Finnische PropagandaBerlinale 2017: „Die andere Seite der Hoffnung“ von Aki Kaurismäki
19.2.2017 • Film – Text: Tim SchenklEin wenig überraschend gewann Aki Kaurismäki bei der gestrigen Berlinale Preisverleihung nicht den Goldenen Bären für den besten Film und musste sich mit dem Regie-Preis zufriedengeben. Doch auch so ist „Die andere Seite der Hoffnung“ ein bemerkenswerter und wichtiger Film.
Aki Kaurismäki verfolgt mit seinem neuen Film ein klares Ziel, aus dem der finnische Regisseur auch kein Geheimnis macht. Mit Die andere Seite der Hoffnung will er die europäische Blickweise aufbrechen, die Flüchtlinge nur als bedauernswerte Opfer oder als Jobs-und Frauen-raubende-Parasiten zu sehen. So ist es dem Presseheft zu entnehmen, und so verkündete Kaurismäki es auch auf der Berlinale-Pressekonferenz. Am Anfang stehen zwei Neuanfänge: Der vor der Bombardierung Aleppos geflohene Syrer Khaled (Sherwan Haji) erreicht als blinder Passagier eines Kohlendampfers Helsinki. Hier will er Asyl beantragen und sich dann auf die Suche nach seiner Schwester machen, die er während der Flucht verloren hat. Doch das nordische Land erweist sich als wenig gastfreundlich und lehnt seinen Antrag ab. Khaled sieht sich dazu gezwungen, unterzutauchen und in den dunklen Gassen und Hinterhöfen Helsinkis Zuflucht zu suchen.
Waldemar Wikströms (Sakari Kuosmanen) Lage zu Beginn des Films ist deutlich weniger misslich. Seine Ehefrau trinkt, und sein Job als Hemden- und Krawattenvertreter scheint ihm nur wenig Freude zu bereiten. Eines Morgens überreicht er seiner Frau wortlos Ehering und Haustürschlüssel, setzt sich in seinen alten Cadillac und düst davon. Um das Kapital für einen beruflichen Neustart zu bekommen, verkauft er seine Lagerbestände und vermehrt den erzielten Ertrag im Anschluß beim Pokerspiel. Nun hat er das nötige Kleingeld, um das Restaurant „Zum goldenen Krug“ in einem abgelegenen Bezirk Helsinkis zu kaufen. Der Laden läuft wie eine schlecht geölte Maschine, der Vorbesitzer versichert Wikström jedoch, dass jede Menge wohlhabende Studenten in der Nachbarschaft leben würden. Die Speisekarte verspricht Fleischbällchen sowie ein Gericht, das sich aus einer Dose Sardinen, Kartoffeln und einer Salzgurkenscheibe zusammensetzt. Das Personal besteht aus einem rauchenden Koch, einem stoischen Empfangschef und einer Kellnerin. Nach einer knappen Dreiviertelstunde führt Kaurismäki den warmherzigen Syrer und den technokratischen Finnen zusammen und lässt sie eine Solidargemeinschaften bilden, wie es so viele gibt in Die andere Seite der Hoffnung.
Eine Selbstverständlichkeit
Aki Kaurismäkis Finnland erstrahlt in kräftigem Schwarz und wunderbaren Blautönen, die Anzüge sind seiden, die Autos amerikanisch, und an jeder Ecke gibt es Rock’n’Roll zu hören. Der Regisseur, der seinen Film als einziger Teilnehmer des Wettbewerbs auf 35mm-Analog-Film und nicht als digitale Kopie zeigte, entwirft eine Welt der Brüderlichkeit und des Humanismus. In Kaurismäkis Universum, das wir zu großen Teilen natürlich schon aus seinen früheren Filmen kennen, sind militärische Gräueltaten, Neonazis und systemische Unmenschlichkeit durchaus existent, es wird sich ihnen jedoch konsequent und gemeinschaftlich entgegengestellt.
Die entscheidende Passage in Die andere Seite der Hoffnung ist die, in der Khaled und Wilkström im Hinterhof von „Zum goldenen Krug“ zum ersten Mal aufeinandertreffen. Nach einem Wortgefecht kommt es zu einem äußerst kurzen Boxkampf zwischen den beiden, der für Khaled erstmal kein gutes Ende nimmt. In der nächsten Einstellung sitzt der Syrer dann vor einem Teller Suppe neben Wikström im Speisesaal des Restaurants. Kurze Zeit später wird er von einem Angestellten vermessen, damit in den beengten Räumlichkeiten ein geeigneter Schlafplatz für ihn gefunden werden kann. Aber warum hilft Wilkström ihm überhaupt, wundert sich der Zuschauer zwangsläufig. Doch diese Art der kritischen Hinterfragung existiert in Kaurismäkis Welt nicht. Wikström tut es, weil es selbstverständlich und richtig ist. So einfach ist das!
Die andere Seite der Hoffnung
Finnland/Deutschland 2017
Regie: Aki Kaurismäki
Darsteller: Sherwan Haji, Sakari Kuosmanen, Janne Hyytiäinen, Ilkka Koivula, Nuppu Koivu, Kati Outinen
Kinostart: 30.03.2017