Ein anderer Vibe, ein anderes AuflegenInterview mit Lucas Brell und Dennis Keschtidar von „Zur Klappe“
26.8.2019 • Kultur – Interview & Fotos: Ji-Hun KimClubs gab es schon in so ziemlich allen möglichen Locations. Alte Fabrikhallen, Kraftwerke, Schwimmbäder – in den vergangenen Jahrzehnten gab es wenig, was nicht zum Club umfunktioniert wurde. Dass eine ehemalige städtische, unterirdische Toilette hingegen zum Underground-Spot von Berlin werden würde, überrascht auch in der (Club)-Hauptstadt. Obwohl man eigentlich schon so gut wie alles gesehen hat. Der Club „Zur Klappe“ wurde im vergangenen Jahr eröffnet, hat eine Kapazität von gerade mal 150 Menschen und ist gerade deshalb auch für Superstar-DJs besonders reizvoll. Ein Gespräch mit Lucas Brell und Dennis Keschtidar, die für das künstlerische Programm und Booking der Klappe verantwortlich sind.
Was ist die Geschichte dieser Location?
Lucas: Früher gab es in Deutschland den Paragraphen 175, unter dem gleichgeschlechtliche sexuelle Aktivitäten kriminalisiert waren. Das stand unter Strafe. Mitte der 80er wurde in Berlin die Gay-Szene immer größer. Man hatte daher Orte gesucht, an denen man unverbindlich Sex haben konnte – die sogenannten Klappen. Diese Klappen gab es an vielen Orten. Unter anderem waren das aber öffentliche Toiletten. Wie am Schlesischen Tor, wo jetzt der Burgermeister drin ist. Anfang der 90er gab es eine große Heroinwelle, wo sich auch hier einige Leute tot gespritzt haben. Die Stadt Berlin hat diese Fläche von dem früheren Betreiber gekauft.
Dann ist aber lange nichts passiert.
Lucas: Das Gebäude wurde erstmal für mehrere Jahrzehnte versiegelt. 2013 wurde hier eingebrochen – dann wurden illegale Partys in den Trümmern veranstaltet. Danach hat die Stadt diese Fläche ausgeschrieben. Einige wollten das Areal einfach zuschütten. Da aber Hauptgas- und Hauptwasserleitung, wie der U-Bahn-Tunnel ganz nah dran sind, ging das nicht. Das wäre sehr teuer geworden. Über die Leute von der Club Commission haben wir von der Ausschreibung erfahren. Unsere heutigen Geschäftsführer Flint Neiber und Sören van Laak haben daran teilgenommen, und wir haben den Zuschlag bekommen. Mit Behörden und den ganzen Dingen hat das zwei Jahre gedauert. Am 13. Januar 2018 haben wir den Laden offiziell eröffnet.
Wie seid ihr aufgestellt? Welche Unternehmensform habt ihr für den Laden ausgewählt?
Lucas: Wir sind eine UG, daran beteiligt sind Flint Neiber und Sören van Laak. Die werden auch als Betreiber genannt. Im Kernteam sind wir zu fünft – da passiert aber alles auf Augenhöhe. Da bringt jeder seine Expertise mit.
Könnt ihr das schon hauptberuflich machen?
Dennis: Derzeit nicht.
Lucas: Das ist nicht möglich, was schade ist. Ob man nun Club oder Konzerthaus ist. Das ist ja immer ein Risikogeschäft. Gerade wenn man eine Kapazität hat wie wir, wo maximal 150 Leute reinpassen, gibt es nicht viel Budget für große Bookings, und viel bleibt nicht hängen. Wir zahlen uns ein wenig aus, aber die laufenden Kosten sind recht hoch, dafür dass wir nur drei Tage die Woche aufhaben.
Mittlerweile ist es ja schwierig geworden, was Frisches und Kleines in Berlin aufzubauen. Die Umstände sind andere als vor zehn Jahren. Was waren eure Challenges?
