„Wir betreiben unsere eigene Kulturförderung“Die Macher vom Berliner Club Gretchen im Interview
22.10.2018 • Kultur – Interview: Ji-Hun KimDas Duo Pamela Schobeß und Lars Döring bereichert und beeinflusst seit über 20 Jahren die Berliner Club- und Musikszene wie kaum ein zweites. Fernab des Techno-Diktats der Hauptstadt schufen beide erst mit dem legendären Icon von 1997 bis 2012 im Prenzlauer Berg und seit 2011 mit dem Gretchen in Kreuzberg eine Plattform für eine vielseitige Szene, die quasi selber mit geschaffen wurde. Der Spektrum im Gretchen reicht von exklusiven Auftritten renommierter Drum-and-Bass-Weltstars, DJ-Legenden wie Mr. Scruff von Ninja Tune, aber auch afrikanischer Künstler, HipHop-Artists und Jazz-Combos. Offenheit ist das Credo der beiden und die niemals endende Leidenschaft für gute Musik. Ji-Hun Kim sprach mit ihnen über den Club als Wohnzimmer, Gänsehautmomente und das nötige Gespür bei der Künstlerbetreuung.
Das Gretchen ist ja bekanntlich nicht euer erster Club. Zuvor habt ihr schon das legendäre Icon betrieben. Könntet ihr dennoch in ein paar Sätzen etwas zu euerm Hintergrund und Werdegang erzählen?
Lars: Ich komme ursprünglich aus Berlin und mache das nun seit 25 Jahren. 1993 habe ich mit dem ACUD gestartet. Da habe ich nicht nur den Club betrieben, sondern auch das dazugehörige Kulturhaus gemanagt. Das gibt es heute immer noch in Berlin-Mitte und heißt „ACUD macht neu“, wird aber von einem vollkommen anderen Personenkreis betrieben. Davor habe ich zwar schon aufgelegt, aber so bin ich mehr oder weniger zum Club machen gekommen. Nach dem ACUD ging es für uns mit dem Icon los und seit sechs Jahren sind wir für das Gretchen verantwortlich.
Pamela: Mit dem Icon ging es bereits 1996 los. Erst gab es nur unregelmäßige Partys, 1997 fing der Regelbetrieb an. Ich war einmal als Gast dort, habe Lars kennengelernt, und wir haben uns ineinander verliebt. Lars wollte sich zu der Zeit einen Geschäftspartner dazuholen, weil die Arbeit alleine zu intensiv war. Dann gab es zunächst auch einen, mit dem es aber nicht funktioniert hätte. Lars ging es nie um Kommerz. Natürlich muss man finanziell solide aufgestellt sein. Aber die Leidenschaft für die Musik stand - und steht - immer vor dem Geld. Mit dem, den Lars sich ausgesucht hatte, wäre das so nicht zu machen gewesen. Das hat man gleich gemerkt. Da Lars aber Hilfe brauchte, habe ich angeboten, ein bisschen mit zu organisieren. Und seitdem machen wir das zusammen. Erst das Icon und seit 2011 das Gretchen. 2012 mussten wir das Icon leider schließen.
Lars: Wir treffen heute immer noch viele Menschen, die uns erzählen, dass sie mit dem Icon aufgewachsen sind. Viele, von denen man das gar nicht erwarten würde. Das ist immer wieder faszinierend. Obwohl das Icon seit sechs Jahren nicht mehr existiert, wird man immer noch wöchentlich darauf angesprochen. Das geht einem nahe und hätte ich auch rückblickend nie gedacht.
Man merkt immer erst, dass etwas fehlt, wenn es nicht mehr da ist.
Pamela: Das war schon hart, als wir zumachen mussten. Als wir anfingen, waren wir gerade mal 22/23 Jahre alt und wir haben 15 Jahre unseres Lebens darin verbracht. Wir sind im Icon erwachsen geworden und haben ein ganz eigenes Stammpublikum aufbauen können. Für viele war es wie ein Wohnzimmer. Wir haben alles Geld, auch das, was wir nicht hatten, da reingesteckt. Als dann wirklich geschlossen werden musste, war das für alle echt traurig. Dann gab es auch noch eine Sitzblockade von Gästen, die nicht gehen wollten.
Wie schafft man es, so lange dabei zu bleiben? Muss man sich immer wieder neu motivieren? Will man irgendwann nicht mal was anderes ausprobieren? Ausgebildete Veranstaltungskaufleute seid ihr ja beide nicht, oder?
Lars: Die Ausbildung gab es damals noch gar nicht. Wobei Pamela eine klassische kaufmännische Ausbildung absolviert hat.
Pamela: Ich bin gelernte Bankkauffrau.
Hilft das?
Pamela: Total. Hätte ich nie gedacht. Die Ausbildung war die Hölle und ich wollte sie am Anfang gleich abbrechen. Aber als Auszubildende hat man in der Bank auch nicht so schlecht verdient und so hab ich das schließlich doch durchgezogen. Es hilft extrem. So gesehen bin ich sehr dankbar, dass ich diese Ausbildung gemacht habe. Im Anschluss habe ich noch Kommunikationswissenschaften studiert. Das hilft auch.
