Indies gegen Apple Music (UPDATE)Ein offener Brief, die große Musiklüge und keine Alternativen
19.6.2015 • Internet – Kommentar: Thaddeus HerrmannDer VUT, der „Verband unabhängiger Musikunternehmen“ in Deutschland, fordert in einem offenen Brief an Apple Nachbesserungen beim Bezahlmodell des Streaming-Dienst „Apple Music“. Dass Fans den drei Monate umsonst nutzen können, klingt gut. Dass Musiker und Labels in dieser Phase jedoch keinerlei Tantieme erhalten, sorgt für Unbehagen. Wie wird es mit der Musik weitergehen? Landen wir alle in einer Sackgasse? Zeit für eine Bestandsaufnahme.
UPDATE: Nach einem weiteren offenen Brief, dieses Mal von Taylor Swift, hat Apple nun zurückgerudert und will auch während der dreimonatigen Umsonstphase von Apple Music bereits Tantieme zahlen. Mehr dazu am Ende des Artikels.
Apple streamt. Am 30. Juni schon geht „Apple Music“ an den Start, ein längst überfälliger Paradigmenwechsel in Apples Musikstrategie. Weg von den Downloads im iTunes Store, hin zum Streaming. Für über drei Milliarden US-Dollar hatte man dafür das Beats-Imperium von Dr. Dre und Jimmy Iovine übernommen. Dass die Firma Kopfhörer am laufenden Meter verkauft, war dabei eine gern genommene Dreingabe, aber bestimmt nicht der ausschlaggebende Punkt. Wichtiger als das große B auf den Ohrmuscheln waren vermeintlich gute Kontakte in die Musik-Branche, die (meiner Meinung nach) falsche Sorte von street credibility und vor allem die Tatsache, dass Beats Music einen eigenen Streaming-Dienst hatte. Einen Service, der zwar nur in den USA operierte, zum Zeitpunkt der Übernahme durch Apple jedoch schon Verträge für zahlreiche Länder in der Tasche hatte: digitales Gold. Denn mit Plattenfirmen, Musikverlagen, Interessensverbänden und Verwertungsgesellschaften Verträge für jedwede digitale Verwertung auszuhandeln ist mühsam, langwierig und frustrierend. Soundcloud läuft aktuell Gefahr, daran zu zerbrechen, YouTube schiebt die Schuld öffentlichkeitswirksam auf die GEMA und Spotify verdient sowieso kein Geld.
##Streaming lohnt sich nicht
Streaming-Anbieter sind in der Branche nicht sonderlich beliebt. Der Vorwurf: zu niedrige Tantiemen und ein vollkommen undurchschaubares Abrechnungsmodell. Das große Schachern und Cent-Beträge mit vielen Nullen davor. Lukrativ ist das nicht. Da kann der Platzhirsch Spotify noch so beharrlich darauf verweisen, allein im ersten Quartal 2015 bereits 300 Millionen US-Dollar an Tantiemen ausbezahlt zu haben. Streaming lohnt sich nicht. Weil kein Streaming-Anbieter fair bezahlt. Und dann passiert das, was immer passiert, wenn einer dieser verflixten „disruptiven“ Technologien nicht nur in den Markt geht, sondern – Schocker! – auch noch von den Konsumenten für gut befunden und genutzt wird. Immer mehr. Man versucht sich, das Trümmerfeld, vor dem man steht, schönzureden. Da wird von „Chance“ gesprochen, von „Promotion“, von der Möglichkeit, mit so einem Quasi-Radio den Verkauf von Tonträgern anzukurbeln und dafür nicht einmal Anzeigen schalten zu müssen, sondern sogar noch – wenn auch wenig – Geld bekommt.
