklichkeit schafft. Oder ist doch alles ganz anders? Wie immer gilt auch dieses Mal: drei Alben, drei Meinungen.

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Varg, Nordic Flora Pt. 3: Gore-Tex City, erscheint am 27. März auf Northern Electronics.

Varg – Nordic Flora Pt. 3: Gore-Tex City

Christian: Was ist eigentlich bei Varg passiert? Für mich war der immer dieser langhaarige Typ im Mayhem-Shirt, der kratzigen Techno auf Kassetten veröffentlicht. Das Album hier ist im Vergleich dazu ziemlich next level. Als würde Silent Servant ein Pop-Album machen, und irre gut dabei. Wenn man sich gerade darin eingerichtet hat, dann kommen all diese Features. Yung Lean! Keine Ahnung, wie gut Lila-Wolken-Rap und Dubtechno wirklich zusammengehen. Allein dass es überhaupt zusammenkommt, flasht mich schon ziemlich.

Thaddeus: Die Pressebilder belegen, dass er immer noch die langen Haare hat und auch noch schwarze T-Shirts um seinen Oberkörper flattern. Ja, diese Platte ist gut. Das fängt sehr verträumt an, mich erinnert das ja an die dubbige Berliner Schule, also das nach dem Intro, das ist ja eher so Sonnenbrillen-Eierschaukeln zwischen ihm und Vangelis, aber dann wird es filigran rauschig, pluckernd plockerig. Eine herrlich angestaubte Variante von Zukunftsforschung, die bestens ins heutige Bild passt. Wer ist dieser Typ eigentlich? Habe keine Lust, mir das anzulesen.

Christian: Kommt aus Schweden, hat viel Techno bei Northern Electronics veröffentlicht und eher dronige Sachen bei Posh Isolation. Es gibt gerade einen ziemlichen Hype um ihn.

Thaddeus: Aha, also so gar nicht die Skudge-Ecke. Das hier ist ja auch viel bunter.

Kristoffer: Tatsächlich, die Bathory-Shirts trägt der Dude immer noch und ist produktiver denn je: Zu diesem Teil seiner Trilogie – dazu gehören als erster Teil eine EP ebenfalls auf Northern Electronics und als zweiter Teil ein Ambient-Album auf Posh Isolation – fügt sich noch eine neue Kollaboration mit Abdulla Rashim als Ulwhednar und steppiger White Noise Techno auf Opal Tapes, jeweils im Albumformat. Ersteres fand ich beim Durchblättern mau, Zweiteres ging mir nach drei Durchläufen richtig auf den Nerv. Das hier aber: so schön wie sein Cover hässlich ist. Dabei ist Hässlichkeit vielleicht sogar viel eher die Kategorie, um die es Varg geht. So geil ich dieses Album finde: Bedient es nicht mittlerweile völlig gängige dystopische Neoliberalismus-Klischees? Ich meine etwa diese ASMR-Selbstoptimierungs-Fitzel, die zuletzt zum Beispiel DVA als [HI:EMOTIONS] auf Hyperdub perfektioniert hat und die hier wieder auftauchen. Vielleicht lasse ich mich aber auch zu sehr von seinem Resident-Advisor-Instagram-Takeover an der Nase rumführen: geiler Grind mit, hust, Message. Moët-Flaschen und Yung Lean, zum Schluss ein Statement von wegen, er würde als Underground-Artist mehr verdienen als zuvor als - lol? - Lehrer.

Thaddeus: Mit Instagram wird man heutzutage ja auch reich. Ich stimme insofern zu, als dass es tatsächlich eine Menge Musik aktuell gibt, die ähnlich klingt. Oder sich ähnlicher Prinzipien bedient. Ich kann das schwer in Worte fassen. Jetzt, so mitten drin im Album, ist das ja eigentlich schon ganz zackig, also mit Beats, die ordentlich flirren, aber das ist seeeeehr weit hinten. Man nimmt es zwar wahr, es springt einen aber nicht so an. Das machen viele im Moment. Scheint ein Trend zu sein? Kein Bock mehr auf frontalen Spaß, aber dennoch so in Erinnerung bleiben, dass es mit den Bookings weiter klappt?

