„Es ist okay, Dinge wegzulassen“Der Illustrator Lennart Gäbel im Interview
9.3.2022 • Kultur – Interview: Thaddeus HerrmannTrump. Merkel. Politik. Pop. National. International. Global. Lennart Gäbel ist Illustrator aus Leidenschaft und versorgt nationale wie internationale Medien regelmäßig mit gezeichneten und pointierten Statements zum Zeitgeschehen. Die persönliche Perspektive ist dem gebürtigen Hannoveraner dabei besonders wichtig. Politisch informiert, mit klarer Haltung zu dem, was auf der Welt geschieht und mit einer Passion für die tagesaktuelle redaktionelle Arbeit ist er heute jemand, der Dinge auf den Punkt bringt. Im Interview beschreibt der Wahl-Hamburger seinen beruflichen Werdegang, der auch ganz anders hätte verlaufen können, seinen Workflow zwischen Analog und Digital – und warum er einer der Wenigen war, der von Donald Trumps endlosen Failures profitierte.
Zur Illustration kam ich über Umwege. Mir war klar, dass ich etwas Kreatives machen wollte. Mit Text konnte ich mich jedoch nicht so recht anfreunden. Grafikdesign fand ich spannend, schon zu Schulzeiten, ohne jedoch wirklich zu verstehen, was sich dahinter tatsächlich verbirgt. Entsprechend war meine Mappe, als ich mich in Hanover nach dem Abitur bewarb. Ich habe dann drei Jahre internationales Marketing studiert und auch mein Diplom gemacht. Eine Herzensangelegenheit war das aber nicht. Nach meinem Umzug nach Hamburg machte ich ein Praktikum in der Werbeagentur Springer & Jacoby – das war aber auch nicht das Richtige. Ich war 21, arbeitete 14 Stunden am Tag: auf einem Auto-Account. Autos sind überhaupt nicht meine Leidenschaft. Also zurück nach Hannover, wo ich vier Jahre lang das internationale Marketing für Kind-Hörgeräte gemacht habe. Eine tolle Erfahrung, während der ich aber merkte: Eigentlich will ich gar nicht planen, sondern der sein, der die Kampagnen graphisch gestaltet. Ich fand dann Schritt für Schritt meinen Weg. Bin nach Holland, habe sechs Monate nur meine Mappe konzipiert und wurde an der Kunsthochschule in Groningen angenommen. Dort, im ersten Jahr, merkte ich: Was ich machen will, ist gar nicht Grafikdesign, sondern Illustration. Und genau das habe ich dann studiert, in Rotterdam und New York.
Kannst du deine Faszination für Illustration beschreiben?
Sagen wir so: Ich habe schnell begriffen, dass es die Kunstform ist, mit der ich meine Meinung kundtun kann. Etwas für Nike zu machen, was dann auf T-Shirts gedruckt wird, ist das eine, ich begreife meine Arbeit jedoch eher als eine Art des visuellen Journalismus. Es ist mein Weg, etwas zu aktuellen Debatten beizusteuern. Ich brauche auch diesen „redaktionellen Druck“, also kurze Deadlines.
Seit 2014 bist du in Hamburg. An Medienhäusern, die Illustrationen brauchen, mangelt es dort nicht.
Tatsächlich habe ich aber in den ersten Jahren vor allem für holländische Verlage und Kund:innen gearbeitet. Wenn du nachmittags etwas abgibst und am nächsten Morgen deine Arbeit dann gedruckt am Kiosk siehst – das ist einfach toll. Deshalb habe ich auch immer die redaktionelle Arbeit weiterverfolgt, auch wenn die in der Regel bei weitem nicht so gut bezahlt wird wie kommerzielle Aufträge. Ich war hartnäckig. Und mit der Zeit wurden diese Jobs mehr. Heute bestimmen sie meinen Alltag. Illustrationen für Unternehmen mache ich nur noch selten. Die Arbeit für Zeitungen und Magazine entspricht auch viel mehr meinem Rhythmus. Kurze Wege, knackige Absprachen. In Firmen-Kontexten dauert mir alles oft zu lange.
