Fanservice im QuadratFilmkritik: „Bohemian Rhapsody“ von Bryan Singer

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Alle Fotos: © 2018 Twentieth Century Fox

Queen ist aus der Popkultur der 1970er- und 1980er-Jahre kaum wegzudenken. Reichlich spät kommt nun die Biographie der britischen Kultband ins Kino. Alexander Buchholz – erklärter Fan der Band – hat einiges zu kritisieren.

Die Filmredaktion letztens so zu mir: „Sag mal, Alex, magst du dir vielleicht Bohemian Rhapsody anschauen und uns dann was dazu schreiben?“ Ich so: „Na klar, ich war und bin doch ein großer Queen-Fan!“ „Oh Gott. Na, wie dem auch sei. Schreibst du uns dann diesmal eine Filmkritik? Also eine Filmkritik? Also eine Filmkritik?“ „…“ „Also wenn du wieder das Bedürfnis verspürst, dem Regisseur seinen Stammbaum oder gar seine bescheuerte Frisur vorzuhalten, dann schreibst du das halt diesmal besser nicht auf, sondern lieber was anderes. Eine Filmkritik halt.“ „Mmm, sachlich also, mit Blick auf den Gegenstand?! Ich weiß ja nicht. Was soll das bringen? Schaut euch doch nur mal Beatrice Behns „Kino-Zeit“-Rezension von Werk ohne Autor an, wie nüchtern und präzise sie dem Fallobst den Stiel rausgedreht hat. Das hat sie dann aber auch nicht davor bewahrt, von jemandem namens Vincent82 in der Kommentarspalte schmierig angeonkelt zu werden.“ „Ja, schon. Aber die Beatrice ist ja von Vincent82 schmierig angeonkelt worden, nicht weil sie den Film zerlegt hat, sondern weil sie ein Mädchen ist. Und du bist ja ein Junge!“ „Ach ja, stimmt! Gott sei Dank bin ich ein Junge! Und dazu auch noch weiß und heterosexuell! Wieviel Glück kann man eigentlich haben!? High Five!“ (Gelächter, Vorhang, betretendes Schweigen)

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Versuch einer Filmkritik

Nun gut, versuch ich mich mal an einer … ähem … Filmkritik. Was in Anbetracht des Gegenstands gar nicht so einfach ist. Bohemian Rhapsody ist fast kein Film, sondern kaum mehr als ein weiteres von vielen anderen Marketinginstrumenten, das die verbliebenen Bandmitglieder auf die musikhörende Menschheit losgelassen haben. Gitarrist Brian May und Drummer Roger Taylor haben wirklich ganze Arbeit geleistet, die Milchkuh Queen so vollständig leer zu melken, dass man ob ihrer Geschäftstüchtigkeit nur den Hut ziehen kann. Ich meine mich zu erinnern, dass sie direkt nach dem Tod von Freddie Mercury im Winter des Jahres 1991 verkündeten, dass Queen ohne ihren Frontmann nicht weiterleben könne, weil Mercury absolut und völlig unersetzlich sei, um kurz darauf Mercury dann sehr wohl zu ersetzen und alles in Gang zu setzen, um Queen weiter reibungslos herumtaumeln lassen zu können. Mit Hilfe von Castingshows, Musicals, der häppchenweise Herausgabe bislang unveröffentlichter Titel und weiß der Teufel von was noch gibt’s Queen nun immer noch, irgendwie. Und jetzt halt auch im Kino.

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Bohemian Rhapsody erzählt davon, wie Farrokh Bulsara (Rami Malek), Sohn Indisch-stämmiger Einwanderer im Großbritannien der frühen 1970er, von Starruhm träumt und auf die Band Smile trifft, die gerade von ihrem Leadsänger verlassen wurde. May (Gwilym Lee) und Taylor (Ben Hardy) küren nach einem Vorsingen Farrokh aka Freddie Mercury kurzerhand zu ihrem Frontmann. Trotz Überbiss und schlaksig-linkischer Körpersprache – oder vielleicht auch gerade deswegen – überzeugt er die kritischen Fans und führt die Band unter dem neuen Namen Queen zu ungeahnten Erfolgen. Doch mit dem Ruhm kommen die falschen Freunde, die schon bald einen Keil in die Gemeinschaft treiben und Freddie einreden, er sei ohne seine Bandkollegen besser dran. Auch die Beziehung zu seiner Verlobten Mary (Lucy Boynton) wird einer Prüfung unterzogen, keimt in Freddie doch die Erkenntnis, dass er sich auch zu Männern hingezogen fühlt.