Christian: Dann aber kommt dieses Interlude, das klingt wie eine Audio-Arbeit aus der Future Gallery, dann der Turn zum Feature-Album, zu R'n'B und Pop. Das wirkt aber gar nicht so ranschmeißend wie sich das jetzt vielleicht liest, mir gefällt, wie hier style-technisch alles kippt.

Thaddeus: Finde auch nicht, dass der sich irgendwo ranschmeißt. Im Gegenteil.

„Ich sehe ein gewisses Kalkül drin, und zwar ein ironisch überhöhtes.“ (Kristoffer)

Kristoffer: Naja, nehmen wir doch mal das Yung-Lean-Feature: Das feierte vor ein paar Tagen bei Fader Premiere. Das ist eine Zielgruppe, die jemand wie Varg im Leben nicht abschöpfen könnte mit dem, was er sonst über seine mundbemalten Tapes so an humorlose Schwarzhemden vertickert. Zugleich aber ist es natürlich ein Statement. Dass da jemand über ein paar Ambient-Flächen Buzzwords wie „shawty“ droppt, ist irre. Irre witzig, aber auch irre geil und irre unerwartet. Ein wahnsinniger Track. Dennoch: Ich sehe ein gewisses Kalkül drin, und zwar ein ironisch überhöhtes.

Varg Portrait

Christian: Kalkül ja. Neoliberal? Weiß nicht. Ich habe da vielleicht was verschlafen, aber der Hype ging doch lange vor dem Yung-Lean-Video los, oder?

Kristoffer: Jein. Northern Electronics hat total den Nerv der oben genannten humorlosen Schwarzhemden getroffen. Irgendwie bleak, irgendwie Rave. Ballert und ist trotzdem edgy, soll heißen – würg – integer. Das sitzt. Zwischendurch wird sich ein bisschen kantigem Industrial gewidmet und fertig ist das Portfolio eines Künstlers, der beim selbsternannten Underground reihenweise Street Cred einfährt. Da markiert Nordic Flora Pt. 3 allerdings den Bruch. Nur eben keinen avantgardistischen, wie ich finde. Dezidiert genau das nicht.

Thaddeus: Keine Spur von Avantgarde. Magst du den jetzt oder findest du ihn bekloppt?

Christian: Avantgarden gibt es doch gar keine mehr. Nur noch Post-Somethings.

Thaddeus: Und damit ist der Roundtable beendet! Danke, Christian.

Kristoffer: Leute, das ist hier keine Presseveranstaltung im Oval Office.

Christian: Period.

Kristoffer: Über Fortschrittsverweigerung können wir uns nachher noch bei Shed unterhalten. Zurück zum Thema, das heißt Thaddis Frage: Ich weiß nicht, wie ich ihn finde. Er ist mir suspekt. Das allerdings finde ich an sich ganz geil: Wann habt ihr zuletzt ein Techno-Album nicht verstanden?

Christian: Ich habe Octo Octa nicht ganz verstanden.

Kristoffer: Das ist aber House, du Hirni!

Christian: Mist!

Kristoffer: Versuchen wir doch mal zusammenzufassen: Fakt ist doch, dass dieses Album wahnsinnig gut ausproduziert ist und mühelos alle Register zieht, die andere Menschen mit ihren Karrieren höchstens einzeln ausfüllen würden.

Thaddeus: Hoppla, bringt die Platte wirklich so viele Dinge zusammen? Das höre ich wiederum nicht so richtig raus.

Kristoffer: Sie nimmt sich zumindest aus allem, was aktuell irgendwie funktioniert, ihre Stücke und schafft es, sie in ein – schauder – sinniges Narrativ zu überführen. Während Octo Octa sich eher der Vergangenheitsbewältigung qua Update verschreibt, ist Varg eigentlich näher an Shed dran: Da wird nicht unbedingt nach einer Zukunft gefragt, zumindest aber die Gegenwart im Rundumschlag ausgewertet.

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Shed, The Final Experiment, ist auf Monkeytown erschienen.

Shed – The Final Experiment

Thaddeus: Shed? Gegenwart? No way.

