Vergessener arabischer UndergroundWie das Label Habibi Funk die Welt durch Musik näher zusammen rücken lässt
10.4.2017 • Sounds – Interview: Juri AndresenAngefangen hat alles vor drei Jahren in Marokko: Dort war der Labelbetreiber von Jakarta Records (Suff Daddy, Robot Koch, Looptroop Rockers) Jannis Stürtz unterwegs und entdeckte in staubigen Plattenkisten auf Basaren und in versteckten Vinyl-Stores Soundperlen des nordafrikanischen Maghrebland. Funk, Soul, Psychedelic und andere Produktionen des 20. Jahrhunderts aus dem arabischen Raum tat er dabei auf, packte die Tüten voll und bastelte, wieder in Deutschland angekommen, einen ersten Mix daraus. Das Feedback war so gut, dass er entschloss, ein Sublabel zu gründen: Habibi Funk. Seitdem werden alte Alben unbekannter Künstler wieder veröffentlicht und der Gig-Kalender von Jannis ist vollgepackt. Das Besondere: Vor allem in den arabischen Ländern selbst erfahren seine Selektion und DJ-Skills eine große Nachfrage. Die Geschichte beweist: Gerade durch Musik kann unsere so zerrüttete Welt wieder klein und freundlich werden. Im Interview mit Das Filter spricht Jannis Stürtz über Islamophobie, den Charme von 7-Inches und seine poparchäologische Pionierarbeit.
Wie erklärst du dir den Erfolg von Habibi Funk?
Das Feedback war in der Tat überraschend groß. Vielleicht auch, weil Habibi Funk eine gewisse politische Implikation und darüber hinaus auch einen Multiplikatoren-Effekt hat. Hätte ich die gleiche Arbeit für ungarische und polnische Musik gemacht, wäre der Effekt wahrscheinlich in dieser Form nicht eingetreten. Trotz des Grades der Obskurität verkaufen sich die Re-Releases tatsächlich auch ganz okay. Parallel habe ich angefangen, mit dem Material aufzulegen. So ist die Sache sukzessive immer weiter gewachsen. Die DJ-Gigs sind mittlerweile regelmäßig geworden.
Wie sahen denn die Reaktionen aus?
Es war interessant zu sehen, dass die Reaktionen aus allen Regionen relativ ähnlich waren. Aus Casablanca waren sie die selben wie die aus Berlin. Viele Leute waren überrascht, dass es diese Art von Musik überhaupt gibt. An Habibi Funk finde ich so toll, dass das nicht nur über Exotismus funktioniert, sondern auch Leute aus den jeweiligen Regionen interessiert. Die Länder, aus denen die meisten Follower unserer Facebookseite kommen, sind arabische. Zu merken, dass das Interesse dort vorhanden ist, finde ich großartig. Gerade auch, wenn ich als DJ dort unterwegs bin.
Unterscheidet sich das arabische Publikum vom deutschen?
Jede Party ist natürlich anders, aber grundsätzliche Unterschiede kann ich nicht festmachen. Das Publikum im arabischen Raum hat natürlich noch mal einen anderen Zugang zu der Musik, weil sie die Sprache verstehen.
Würdest du dich selbst als Gatekeeper bezeichnen, der Leuten, die bis dato überhaupt nichts mit arabischer Musik zu tun hatten, die Tür zu ebendieser öffnet?
Vielleicht. Wobei ich mich nicht primär als kulturellen Botschafter sehe. Der Hauptgrund ist, dass mich persönlich diese Musik interessiert und ich sie mit anderen teilen will. Alles, was sich im Kontext kultureller Arbeit ergibt, ist eher ein positiver Nebeneffekt. Ich würde mich wichtiger machen als ich bin, wenn ich als Botschafter zwischen den Kulturen auftreten würde. Zudem muss man sagen, dass Habibi Funk nur einen ganz kleinen Teil der arabischen Musik abbildet. Ich würde niemals behaupten, dass ich Ahnung von arabischer Musik habe, sondern nur von diesem sehr kleinen, speziellen Ausschnitt.
Wohin ging deine letzte Reise?
Im Januar war ich im Libanon und in Ägypten. Ich will ich in den Sudan, das ist allerdings noch nicht sicher. Diesen Monat spiele ich zwei Gigs in Marokko. Ich würde sagen, ich bin insgesamt so acht, neun Mal im Jahr in der Region. Es ist in letzter Zeit auf jeden Fall noch ein bisschen mehr geworden. Dieses Jahr bin ich auf drei Festivals in Marokko und Ende Mai mache ich eine kleine Tour durch den Nahen Osten.
Ist das Projekt politisch?
Klar, es ist natürlich politisch. Es gibt ein rechts-stereotypes Narrativ, das arabische Kultur und die islamische Welt konstituiert. Und irgendwie ist Habibi Funk natürlich ein kleiner Teil eines großen Puzzles, das ein alternatives Narrativ darstellt. Trotzdem ist Habibi Funk primär nicht ein politisches, sondern ein musikalisches Projekt. Aber über die politischen Implikationen bin ich mir schon bewusst. Auch gerade wenn es bei den Wiederveröffentlichungen der Platten diese Kombination aus westlichem Label und nichtwestlichen Künstlern gibt, hat man schnell eine postkoloniale Komponente. Dessen sollte man sich zumindest bewusst sein. Und dementsprechend daraus ableiten, die Geschäftsbeziehungen mit seinen Musikern, aber auch die Art, wie man bestimmte Dinge kommuniziert, so zu gestalten, dass sie eben nicht diese tradierten Austauschformen wiederholen.