Schnelligkeit – vielleicht können wir das auch Spontanität nennen – ist Teil deines Workflows. Geht das besser analog oder digital?
Meine Ideen muss ich analog entwickeln. Klar geht das auch irgendwie am iPhone – mit Apps wie Procreate kann ich zumindest ein paar Grundzüge anlegen. Generell bedeutet die Findungsphase für mich aber: Skizzenbuch, Bleistift und ein nicht zu bequemer Stuhl. Klassisches Scribbling eigentlich. Dann suche ich nach Icons, die dazu passen könnten, nach Querverweisen, Dingen, mit denen ich meine Idee kombinieren könnte. Dann forme ich aus diesen Ideen, die auch nur ich entziffern bzw. lesen kann, digitale Vorschläge am Mac in Photoshop. Die sind weder final noch koloriert. Ich zeige den Auftraggeber:innen damit lediglich, wo die Reise hingehen könnte. Auch der weitere Prozess ist komplett digital. Die Figur sieht aus, wie sie aussehen soll, die Schatten sind da usw. Das ist die „Finalskizze“. Was noch fehlt, ist die Farbe. Damit tue ich mich immer ein bisschen schwer. Die Farbigkeit hat für mich etwas Endgültiges, und damit verbringe ich die eine oder andere Stunde. Kommt bei mir immer ganz zum Schluss. Die finale Illustration setze ich dann in Vektoren um – in Affinity Designer. Das ist ja noch eine relativ neue App, die meiner Arbeitsweise aber sehr entgegenkommt. Denn ich arbeite sehr einfach, achte immer darauf, was ich noch weglassen könnte. Warum? Um das eigentliche Motiv im Mittelpunkt zu behalten und das nicht mit Details zu verwässern.
Das bedeutet: Ganz egal, wie schwer oder bedeutend das Thema ist – du bemühst dich, es mit maximaler Einfachheit zu transportieren.
Ganz genau. Jeder stilistische Umweg zieht Aufmerksamkeit ab vom Eigentlichen. Das ist natürlich nicht immer leicht. Details sind verlockend. Aber die Reduktion eines Motivs ist enorm befreiend. Es ist okay, Dinge wegzulassen. Natürlich muss ich mich dabei auch zurücknehmen. Das war ein längerer Annäherungsprozess. Wenn ich heute auf meine Arbeiten schaue, finde ich es natürlich schade, dass es keine „Originale“ mehr gibt ...
Lennart Gäbel hat noch keine NFTs produziert?
Nein, noch nicht. Aber es sind spannende Alternativen, die entstehen. Mein Job erlaubt das gar nicht. Meine Kund:innen und ich arbeiten in einem Rhythmus, der analoges Arbeiten häufig gar nicht zulässt. Die Arbeit im Digitalen macht es überhaupt erst möglich, mit diesem Zeitdruck umgehen zu können. Ich muss aber sagen, dass ich eigentlich große Lust habe, mal wieder rein analog zu arbeiten. Das wäre dann aber eher ein privates Projekt.
Mit dem Apple Pencil ergibt sich auf dem iPad ein ganz neues Arbeiten.
Wie arbeitest du ganz konkret? Mit welchen Tools?