Kristoffer: Na, doch. Für die Vergangenheit hat er sein Head-High-Alias. Ich bin kein großer Shed-Fan, tatsächlich habe ich ihn nie, äh, gegettet, aber letztlich hat er doch zuerst Ilian Tape antizipiert und macht mittlerweile das, was etwa Livity Sound in Bristol abarbeiten: Irgendwie das Hardcore Continuum in den Bigroom zu quetschen und trotzdem genug Luft zu lassen, damit auch die Couchkartoffeln was davon haben. Ich finde das sehr zeitgenössisch.

Christian: Ja und ja. Aber was du beschrieben hast, ist das nicht mehr als Antizipieren? Eher etwas, was man Trademark nennen kann? Also etwa wie Shed die Drums schneidet und dieses wuselige Klangbild? Dann arbeitet er ja immer mal mit sehr mächtigen Bassdrums, die aber nie alles übertönen. Das hat doch einen hohen Wiedererkennungswert.

Kristoffer: Den will ich ihm ja gar nicht abstreiten und tatsächlich will ich durchaus sagen, dass er eben nicht nur die Archive abstaubt. Manchmal habe ich das Gefühl, du hörst mir gar nicht mehr richtig zu. Aber gut, Drama später. Der Shed-Style ist natürlich markant, ich kenne da einen jungen Produzenten, der das voll anzitiert und dem von Shed-Fans – I kid you not – der Tod gewünscht wurde. So schlimm ist das Fandom da, so stark der Impact. Nur hat mich das nie unbedingt mitgenommen.

Thaddeus: Drop mal den Namen!

Kristoffer: Willst du auch seine Adresse, um nachher mit deinen Quarzsandhandschuhen selbst vorbeizuschauen?

Thaddeus: Höchstens, um Platten abzuholen. Ich tue keiner Fliege was.

Kristoffer: Naja, wie dem auch sei. Jetzt zumindest „The Final Experiment“. Weder höre ich unbedingt viel Experiment noch Finalität aus diesem Album und musste mir erst die Kopfhörer aufsetzen, um den Wums drin zu hören. Lieblingstrack: „Black Heart“, allein schon des geil peinlichen Namens wegen.

„Das ist ein Techno-Album, das weder Techno ist, noch kann man es auflegen. Mit anderen Worten: perfekte Platte.“ (Thaddeus)

Thaddeus: Die Alben-Titel von Shed haben immer etwas Endgültiges. Das leuchtet mir auch nicht so recht ein, passt aber irgendwie zu René Pawlowitz als Mensch. „The Final Experiment“ ist ja vor allem auch Label- oder zumindest Vinyl-Reihen-Name, da gab es ja einige von ihm. Ich finde die Platte wirklich sehr gelungen, weil extrem auf den Punkt. Mehr und besser als früher. Natürlich sind die Assoziationen immer die gleichen: Ja, da ist das HC, ja, da ist UK, hier, auf diesem Album, setzte er das aber schon fast Indie-mäßig um. Also nicht so wie zum Beispiel Special Request, der auch nur eine Bassline kennt, sondern mit sehr viel Feingefühl und – scheiße! – Liebe. Ich will die Referenzen, die einem dabei natürlich zwangsläufig einfallen, hier gar nicht erwähnen. Das ist ein Techno-Album, das weder Techno ist, noch kann man es auflegen. Mit anderen Worten: perfekte Platte. Und Distinktion gegenüber seinen Rave-Brettern als Head High. Das kann man auch nur schwer miteinander vergleichen, wenn überhaupt. Ist super. Das wollte ich wohl sagen. Der Tanz auf dem Brexit. UK-Kultur – ausdrückliche UK-Kultur, rübergerettet auf den Kontinent. In erstaunlich kleinen Tracks.

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Foto: Birgit Kaulfuss

Christian: Bin einverstanden. Ich höre aber mehr im Fluss als auf den Punkt. Vielleicht eine blöde Kategorie, aber das ist irgendwie sein Leftfield-Album. Ich habe mir gestern nochmal „The Traveller“ angehört, das zweite Shed-Album, das noch bei Ostgut erschienen ist. Da wurden noch die Loops ausgereizt. Totaler Stoizismus, toll. Beeindruckend, dass das überhaupt als Album funktioniert hat. Hier ist dagegen alles in ständigem Fluss, in einer fast sanftmütigen Bewegung.