Lars: Ich habe parallel zum Club einen Abschluss in Politologie gemacht. Das Clubmachen war alles „learning by doing“. Ich finde, das ist für das Business immer noch das Beste. Meine Motivation, die mich antreibt, ist qualitativ gute Musik. Wir möchten Andersartigkeit, unterschiedliche Kulturen und Leute zusammenbringen. Das treibt einen an. Und ehrlich, gerade aus dieser Perspektive finde ich die Welt heute so spannend wie nie zuvor. Es gibt so viel musikalisch zu entdecken. Wir möchten uns nicht einschränken. Wir machen fast alles außer Techno.
Pamela: Mich machen die Nächte noch immer glücklich. Wir sind so gut wie jeden Abend im Club. Das mag heute für Clubbetreiber ungewöhnlich sein, gerade wenn sie das so lange machen. Aber für mich gibt es nichts Schöneres, wenn ich sehe, wie die Crowd die Arme hochreißt und schreit. Ich krieg da heute noch Gänsehaut.
Ihr habt schon Spaß am Gastgeber sein?
Pamela: Wir sind ja immer irgendwo. Ich bin viel an der Bar oder auch mal an der Tür. Lars kümmert sich um die Künstler. Wir bleiben aber gerne im Hintergrund. Viele wissen, wer wir sind, aber wir achten einfach auch darauf, dass alles läuft.
Ihr wart mit eurer musikalischen Ausrichtung für Stile wie Drum and Bass und ähnliche Spielarten sehr wichtig für die Entwicklung von Berlin. Aber wie würdet ihr in eigenen Worten euer Profil beschreiben?
Pamela: Offenheit ist superwichtig. Egal, wer hier spielt, einem von uns muss das gefallen. Grundsätzlich machen wir keine Sachen, die wir nicht gut finden. Lars ist für das Booking verantwortlich, aber wir besprechen viele Dinge gemeinsam, auch was die Musik anbetrifft. Unser qualitativer Anspruch ist ausschlaggebend. Und Techno finden wir beide einfach ein bisschen langweilig. Das geht unserem Publikum auch so.
Ihr seid da offenbar gemeinsam gewachsen.
Lars: Auf jeden Fall. Es gibt ein Berliner Publikum und ein internationales Musik-Nerd-Publikum. Wir bekommen immer wieder Anrufe und E-Mails von Menschen, die bei uns fragen, was demnächst Interessantes bei uns spielt, weil sie ihre Berlin-Trips danach planen. Da reisen Musikfans extra für eine Sache an. Das ist toll. Zu sagen, dass wir eine No-Techno-Policy hätten, finde ich aber auch falsch. Das ist einfach nicht der Punkt. Da geht es nicht um Attitüde sondern um persönlichen Geschmack. Seit einigen Jahren machen wir viel im Bereich Jazz. Diese Schnittstellen zwischen Jazz und elektronischer Musik sind heute sehr präsent und an solchen Abenden findest du bei uns den 18-Jährigen neben dem 75-Jährigen im Publikum und sie feiern gemeinsam die Musik ab. Vor zwei Jahren hat der New Yorker Trompeter Avishai Cohen bei uns gespielt. Die Band, das Label und die Manager waren erst sprachlos, dass wir eine unbestuhlte Location haben. Konnten später aber gar nicht fassen, wie gut das dennoch gepasst hat und eine ganz besondere Atmosphäre geschaffen hat. Grenzen auch mal zu sprengen, das reizt uns. Wir arbeiten viel mit afrikanischen Künstlern oder es gibt arabische Musik und am Abend danach ein HipHop-Konzert. Diversität ist uns wichtig.
Es gibt viele internationale Labels wie Ninja Tune, die ihre Künstler in Berlin fast ausschließlich bei euch spielen lassen. Große Drum-and-Bass-DJs wie Roni Size und LTJ Bukem spielen wenn auch immer bei euch. Wie baut man solche langjährigen Verbindungen auf?
Lars: Das hat viel mit persönlichen Kontakten und Geschichten zu tun. Ein DJ wie Mr. Scruff spielt für uns seit über 20 Jahren. Das entwickelt sich und wenn eine Freundschaft erstmal aufgebaut ist und beide das gleiche Gefühl, die gleiche Energie teilen und dann auch noch das Verständnis von Musik übereinstimmt, dann baut sich etwas auf, das man gemeinsam weiterführen möchte.
Pamela: Da geht es um Vertrauen. Wir sind mit den jeweiligen Menschen verbunden und empfinden so etwas wie eine gemeinsame Vision. Nach einiger Zeit hat man sich gut eingespielt. Man kennt sich und man weiß auch, was man voneinander erwarten kann. Grooverider spielt seit den 90ern für uns. Erst kürzlich war er wieder da. Dann wissen wir einfach, dass er gerne erstmal eine Cola trinkt, wenn er ankommt – man kennt sich einfach.
Gerade Stars aus dem Drum and Bass gelten oft als schwierig.