An viel Material kommst du sicherlich erst durch den Austausch mit den Künstlern selbst oder mit ihren Familienangehörigen. Erfordert das nicht extrem viel Geduld und Aufwand?
Total. Das Finden der Künstler ist oft extrem zeitaufwendig. Der Kontakt mit den Künstlern selbst – oder im Falle verstorbener Künstler mit den Familien – ist meistens relativ unkompliziert. Wir haben selten negatives Feedback bekommen bezüglich unserer Pläne, Wiederveröffentlichungen zu machen. Meistens sind die Leute glücklich darüber, dass sich wieder jemand an ihre alte Musik erinnert.
Inwiefern baut man nochmal eine andere Beziehung zu einem Künstler auf, wenn man mitbekommt, wie er lebt – oder gelebt hat – und mit seiner Familie spricht?
Das sind ja alles Künstler, von denen es keine Biografien im Internet gibt. Außerhalb der Musik hat man meist relativ wenig Informationen, was den Künstler anbelangt. Deswegen erschließt sich so eine Persönlichkeit oftmals ohnehin erst durch den persönlichen Kontakt. Das ist natürlich cool. Es ist auch cool, dazu beitragen zu können, dass andere Leute diesen Künstler entdecken und die Geschichten, die man dabei aufschnappt, einer größeren Menge von Leuten zugänglich machen zu können.
Gibt es eine bestimmte Geschichte, an die du besonders gerne zurückdenkst?
Grundsätzlich sind es fast immer schöne Begegnungen, bei denen sich die Leute immer freuen, dass Interesse da ist. Bei dem Re-Issue von Ahmed Malek beispielsweise hatten wir bis zum Release immer nur telefonischen Kontakt mit seiner Tochter. Dann haben wir sie irgendwann in Algerien besucht und es stellte sich heraus, dass sie in irgendeinem Schrank noch zwei volle Kisten alter Master-Bänder rumliegen hatte, die jetzt alle zu einem Re-Issue verarbeitet worden sind. Manchmal ergeben sich eben nochmal ganz andere Sachen, wenn man sich persönlich trifft.
Wie sehr schmerzt dich in diesem Zusammenhang das von Teilen der Welt propagierte, stereotypische Bild von der arabischen Welt und von Muslimen?
Dass ich dem natürlich ablehnend gegenüber stehe, darin unterscheide ich mich jetzt nicht großartig von dir oder sonstigen Leuten, mit denen ich zu tun habe. Klar ergibt sich dann oftmals nochmal ein anderes Bild, wenn man viel vor Ort ist. Aber das ist ja immer die Essenz von Rassismus: Dass er nämlich vor allem bei Leuten hervorragend funktioniert, die diese Berührungspunkte nicht haben. Das ist bei der Islamophobie nichts anderes. Die ist beispielsweise in Sachsen, wo es praktisch kaum Muslime gibt, viel größer als in Berlin-Neukölln, wo sie trotz einer ganz anderen Lebensrealität viel weniger verbreitet ist.
Arabische Musik hat einen nicht geringen Impact auf westliche Popmusik gehabt und hat ihn nach wie vor. Wieso sind viele der Stücke hierzulande trotzdem nie populär geworden oder in Vergessenheit geraten?
Ich denke, die Sounds, die westliche Popmusik beeinflusst haben, sind eher die Sounds, die in der Region bereits extrem groß waren. Das sind ja meist nicht die ganz obskuren Sachen. Und dass Musik, die in einer bestimmten, kleinen Nische stattfindet, dann relativ schnell wieder in Vergessenheit gerät, sobald dieses kleine Subgenre aufhört zu existieren, ist halt ein globales Phänomen. Wenn du in Deutschland durch die Fußgängerzone laufen und Leute nach irgendeiner abgedrehten Kaufhaus-Band fragen würdest, würde sich auch in Deutschland niemand mehr daran erinnern. Aber gerade in Zeiten digitaler Kommunikation bildet sich wieder Interesse, weil Leute, die eigentlich sehr weit weg von dieser Musik sind, die Möglichkeit haben, Zugang zu bekommen. Aber man kann das nicht generalisieren. Ahmed Maleks Musik zum Beispiel kennen sehr wohl Leute aus Algerien, den Künstler aber nicht unbedingt. Bei Soundtrack-Musikern ist es sowieso verbreiteter, dass der Künstler da nicht in den Vordergrund rückt. Der Grad, inwieweit einzelne Künstler in Vergessenheit geraten sind, unterscheidet sich sicherlich. Es liegt einfach daran, dass viele Künstler, die mich interessieren, damals nicht besonders groß waren. Das waren keine Mainstream-Künstler.
Wie viele Platten mit arabischer Musik haben sich über die Jahre bei dir angesammelt?
Gar nicht mal so viele. Dadurch, dass ich mich für einen sehr spezifischen Sound interessiere, hält sich das in Grenzen. Das sind ein paar hundert, aber nicht ein paar tausend. Und tendenziell eher 7-Inch-Singles als LPs. Je obskurer die Band war, desto weniger hat sie Geld für Studiozeit gehabt. Und eine LP war in der Produktion immer teurer als eine 7-Inch.