Das einzige Werkzeug, das ich wirklich immer dabei hatte bislang, war ein MacBookPro. In meinem Studio arbeite ich an einem 24"-Wacom-Zeichentablett, unterwegs habe ich die 13"-Variante verwendet. Aber: Seit dem letzten macOS-Update nehme ich fast nur noch mein Mac und das iPad mit. Denn nun kann man das iPad als zusätzlichen Bildschirm nutzen – mit Sidecar. So habe ich auch keine App-Probleme. Und mit dem Apple Pencil ergibt sich auf dem iPad ein ganz neues Arbeiten. ich bin weit davon entfernt zu sagen, dass ich fortan alles mit dem iPad machen würde. Dazu hat sich mein Workflow in den vergangenen Jahren einfach zu sehr verfestigt. Ich sehe mich da als eine Art Klavierspieler. Shortcuts sind meine Welt. Die haben sich so in mein Gehirn eingebrannt, dass ich nicht von ihnen loskomme, gerade unter Zeitdruck. Ich finde es total super, was für Sprünge das iPad und die Software mittlerweile gemacht haben. Ein Illustrations-Studium lässt sich heute zu 100 Prozent am Tablet machen – mit Apps wie Affinity und ProCreate. Aber ich komme da noch aus einer anderen Zeit. Das ist heute mit den Alternativen ein ganz anderer Schnack.
Ich bin davon überzeugt, dass wenn ich etwas zeichne, wozu ich auch eine Meinung oder Haltung habe, wird das Ergebnis noch besser.
Kommen wir nochmal zu deiner Arbeit. Meine These: Du hast einen Hang zum Politischen. Das ist meiner Einschätzung nach etwas ganz Persönliches, du hast es bereits angedeutet. Ikonisch dabei ist natürlich deine Trump-Illustration, aber auch das Spiegel-Cover mit der Merkel-Raute.
Mir ist folgendes wichtig: Die Idee hinter der Illustration soll kreativ, spannend, überraschend und ungesehen sein. Ich muss dabei nicht provozieren, obwohl das natürlich auch ab und zu vorkommt. Ich komme aus einem durchaus politischen Elternhaus. Mein Vater war in der Lokalpolitik. Das hat mich schon geprägt. Ich bin davon überzeugt, dass wenn ich etwas zeichne, wozu ich auch eine Meinung oder Haltung habe, wird das Ergebnis noch besser. Ich wurde mal vom Spiegel mit einer Illustration zum Thema AfD beauftragt und habe rund 30 Ideen eingereicht. Aus der Redaktion kam dann aber das Feedback: Naja, mit der Gleichung „AfD = alles Nazis“ kommen wir nicht wirklich weiter. Ich müsste das nochmal ein bisschen runterschrauben. Habe ich verstanden, gleichzeitig hätte ich das aber auch wirklich passend gefunden. Das Tolle an so einer Situation ist aber, dass ich Entwürfe, die genau dem entsprechen, was ich mir vorstelle, immer noch als private Arbeit fertigstellen kann. Aktuell habe ich wieder sehr viel Freude daran. Die Hochzeit der Pandemie war schon sehr belastend, mit vielen Jobs und zwei kleinen Kindern zu Hause habe ich meine eigenen Arbeiten eher zurückgestellt bzw. zurückstellen müssen.
2017 erschien die Trump-Illustration, die ich bereits angesprochen hatte – eine Arbeit, die der WDR aufgriff und verwendete – und für die du auch den den German Art Directors Club Award gewonnen hast. Wie hat sich deine Karriere mit diesem Bild verändert?
Die Illu hat wahnsinnig viele Türen aufgemacht. Alle Illustrator:innen versuchen ja, einen Fuß bei den großen Verlagen in die Tür zu bekommen. Das ist aber unglaublich schwer. Ich hatte vor der Veröffentlichung sehr lange versucht, die Art Direktorin der Zeit zu treffen und ihr meine Arbeiten zu zeigen. Als das Trump-Motiv raus war, rief sie mich wenige Tage später an und war ganz begeistert. Illustrationen sind Auftragsarbeiten, eine Art Vertrauen in die Zukunft und deine Fähigkeiten. Und da half es schon sehr, dass die Trump-llustration nach der Wahl gefühlt omnipräsent war. Die Türen zu meinen Traumkunden hatten sich also ein Stück weit geöffnet, was extrem aufregend und absoluter Wahnsinn war. Man hatte schon das Gefühl, man sei in die Bundesliga aufgestiegen.