Ein Irrsinn. Denn auch, wenn das Prinzip Streaming für viele eine Möglichkeit ist, neue Musik zu entdecken: Die Möglichkeit, sich seine so gefundene Musik auf dem Telefon zu speichern und zu Hause über drahtlose Lautsprecher zu hören, reicht der Masse. Das ist nämlich die gleiche Masse, die sich früher LPs auf Kassette überspielt oder später CDs in der Videothek geborgt hat, um sie zu rippen. Der Verkauf von Tonträgern ist also kein Argument. Streaming wird immer beliebter, CD-Verkäufe sinken und Vinyl spielt trotz wieder steigender Popularität jenseits der Liebhaberei keine messbare Rolle. Und was ist mit der Promotion? Noch so eine Lebenslüge. Die wird gemeinhin so argumentiert. Ja, Musiker verdienen weniger Geld mit Alben, da die Verfügbarkeit von Musik aber immer demokratischer wird, bietet sich ihnen so die Chance, mehr Konzerte zu spielen und den Verdienstausfall im Plattenladen auf der Bühne zu kompensieren. Seither wird bis zur völligen Erschöpfung getourt. Auch die Ticket-Preise explodieren seit einigen Jahren, was nicht nur steuerliche Gründe hat. Auf wie viele Konzerte man wohl pro Woche gehen kann? Wer hat die Zeit und das Geld dafür? Eintrittskarte, zwei Bier und vielleicht noch ein Taxi zurück nach Hause? Willkommen in der Wohlstandsgesellschaft.
In so einer Situation geht Apple locker als Heilsbringer durch. Dass es die Firma in der Vergangenheit geschafft hat, die Musikindustrie zu verändern, steht außer Frage. Das „Prinzip iTunes“ war eine smarte Idee, die Bezahlung mehr als fair – wer etwas anderes behauptet, hat den falschen Vertrag mit dem falschen Aggregator – und mittlerweile buhlen auch zahlreiche Mitbewerber um das Geschäft mit den Downloads. Wenn Apple also zukünftig auch Streaming anbieten will, dann muss es doch auch fair zugehen, sollte man meinen. Ganz im Gegenteil – das war zumindest der Tenor in den vergangenen Tagen, als Musterverträge von Apple durch das Netz geisterten. Der – mehr als verständliche – Aufreger: Anders als Spotify, Tidal, Rdio und Co. lässt Apple seine Streaming-Kunden nicht vier Wochen, sondern volle drei Monate den Service ausprobieren. Und will während diesem Zeitraum keinen einzigen Cent an Tantiemen ausbezahlen. Autsch.
##Apple ist nicht die Caritas.
Drei Monate kein Geld? Das haben sich die Majors mit Sicherheit nicht bieten lassen. Es ist also davon auszugehen, dass Apple mit zweierlei Maß misst, zumindest in den ersten drei Monaten. Mit zweierlei Maß kennen sich die anderen Streaming-Anbieter auch gut aus. Erst kürzlich veröffentlichte The Verge einen Vertrag zwischen Sony Music und Spotify. Ein echter Schenkelklopfer, der einen fast dazu veranlassen konnte, die Sammelbüchse für Spotify rumgehen zu lassen.
Die Musikindustrie war schon immer ein fieses Geschäft. Dass man mit Platten als Musiker kein Geld verdient, ist nicht erst Thema, seit Songs vor allem digital verteilt werden. Plattenfirmen und Manager sind genauso korrupt und von zweifelhafter Moral wie die New Economy im Internet. Aber nun auch noch so ein Gebaren bei Apple? Sind das nicht die Guten?
Apples Move ist einfach dämlich. Aber: Apple ist auch nicht die Caritas.
Denn natürlich müsste Apple in genau so einer Situation beweisen, dass man die angesammelten Barreserven des Unternehmens sinnvoll investieren und auch die kleinen Labels in der Testphase des Services für abgerufenen Streams vergüten kann. Zu rechnen war damit jedoch nicht. Die Empörung ist dennoch groß. Jörg Heidemann, Chef-Lobbyist des „Verband unabhängiger Musikunternehmen“, kurz VUT, hat einen offenen Brief an Tim Cook geschrieben, um Erklärung gebeten und Nachbesserungen angemahnt. Das ist ein feiner Zug. Ändern wird es nichts.