Kristoffer: Also eher softer Brexit, wa?

Thaddeus: Fast schon kuschelig, ein Sich-an-den-Händen-Nehmen, trotz aller Unabhängigkeitsbestrebungen. Du weißt doch, alle Engländer sind Gentlemen. Da wohnt kein einziges Arschloch. Aber wir schweifen schon wieder ab. Fürchterlich und in die falsche Richtung. Also: Ich mag die Platte sehr.

Kristoffer: Außerdem ist der Dude Brandenburger. Nix Brexit, Ex-Ostzone.

Thaddeus: Ein Träumer!

Kristoffer: Ich weiß nicht, ob ich sie so mag. Ich habe mir auch noch mal „The Killer“ gegeben und ... ja, es geht mir gut rein und dann aber auch wieder raus. So wie diese hier leider. Erklär mir doch mal jemand die Shed-Magie! Ich mag wohl letzten Endes am liebsten den Nostalgiker, wie er auf der B-Seite dieser 50Weapons-Single zu hören war: Voll auf Molly, bis zu den Knöcheln im Schlamm der Londoner Randbereiche stakend.

Christian: Verglichen damit klingt „The Final Experiment“ eher nach dem, was von Shed bleibt, nachdem er den Wumms ausgelagert hat.

Kristoffer: Thaddi knurrte eben zur Seite, dass er schwer über die Platte sprechen könnte, ohne Begriffe wie Warp und Rephlex zu droppen. #ThaddiLeaks. Stimmt natürlich auch, das aktuelle Stück, „Taken Effect“, ist schon Nettigkeits-Acid meets Aphex-Flächen circa 1992. Ich finde es dann aber doch gegenwärtiger. Was ich schlicht damit begründen würde, dass Pawlowitz halt einen Scheiß auf den Techno-Zirkus gibt: Der macht einfach. Trendbefreit. Das Gegenteil von Varg in gewisser Weise, zumindest in Sachen kritischer Distanz. Bei Shed gibt’s keine, weil kein Interesse da zu sein scheint.

Thaddeus: Ich knurre doch gar nicht. Sondern rufe dir vielmehr zu: Amen und zum Glück!

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Octo Octa, Where Are We Going?, erscheint am 27. März auf Honey Soundsystem.

Octo Octa – Where Are We Going?

Kristoffer: Anders natürlich bei Octo Octa. Da bricht sich die Geschichte in den Breaks Bahnen. Christian, was hast du daran denn nicht verstanden?

Christian: Äh. Also ich habe da Probleme mit einer subjektiv empfundenen Diskrepanz zwischen Kontext und Musik. Octo Octa bewegt sich ja in einem hoch politischen Umfeld, in dem es um den Hedonismus queerer Kulturen geht, vielleicht stärker noch als das bei House sowieso immer schon der Fall ist. Ich laufe hier deswegen ins Leere, weil ich die Platte allein wegen dieses Kontextes schon gerne mögen würde. Aber letztlich lässt die hochgradig überzuckerte Musik mich dann doch recht ungerührt. Es ist klanglich so glatt poliert, aber auch nicht in so einem Maße, dass ich darauf ausrutschen würde. Ausrutschen fände ich ja geil. Aber die Tracks dieses Albums, ich kann mir nicht helfen, die würden auch in einer beliebigen Techhouse-Playlist funktionieren. Wenn ich nur von der Musik ausgehe, dann kann ich mir problemlos Rich Kids vorstellen, alle hetero, die unter subtropischem Himmel auf irgendeiner Hotel-Dachterasse dazu wippen und Wodka Bull sippen, das Glas für 15 Euro. Dann setzen in der Mitte des Albums die Breakbeats ein, da wird es plötzlich auch für mich toll. Überhaupt: Die zweite Album-Hälfte gefällt mir viel, viel besser.