Lucas: Einiges. Die größte Challenge war für mich, aus dem recht behüteten und liberalen Hamburger Kontext rauszukommen. Dann kommt man nach Berlin, hat erst wenige Kontakte, und dann zuzusehen, dass das Ding hier anläuft – das war tricky. Hier ticken die Uhren ein bisschen anders. Es gibt einfach mehr Wettbewerb. Heute haben wir eine Position erreicht, in der viele gerne mit uns arbeiten wollen. Aber am Anfang ist man erstmal gegen Wände gelaufen. Je mehr Leute den Club gesehen haben, desto interessanter wurde das auch. Mittlerweile sind wir sehr gut vernetzt.
Dennis: Dass wir so klein sind, ist unser Kapital. So etwas gibt es in Berlin ja wirklich nicht mehr. Viele DJs, die nur noch in großen Clubs und auf Festivals spielen, haben aber auch mal Lust auf was Kleines und Intimes und spielen dann auch für die Gage, die wir zahlen können. So kann die Größe des Clubs nicht nur Nachteile haben.
Zumal in Berlin heute oft exklusiv gebucht wird. Wenn jemand bspw. im Berghain auflegt, darf er oft einige Zeit vorher und nachher nicht in der Stadt spielen. Betrifft euch das auch?
Lucas: Ich sag mal so. Wir haben ein bisschen Glück und so geht es auch, dass ein Berghain-DJ wie Efdemin mal bei uns spielt.
Dennis: Mit so einem kleinen Laden kann man nicht viele Leute abfischen. Daher finden das die meisten in Ordnung. Da hat man das Gefühl, dass viele ein Auge zudrücken. Wir sind ja keine wirkliche Konkurrenz.
Vielleicht taugt es einigen auch, wieder ein bisschen Street Credibility zu bekommen?
Lucas: Viele DJs freuen sich auf die Klappe. Die sind relaxt, trinken an dem Abend auch mal wieder was. Die sind nicht wie sonst nur für zwei Stunden im Laden, um dann wieder den nächsten Flieger zu kriegen.
Wie definiert ihr euer musikalisches Konzept?
Lucas: Elektronische Musik – viel Techno und House.
Dennis: Da kennen wir uns auch einfach gut aus. Wir haben viele Experimente gemacht. Aber man braucht einen persönlichen Zugang zu dem Sound, damit die Abende auch gut werden. Es wäre nicht ehrlich, hier Musik zu buchen, die nicht unsere Welt ist. Wir arbeiten viel mit Crews zusammen, die bringen jeweils auch ihren Input mit.
Lucas: Wir stehen persönlich viel auf House. Techno spielt hier dennoch eine wichtige Rolle. Vieles wird zur Zeit wieder schneller, raviger – das haben wir natürlich auch. Da passieren viele spannende Sachen. Drei Tage hintereinander das gleiche Geboller wollen wir aber vermeiden. Hier haben schon Ellen Allien gespielt, Richie Hawtin, Delta Funktionen, Rødhad, Alex Do, Manamana – von superfinsterem Techno bis zu Disco House ist alles dabei.
Dennis: Wir haben einen guten Draht zu vielen Leipzigern, die laden wir schon oft und gerne ein. Ob das Label Kann Records oder die Leute vom IfZ, mit denen können wir seit jeher sehr gut. Das ist ein sehr freundschaftliches Verhältnis.
Wie ist es gekommen, dass Richie hier war?
Lucas: Ein befreundeter Booker rief eines Tages an und fragte, ob wir nicht mal Riche Hawtin machen wollen. Eines Abends stand Richie da. Er hatte sich für die Achtpunkt-Anlage von Funktion One interessiert, die bei uns steht. Dann fragte er, wie das so sei, ob wir einen seiner Model-Mixer an den Start kriegten. Ich entgegnete nur, wenn er einen mitbringt, könne man das machen. Dann wollte er zwölf Flaschen Sake haben. Auch da meinte ich: Du kannst ihn gerne mitbringen.