„Dear Tim Cook, dear Eddy Cue,
I am writing to you today regarding the terms of your new streaming service Apple music. We, the German Association of Independent Music Companies, represent 1,300 German music companies – labels, publishers, distributors, aggregators, self-marketing artists etc. Our members produce 35 % of the recorded music used in Germany. They embrace innovative ideas to connect with music fans and the long-term relationships to their artists are at the core of their businesses.
We always believed that Apple aims at reaching fair deals with all players and not just with the three remaining major labels. The terms of the contracts sent to independent labels unfortunately tell a different story. You want to make Apple Music THE platform for music lovers worldwide by bringing them “more music than ever with access to millions of songs”. In our opinion – and as other cases like Myspace have proven in the past – you won´t succeed if you don´t take the independent music companies on board.
Your plan not to compensate independent labels during the three-month trial period leads to the assumption that you don't respect the music of independent artists or the work their partners do. It is obvious that this will reduce the overall income for independent artists and labels significantly at a time when many depend on every cent for survival.
Your company is not a start-up, your company is the “first U.S. company to cross the $700 billion valuation mark” and the biggest digital music retailer, so we´d assume you´re definitively able to pay the independents and their artists.
Your company wants to use the content independent artists and their partners created, which took hard work, money and time. My guess is that without this music Apple Music won´t be that interesting, actually it might be quite boring with just mainstream acts on board.
Independents shouldn´t be the ones paying for your customer acquisition and the risk of the launch of your service. Instead, you should pay all partners as you did in the past. Apple used to be a highly valued partner of independent music companies and we´d like to see this relationship continue.
This means it should go without saying that you pay for the music you´re using in your new service, starting the first day of its launch and not after a period of three months. Show the respect for the work of the artists and their partners you used to show in the past!
Apple Music can definitively become a great place for music but you should try to reach that aim WITH the independent artists and labels. To get the independents on board, offering a fair deal, fair compensation and a seat at the table is the basis.
Therefore, we´d really appreciate an explanation for Apple´s behaviour towards independent music companies and hope that Apple will rethink its contract terms. We´re ready to talk, so are many independents worldwide.“
Sincerely yours,
Jörg Heidemann
Secretary General
Denn auch wenn es ein Affront gegenüber der so genannten Kreativwirtschaft ist, drei Monate umsonst zu arbeiten, ist die eigentliche Gefahr eine ganz andere. Apple vergibt mit dieser Ansage eine große Chance, ein Alleinstellungsmerkmal, dass tatsächlich mit dafür verantwortlich sein könnte, dass „Apple Music“ ein Erfolg wird: musikalische Diversität. Dass der Service bei der breiten Masse einschlagen wird, gilt zwar als sicher. Totschlagargument: Apple verzeichnet 800 Millionen iTunes-Konten mit den entsprechenden Kreditkarten-Informationen. Wie viele von diesen Konten tatsächlich genutzt werden und wie viele der Kreditkarten noch nicht abgelaufen sind, wird nicht kommuniziert, spielt auf diesem Niveau aber auch keine Rolle. Apple liegt vorne in Sachen Kundenbindung. Auch, weil iTunes viele Inhalte parat hat, die im Streaming-Dschungel für gewöhnlich auf der Strecke bleiben. Das Portfolio kleinerer Labels, ältere Produktionen, obskure B-Seiten und Remixe. Denn viele Labels, Rechteverwerter, mittlerweile im Ruhestand befindliche „Chefs“ ehemaliger Kleinstlabels haben weniger Probleme damit, ihren Katalog digital zum Verkauf anzubieten – fairy Deals –, als es auch für das Streaming zur Verfügung zu stellen. Nachvollziehbar bei den Kleckerbeträgen, die da reinkommen. Wenn diese Inhalte verlorengehen, hat Apple ein Problem.