Kristoffer: Okay, fangen wir musikalisch an: Dieses Album ist ein komplett durchexerziertes Warm-Up-Set, das dich am Ende mit glossy Acid auf den Dancefloor schubst. Dass es tatsächlich extrem clean produziert ist, halte ich für einen absoluten Segen. Ich bin berufsbedingt so angefressen von dieser Lo-Fi-Scheiße – die Kollegin Plett hat drüben im Hauptjob alles dazu gesagt –, dass ich dieses wahnsinnig ausdefinierte Design begrüße wie einen Sommerplatzregen. Zumal es mich stark an eine ganz besondere Platte erinnert: DJ Sprinkles’ „120 Midtown Blues“. Nicht unbedingt von der Haltung her, aber von diesen wahnsinnig dichten Flächen und dem Spiel mit klassischen Deep-House-Tropen, die vor allem im ersten Teil dominieren. Ja, eventuell klingt das auch poliert. Aber what’s wrong with that? Dann zum Kontext: Stimmt, Octo Octa ist eine Transfrau. Das ist aber nicht das Thema der Platte und sollte nicht unbedingt ein Skandalon wert sein. Wenngleich „Where Are We Going?“ zumindest durch das Release über Honey Soundsystem – ein dezidiert queeres Label – so eingefriedet wird. Ich sehe darin aber unbedingt keine Agenda außer der, die Octo Octa leider zwangsläufig körperlich austragen muss. Das sollte aber kein Maßstab sein, finde ich. Denn es ist eben keine „120 Midtown Blues“.

„Letztlich mag ich die Cheesyness der Platte einfach nicht.“ (Christian)

Christian: Bitte nicht falsch verstehen, ich wollte den Gender Trouble nicht zur ästhetischen Agenda erklären oder ein solches daraus ableiten, sondern nur meinen persönlichen Konflikt schildern. Letztlich mag ich die Cheesyness der Platte einfach nicht. Ich glaube übrigens auch nicht, dass sich die hier dezidiert verhält zu dem, was du Lo-Fi-Scheiße nennst.

Thaddeus: Ich finde das gar nicht cheesy, eher klassisch. Das freut mich persönlich sehr. Die Platte ist in auf eine Art sehr unambitioniert. Will heißen: Die Tracks laufen so unter dem Radar, fangen an, machen weiter, hören auf. Da kann man sich nicht unbedingt an große Höhepunkte erinnern. Es bleibt aber ein gutes Gefühl zurück. Klingt platt, ich halte diese Art des Produzierens in der Tat aber für große Kunst, die nur wenige beherrschen. Das ist auf Albumlänge mal besser, mal schlechter umgesetzt, es macht schon Sinn, dass das Vinyl nur ein paar der Tracks beinhaltet. Aber sowas muss man erstmal hinkriegen.

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Foto: Jef McMahan

Kristoffer: Klassisch ist genau das richtige Wort. Mit cheesy sind wir nämlich bei den Not-So-Young Romantics von Innervisions. Octo Octa macht Neunziger-House, zumindest am Anfang. Aufgekratzt, hüpfend und mit Backspins, das ganze Pipapo. Wie sich aber zum Ende hin die Palette erweitert – gerade sind wir bei Track 4, krasse Omar-S-Bassline –, das ist das Schöne darin. Natürlich werden am Anfang die Cocktails geschlürft, aber am Ende die Lines vom Klo auf die Theke gelegt und danach will ich richtig dumm und unvernünftig sein. Ich widerspreche Thaddi da ungefähr halb: Dieses Album hat seine Schwächen, aber es ist zumindest ein Album mit einem Telos, wenn du so willst. Und das heißt Ekstase. Der nähern wir uns über die gesamten House-Requisiten, die sonst in den Waffenkammern der Ewiggestrigen verstauben. Toll, wie das aktualisiert wird. Mehr brauche ich nicht, mehr will ich nicht. Für mich eines der besten House-Alben seit langer, langer Zeit. Und wenn ich jetzt Amen sage, dann sagt ihr Break und wir werfen die Gläser an die Wand.

Ravegeschichte: 25 Jahre 1992Heute: „I Need Your Love“ von N.R.G.

Schnapsideen – Erfindergeist im 21. JahrhundertDiesmal: Pawbo, Prepd & i.Con