Pamela: Das stimmt und das hört man immer wieder. Aber wir haben solche Probleme nie gehabt. Man muss sich einfach im Klaren sein, dass viele dieser Künstler jedes Wochenende irgendwo anders sind und im Hotel wohnen. Die meisten sind so gut wie nie zu Hause. Wenn man dann überambitionierte Fahrer hat, die im besten Falle auch noch selber Musik machen und ihren Star zutexten, ist der Künstler vielleicht auch mal nicht ganz so gut gelaunt. Viele freuen sich, dass sie den Künstler kennenlernen dürfen – das tun wir natürlich auch –, aber vergessen oft deren Perspektive.
Lars: Man braucht das Gespür dafür. Artist Care ist ein wichtiger Aspekt in dem Business. Der Künstler muss sich wohlfühlen. Wenn jemand schon Tage unterwegs ist und zwei Nächte im Flieger verbracht und nicht geschlafen hat, der muss keine Stadtrundfahrt machen und das volle Touri-Programm bekommen. Vielleicht will er einfach nur schlafen.
Pamela: Man darf Leute zu nichts nötigen. Da geht es weniger um Starallüren als viel mehr um Menschlichkeit und Respekt.
Neben dem Club habt ihr auch die Promoagentur „Icon On Streets“. Wie seid Ihr da generell aufgestellt? Gibt es noch andere Businessbereiche?
Pamela: Die Promoagentur ist durch den Clubbetrieb im Icon entstanden. Wir vertreiben damit hauptsächlich Flyer, Veranstaltungsplakate, organisieren aber auch Guerilla-Marketing-Aktionen in Berlin und deutschlandweit.
Lars: Die Agentur hatte lange Zeit keinen Namen.
Pamela: Wir haben in den Anfangstagen unsere Icon-Flyer selber verteilt und auch plakatiert. Eigentlich wollten wir das gar nicht selbst machen, aber wir waren immer unzufrieden, wenn jemand anders für unsere Partys plakatiert hat. So ist ein erstes kleines Team entstanden, bis auch andere Veranstalter an uns herantraten und fragten, bei wem wir plakatieren lassen: „Die sieht man ja überall. Wo habt ihr das machen lassen? Gibst du mir den Kontakt?“ Als wir meinten, dass wir das selber machen, haben wir erste externe Aufträge bekommen und Icon-On-Streets ist entstanden. Mittlerweile arbeiten eine ganze Menge Leute mit uns in der Agentur und leben auch davon. Wir haben jetzt nicht im klassischen Sinne einen Businessplan. Alles Geld, das nicht für Fixkosten und unsere Angestellten benötigt wird, fließt wieder zurück ins Programm. Wir betreiben quasi unsere eigene Kulturförderung. Hier und da gibt es auch mal eine Industrieveranstaltung oder einen Filmdreh. Aber der Fokus liegt auf dem Programm.
Wie sieht der Berliner Markt im Bereich Flyer und Plakate aus? Habt ihr mit viel Konkurrenz zu tun?
Pamela: Konkurrenz gibt es. Aber es gibt auch genug Auftraggeber. Der größte Feind ist die Politik, die anfängt, die Stadt sauberer haben zu wollen. Das Problem ist heute eher, dass man beim Plakatieren Ärger mit dem Ordnungsamt bekommt. Da wird immer härter zugegriffen. Für die Clubkultur ist das eine Katastrophe. Wenn es nur noch darum geht, klassisch Billboards einbuchen zu dürfen – an der Bushaltestelle oder im U-Bahnhof – dann wird das für die meisten Veranstalter und kleinere Clubs unbezahlbar. Mit Online-Marketing lässt sich so etwas auch schwierig kompensieren. Wenn die Stadt ihr Programm so weiter fährt, sehe ich große Probleme für die Subkulturszenen und unabhängige Musikmacher.
Lars: Das gilt aber nicht nur für Musik sondern auch für Kino, Lesungen und Theater, für die wir in dem Kontext ja auch arbeiten.
Wie habt ihr den scheinbar niemals endenden Berlin-Hype über die letzten 20 Jahre miterlebt? Wie hoch ist mittlerweile die Dichte an Touristen bei euch?
Pamela: Trotz des Hypes haben wir ein großes Stammpublikum. Bei unserer Reihe Recycle, die vor 21 Jahren im Icon angefangen hat, gibt es sogar Stammplätze. Gäste, die jedes Mal an der selben Stelle stehen. Das haben wir ja früher als Teenager nicht anders gemacht. Aber natürlich profitieren wir auch von den Touristen. Das machen alle Clubs. Jeder, der was anderes behauptet, ist bescheuert. Wir haben aber das große Glück, dass man uns als Club nicht leicht in eine Schublade stecken kann. Der klassische Feiertourist, der ein Wochenende in Berlin hart durchballern will, hat uns in der Regel nicht auf der Agenda. Die gehen halt lieber in die Schlesische Straße oder aufs RAW-Gelände. Wir werden eher selten mit großen Touristengruppen konfrontiert. Diese Ballermann-Touristen haben wir nie vor der Tür und das liegt bestimmt auch daran, dass bei uns eben nicht jeden Tag Minimal, Techno oder House läuft.
Lars: Ich sage ja immer, der beste Türsteher und Selector ist unser Musikprogramm!