Ein doppelt und dreifach verwaister Film

Generischer kann ein Plot kaum sein. Bohemian Rhapsody begnügt sich im Wesentlichen damit, die Geschichte vom verlorenen Sohn durch das Stadionrock-Prisma zu filtern und sich so eine neue Bandgeschichte zurechtzulügen. Der Film bevorzugt die Momente des Triumphs vor denen der Krise und weiß ganz genau, wie großangelegte Konzertsequenzen auszusehen haben. Vor den kleineren, intimeren Szenen bleibt er recht ratlos stehen: Exemplarisch ist da die Szene, in der Freddie der Band seine AIDS-Erkrankung offenbart. Bohemian Rhapsody will da gar nicht verharren, kann sich im Gegenteil gar nicht genug beeilen, zum nächsten Setpiece zu flüchten. Ganz folgerichtig endet man auch mit dem Live Aid-Benefizkonzert, einem der meistumjubelten Auftritte der Band. Bohemian Rhapsody macht hier nichts anderes, als die bereits vorhandenen Fernsehbilder zu doppeln – als hätten die nicht völlig ausgereicht.

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Da, wo es noch keine öffentlichen Bilder gab, imaginiert sich der Film wenig spektakuläre Panoramen herbei: Die Rockstar-Partys sehen da mal eher wie Kindergeburtstage aus; für Schmuddeliges ist in dem von May und Taylor mitproduzierten Film sowieso wenig Platz. Wie hätte Bohemian Rhapsody wohl ausgesehen, wäre prankster Sascha Baron Cohen in die Hauptrolle geschlüpft, wie das mal ursprünglich geplant war? Regisseur Singer, der nach seinem legendären The Usual Suspects aus dem Jahr 1995 eh nahezu ausschließlich auf anonymen Hollywoodmainstream abonniert ist, wurde während der Dreharbeiten gefeuert. Bohemian Rhapsody ist so ein doppelt und dreifach verwaister Film geworden: Nirgendwo ist da irgendeine Handschrift zu erkennen, ist etwas nicht gefällig. Niemand wurde hier bezahlt, um ein Risiko einzugehen. Bohemian Rhapsody gerät so zum Fanservice im Quadrat.

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Aber das alles bedeutet nicht unbedingt, dass man an dem Film nicht seinen Spaß haben kann. Auf die gute alte Heldenreise in drei Akten ist halt Verlass. Und Rami Malek macht das ziemlich super – ich hatte ganz vergessen, wie sehr ich einen Popstar vom Zuschnitt eines Freddie Mercury in meinem Leben vermisst habe, bevor Malek ihn mit seinem spezifischen Charme wieder hat auferstehen lassen. Dass ich an einer Stelle ziemlich heulen musste, verdanke ich seinem nuancierten Spiel und seiner Leinwandpräsenz. Malek simuliert sein Original derartig gekonnt, dass mir noch einmal ganz klar wurde, wie vollständig überflüssig Queen ohne Mercury eigentlich ist. Ich für meinen Teil kann nun hiermit endgültig weiterziehen und endlich mal einer anderen Band zuhören.

Bohemian Rhapsody sei all jenen Unerschütterlichen empfohlen, die sich auf den Tag freuen, an dem May und Taylor verkünden, dass sie mit einem computergenerierten Gespenst auf Tour gehen wollen. Queenheads nennt man diese Bekloppten. „Stimmt doch alles gar nicht!“ sagt ihr da? Woher wollt ihr das denn wissen? Ihr Das-Filter-Leser wisst doch überhaupt gar nichts von Kapellen, die sich „operettenhaft überzeichnete[n] Gesangskapriolen“ (Zitat-Wikipedia) hingeben. Ihr hört doch immer nur so Elektrogegniedel!

Bohemian Rhapsody
GB/USA 2018
Regie: Bryan Singer
Drehbuch: Anthony McCarten, Peter Morgan
Darsteller: Rami Malek, Lucy Boynton, Gwilym Lee, Ben Hardy, Joseph Mazzello, Aidan Gillen, Allen Leech, Tom Hollander, Mike Myers
Kamera: Newton Thomas Sigel
Schnitt: John Ottman
Musik: Queen
Laufzeit: 134 Min.
seit dem 31.10.2018 im Kino

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