Plattenkritik: MM/KM – Ich sehe Vasen (The Trilogy Tapes)Minimal maximal

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Das Album „Ich sehe Vasen“ von Mix Mup und Kassem Mosse ist eine intime Reise zurück in die Zukunft. Als man in Galerien noch feiern und rauchen durfte und Raves eine Garantie dafür waren, gute Menschen zu treffen – ohne seltsame Dresscodes und Influencer-Schnickschnack. Ein schönes Statement zur richtigen Zeit, ohne dabei laut und plakativ zu sein.

Die Leipziger Ausnahmekünstler Mix Mup und Kassem Mosse veröffentlichen seit 2012 gemeinsam Musik unter ihrem Alias MM/KM. Nun ist ihr drittes gemeinsames Album „Ich sehe Vasen“ erschienen, das wie ihr erster selbstbetitelter Longplayer auf dem Londoner Label The Trilogy Tapes erscheint. Lorenz Lindner (Mix Mup) und Gunnar Wendel (Kassem Mosse) kennen sich lange und gut. Gemeinsam betrieben sie den Salon und Projektraum Kardamom, der sich audiovisuellen Diskursen widmete. Lindner ist ausgebildeter bildender Künstler, seine Arbeiten und Performances wurden in New York, Luxemburg, Berlin, Barcelona und Miami präsentiert. Das Album „Ich sehe Vasen“ atmet dieses Interdisziplinäre. Es ist intelligent, die Titel wie „Das Künstlergespräch“ oder „Teardrops fallen in den Pastis“ suggerieren verrauchte Künstlerexistenzen und Galerien. Aber die Musik ist weder versnobt noch abgehoben. Zwischen Skizzen, Zwischenspielen und ausufernden Bangern in Clublänge gibt es auf 19 Tracks eine kuschelige wie kluge Achterbahnfahrt. Ästhetisch erinnert das durchaus an das minimalistische Rheinland von vor 20 Jahren.

Die technoiden Nummern rumpeln, knarzen und lächeln dabei charmant und sympathisch. Mir kam aber auch das heute fast vergessene Label Festplatten der Gebrüder Teichmann in den Sinn. Ach, war schon eine ganz okaye Zeit. Clubkultur wird heute oft synonym mit feschen TikTok-Ravern, kommerziellen Festivals und Big Business gleichgesetzt. Hier zeigt sich ein Entwurf, der LoFi wirkt, aber Liebe zum Detail und motivierte Sounds hat. Stücke, die im besten Sinne Minimal sind. Die auch in improvisierten Räumen, Holzhütten und Vernissage-Abrissen mit lauwarmem Bier funktionieren, aber vor allem auch als privates Headroom-Hörstück auf Albumlänge. Synth-Pop wird dekonstruiert, Perkussionsspuren mäandern an die Grenze der Zählbarkeit. Und es klingt immer auch nach Jam. Nach Wärme, Kontingenz, Spaß und süffisantem Abstand zur Materie. In der Gesamtheit wirkt es wie ein Plädoyer an die Kunst und die Schnittstellen mit anderen Disziplinen. Also nicht die Kunst, die bei Sotheby’s für Yachten-Interieur versteigert wird. Sondern die Kunst, die experimentiert, die kreative Menschen verbindet und Nischen glücklich macht. Es darf sperrig und eckig sein. Man darf auch mal fragen: Was soll das alles jetzt? Aber während man sinniert und hinterfragt, hat man vor allem eines – eine gute Zeit.

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