Plattenkritik: Feist – Multitudes (Polydor)Ganz schön, Leslie

feist

Feist ist nach sechs Jahren mit neuem Album zurück, das seinem Namen nachkommt: vielseitig von minimalistisch bis großes Arrangement, und immer noch mit dem Charme, dem Jan-Peter Wulf schon in den Nullerjahren erlegen ist.

Stimmt, Introtext: In Leslie Feists Stimme war ich ja schon immer verknallt. Dieses unprätentiöse Hauchen und Trällern, das sich im Nu, atemlos fast, in einen kraftvollen Gesang steigert – wie bei „In Lightning“, dem Opener ihres neuen Albums, dem ersten seit „Pleasure“ vor sechs Jahren. Die Liaison begann 2004, mit „Let It Die“, das zusammen mit „The Reminder“ 2007 (für mich) zu den größten Singerin-Songwriterin-Alben der Nullerjahre gehört, diesem eigenartigen Jahrzehnt zwischen Aufbruch in ein neues Millennium und Einsturz der WTC-Türme, zwischen komplett auf das angewiesen sein, was die Musikindustrie einem ins physische Regal stellt und dem alles-immer-verfügbar-Modus ab den Zehnerjahren. Irgendwie auch das kanadische Jahrzehnt mit Peaches, Gonzales, The Stars, Broken Social Scene, Rufus Wainwright … und mit ihrem feder- und kinderleichten „1,2,3,4“ schaffte es Feist in die Apple-Werbung und, viel wichtiger noch, in die Sesamstraße.

Entstanden sind die Songs schon bis 2021. Dann, auf einer Tour in Europa und Nordamerika, stellte sie die Stücke dem Publikum vor, als Sneak sozusagen, um die Texte, einzelne Worte, anschließend noch einmal auszutauschen, bevor es ins Studio ging. „Multitudes“ tritt nach „In Lightning“ leiser auf, hält sich zurück. Als träte Feist wieder in ganz kleinen Countryclubs oder Independent-Buchläden irgendwo in Alberta auf. Nur dass, es wird im Verlauf des Albums immer deutlicher, die Produktion dahinter dann doch eher Barnes & Noble ist und die Instrumentation mitunter derart anschwillt, dass aus der zierlichen Frau mit ihrer Gitarre ein Ensemble wird wie beim cinematischen „Of Womankind“. Oder wenn die Stimme wie in „Become The Earth“ ihr digitales, chorales Eigenleben bekommt.

Das mag anders sein als bei früheren Stücken, aber es hat Charme, keine Frage. „Borrow Trouble“, das behaupte ich jetzt einfach mal, ist ein Hommage an Bowie, inklusive tollem Ausraster am Ende, fernab von jeglichem Hauch. Da hat jemand viel Kraft, wenn es sein soll. 

Und ist ganz am Schluss dann irgendwie wieder ganz Nullerjahre, als es okay wurde, auf Konzerten auch mal auf dem Fußboden zu sitzen und traurig zur Musik zu sein, wenn Leslie singt:

Don't be sad, my friends
That's the last thing you'll hear me say
If you're sad, my friends
Why would I take that away?

All is full of love?Serientipp: Tender Hearts

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