Als der iTunes Store an den Start ging, bemühte sich Apple aktiv darum, auch kleine Labels mit ins Boot zu holen. Eine „Hallo, wie geht's“-Mail, ein Vertrag zum Gegenlesen, Hilfe beim Ausfüllen der US-amerikanischen Steuerunterlagen. Man fühlte sich ernst genommen, verdrängte lästige GEMA-Problematiken und machte mit. iTunes ist seither mehr Indie als Spotify und Tidal zusammen. Wenn Apple diesen Teil des Katalogs nicht für das Streaming lizenzieren kann – die neuen Verträge mit der 0-Prozent-Klausel wurden bereits verschickt –, sich also viele kleine Labels gegen den neuen Vertrag entscheiden, dann wird Apple Music so langweilig wie Deezer. Und das wäre die eigentliche Katastrophe. Für alle Beteiligten. Das soll keine Aufforderung dafür sein, die Streaming-Verträge wortlos zu unterschreiben, die meisten Labels werden es aber dennoch genau so tun.
Denn es ist das gleiche disruptive Moment wie bereits oben erwähnt. Verdient man damit etwas? Nein. Kann man es sich leisten, nicht dabei zu sein? Nein. Andere Vorschläge? Nein. Mittlerweile hat Apple zu Protokoll gegeben, rund 70 Prozent der Streaming-Einnahmen an Verwerter auszuzahlen. Damit liegt man auf Spotify-Niveau. Es ändert sich also nicht wirklich etwas, es kommt lediglich ein neuer Anbieter dazu. Ein mächtiger, keine Frage. Aber eben auch ein einflussreicher, dessen Sog und Strahlwirkung man besser nicht verpassen sollte. Vielleicht kann man ja dem XLR8R oder Pitchfork in dieser Zeit drei Tracks weniger als Umsonst-Download zur Verfügung stellen. Den Kunden ist es derweil sowieso egal. Die finden immer Mittel und Wege, Musik so preisgünstig (umsonst) zu bekommen.
Musik wird heute von den Labels höchstens noch verwaltet. Die nötigen Ausspielwege werden längst von anderen Unternehmen – den Streaming-Diensten – kontrolliert, die zwar nicht nach Lust und Laune schalten und walten können, aber doch den Ton angeben. Dabei spielt es keine Rolle, wie viele Labels nun beim Apple-Streaming mitmachen, oder ob Sony Music seinen Vertrag mit Spotify verlängert oder nicht. Die Mühlen mahlen viel schneller, als dass solche Entscheidungen mittelfristig von Bedeutung wären. Diese Suppe hat sich die Musikindustrie selbst eingebrockt. Gegen Unverschämtheiten aufzubegehren ist wichtig, aber nicht länger nachhaltig. Denn das Gleichgewicht zwischen Inhalten und Distribution, dieses Geben und Nehmen, das ewig neue Austarieren von Befindlichkeiten, Forderungen, finanziellen Interessen und verbindlichen Absprachen existiert nicht mehr. Ob sich dieses Missverhältnis noch einmal neu aufstellen lässt? Vielleicht erst, wenn sich Streaming doch irgendwie lohnt. Erleben werden wir das jedoch alle nicht mehr.
UPDATE, Montag 22. Juni
Via Twitter hat Apple-Manager Eddy Cue klargestellt, dass Apple vom ersten Tag an Tantieme zahlen wird. An alle Künstler. Das ist gut und überfällig, wirft jedoch natürlich die Frage auf, was mit den Verträgen passiert, die von den Labels bereits unterschrieben wurden und somit die Umsonst-Nutzung gezeichnet haben. Wenn hierzu neue Informationen eintreffen, reichen wir sie sofort weiter.