Dennis: Hat er dann auch.
Lucas: Dann hatte Richie Hawtin hier einen guten Abend, hat seinen Sake getrunken und gespielt. Wir haben das nicht angekündigt, stehen seitdem aber im Kontakt und vielleicht hecken wir noch mal was zusammen aus. Ich denke durchaus, dass wir den einen oder anderen Künstler auch mal in den Underground zurückholen können. Wenn jemand wie Richie nur Festivals wie Time Warp und Awakenings mit 12.000 Leuten rockt, dann ist so ein Abend mit 150 Leuten auch für ihn speziell. Man hat gemerkt, dass er da richtig Bock drauf hat. Viele wollen wieder mal back to the roots.
Dennis: Auf den großen Festivals hat man auch nur zwei Stunden – und spielt sein Hit-Programm. Hier kann man auch mal wieder anders und ausgedehnter spielen. Da entsteht ein anderer Vibe. Das ist anderes Auflegen.
Was sagen die Nachbarn zu euch? Hier ist ja schon das gesetztere Kreuzberg.
Dennis: Das Millionärs-Kreuzberg.
Lucas: Kürzlich stand die Polizei wegen nächtlicher Ruhestörung vor der Tür. Wir wollen dringend mit den Anwohner*innen in den Diskurs gehen, sie einladen, die Fläche zeigen, und erklären, was wir hier machen. Das ist nicht immer einfach. Die eine Straßenseite ist uns sehr wohlgesonnen. Die Besitzer vom italienischen Restaurant gegenüber sind gute Freunde geworden. Ein Künstler, der darüber sein Atelier hat, sagt, er höre gar nichts. Es gibt aber auch andere Nachbar*innen. Sören und Flint haben einen Mietvertrag für zwölf Jahre unterschrieben. Mindestens neun Jahre soll es die Klappe hier noch geben.
Dennis: Wenn man auf der Straße oder auf der Insel selbst steht, hört man eigentlich nichts so richtig. Auch nicht am Curry 36. Vielleicht gibt es Vibrationen, die über die Straße in die Häuser dringen.
Lucas: Es kann vorkommen, dass ein halber Kanister Nebel-Fluid durch die Lüftung nach draußen gelangt ist. Das kommt dann über den Schornstein raus. Da gab es schon welche, die dachten, es würde bei uns brennen. (lacht)
Was gibt es noch für Pläne?
Dennis: Mit Janosch Ahlers zusammen wollen wir das Thema Booking verstärken. Residents auch mal auswärts verbuchen, und natürlich wollen wir als Label auch Platten machen.
Lucas: Die Idee ist aus dem Laden heraus geboren. Wir machen derzeit halb das Label und halb den Club. Die Grenzen verschwimmen da manchmal. Das Label wird „Sun Sad“ heißen.
Dennis: Wenn alles gut läuft, wird es Anfang nächsten Jahres die erste Veröffentlichung geben.
Lucas: Die Sache soll sich weiter entwickeln. Ich habe die Theorie, dass man als Booker ein paar gute Jahre in einem Club haben kann, und dann muss man den Staffelstab weiterreichen. Wenn man nicht in einer ewigen Dauerschleife festhängen will, ist das ab einem gewissen Punkt schwierig, ein super tightes und innovatives Booking abzuliefern. Wir wollen aber perspektivischer arbeiten. Wir möchten Künstlerbetreuung, Management, Booking und Veranstaltungsdienstleistungen anbieten. Dennis und ich betreuen dieses Jahr die große Techno-Stage auf dem Melt Festival. Auch solche Sachen wollen wir über das Agenturgeschäft abwickeln, um eine stabile Wirtschaftlichkeit aufzubauen.
Dennis: Wir haben hier mit den ersten Jahren viele spannende Kontakte aufbauen können. Das Netzwerk wird ständig größer. Die Agentur wird immer eine Verbindung zum Laden haben, man kann das nun aber anders kanalisieren.