Ist Techno noch Subkultur?Jan-Michael Kühn hat die Szenewirtschaft in Berlin analysiert

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Welchen Wert hat Berliner Techno? Mit dieser Frage hat sich Jan-Michael Kühn in den letzten Jahren ausgiebig beschäftigt. Als DJ (Fresh Meat) kennt er die Szene als Akteur aus der Praxis, als Blogger (Berlin Mitte Institut für Bessere Elektronische Musik) begleitet er sie seit zehn Jahren schreibend und podcastend, und als Soziologe an der TU Berlin hat er sie, teilnehmend beobachtend quasi, erst für seine Diplom- und jetzt für seine Doktorarbeit analysiert.

„Die Wirtschaft der Techno-Szene – Arbeiten in einer subkulturellen Ökonomie“ heißt die vor kurzem publizierte Dissertation. Der wirtschaftliche Wert, um den es ihm geht, ist nicht der außerhalb der Szene ökonomisch verwertbare – Techno in Berlin als Marketing- und Tourismusfaktor oder als Teil der Kreativwirtschaft –, sondern vielmehr ist es der „Hardcore-Wert“: Welchen Nutzen hat die Techno-Szene für sich selbst? Wie funktionieren die inneren (ökonomischen) Logiken dieser Subkultur und wie schafft sie es, über nunmehr dreißig Jahre rund um das Bum-Bum-Bum immer wieder so sexy aufzutreten, dass sich so viele Menschen Wochenende für Wochenende immer wieder aufs Neue mit ihr auseinandersetzen wollen, auf die Partys, in die Clubs und auf die Open Airs strömen, und einige davon sich auch beruflich in diesem Bereich verwirklichen wollen – Techno als täglich Brot? Jan-Peter Wulf hat sich mit Jan-Michael Kühn über sein Buch, sein Theoriemodell der „Szenewirtschaft“, über Verführung und über Adorno unterhalten.

Jan-Michael, du prägst in deinem Buch einen neuen Begriff, Szenewirtschaft. Wie ist der entstanden und wie definierst du ihn?
Als ich meine Diplomarbeit über die Berliner Techno-Szene geschrieben habe, suchte ich nach einem griffigen Namen. Mit Begriffen wie Musikindustrie oder Kreativwirtschaft war ich immer unzufrieden. Szenewirtschaft schließt an die „posttraditionale Szenetheorie“ an (die u.a. Ästhetiken des Widerstands in Jugend- und Subkulturen untersucht, man denke an Punk, Gothic oder die Mods, d. Red.) und beschreibt die wirtschaftlichen Arbeits- und Kooperationsbedingungen im Rahmen eine modernen Subkultur.

Techno.
Ja, ich hätte es auch Techno-Wirtschaft nennen können.

Wie funktioniert diese Wirtschaft?
Die Szenewirtschaft lebt davon, dass ihre Akteure aus einem persönlichen Interesse, aus Überzeugung daran teilnehmen. Es gibt stets eine subkulturelle Orientierung: Es muss den Leuten, die es machen, erst einmal persönlich gefallen. Sobald man anfängt, nach Märkten zu schauen, wie man ein Produkt dort unterbringen kann und das persönliche Motiv nicht mehr im Zentrum steht, wird es subkulturell uninteressant. Die Leute machen zum Beispiel Partys in erster Linie für sich und ihre Freunde. Wie vielen das sonst noch gefällt, ist ihnen erst einmal scheißegal.

Aber irgendwann muss man damit ja auch Geld verdienen, es muss sich ja zumindest tragen, oder? Ist man dann raus aus der Subkultur?
Nicht unbedingt. Man kann sogar relativ viel verkaufen und trotzdem authentisch bleiben.

Ein Beispiel?
Das Berghain. Es ist über die Stadt hinaus bekannt und steht dafür, wie man ganz konsequent an sein kulturelles Ideal glaubt und es durchzieht – von Ausrutschern à la Lady Gaga mal abgesehen (sie feierte hier vor drei Jahren eine inoffizielle Aftershow-Party, d. Red.).

Das Berghain muss jetzt aber rückwirkend nur sieben statt 19 Prozent Mehrwertsteuer für Eintritte bezahlen. Nicht, weil es dort auch Konzerte und andere Events gibt, sondern weil der Fiskus – nach Lektüre des Tobias-Rapp-Buchs über die Berliner Techno-Szene – zu dem Schluss gekommen ist, dass die Partys selbst Kultur und das Mixen von Platten Kunst ist. So gesehen ist man jetzt also auf Augenhöhe mit der Staatsoper oder dem Deutschen Theater. Wo ist da noch Subkultur?
Das Berghain hängt immer auf der subkulturellen Schwelle. Aber die würden nicht auf einmal anfangen, irgendwelche Justin-Bieber-Konzerte zu machen, nur weil das gerade vom Markt nachgefragt wird. Harter Techno, Drogen, dieses ganze schwule Ding – das ziehen die weiter durch. Natürlich ist Kultur im Wandel und verändert eine Gesellschaft. Techno stößt an den Overground an.

Leben wir heute vielleicht in der „ravenden Gesellschaft“, von der Westbam in den 1990er-Jahren sprach?
Es flaut auf und es flaut ab. Techno war schon in den Neunzigern ein Mainstream-Thema, das lief auch auf VIVA – aber es war eben nur so lange interessant, wie es die Massen ansprach. Irgendwann war es wieder weg. Für die Protagonisten der Subkultur ist es so: Wenn es irgendwann nur noch auf Showbühnen läuft, dann gehen die da nicht mehr hin. Es besteht ein sehr feines Gespür dafür, was Underground ist und was nicht. Dabei können sie es oft gar nicht so richtig explizieren. Wenn du mit denen sprichst, dann sagen sie „Ach, soll doch jeder machen, was er will“, aber ihre Praxis ist eine ganz andere: Da wird in Bruchteilen einer Sekunde beim Anhören einer Platte oder beim Angucken eines Fotos entschieden: Die Musik ist zu kommerziell, der DJ passt hier nicht so richtig rein. Der sieht zu prollig aus oder zu schick. Diese Differenz wird immer und immer wieder gemacht. In meinem Buch schreibe ich über die drei grundlegenden Distinktionen: Kommerz, Ausverkauf und Masse.

Wenn ich das in deinem Buch richtig verstanden habe, geht es in dieser Szenewirtschaft darum, etwas im Kern Gleichbleibendes immer wieder neu zu „verkaufen“, es geht um Verführung.
Genau. Das, was die Szenewirtschaft produziert, ist ein fragiles Gut, ein „ästhetisches Gut“, wie die Soziologie es nennt. Du kannst es nicht in klare Kategorien eingrenzen, es ist höchst subjektiv. Es geht um eine intrinsische Motivation zur Teilnahme: Tanzen gehen, laute Musik hören – das Überleben einer Musikkultur hängt davon ab, ob sie es schafft, die Menschen immer wieder aufs Neue dazu zu verführen, sich ihr zuzuwenden.

Sie muss den Leuten Spaß machen.
Die Musik muss geil sein. Es gibt, anders als in anderen gesellschaftlichen Bereichen, ja keine Verpflichtung zur Teilnahme. Die Musik in den Clubs ist in den letzten 30 Jahren ja ziemlich gleich geblieben und verführt immer wieder. Deswegen habe ich auch mit dem Begriff Kreativwirtschaft ein Problem: Da geht es um ständiges, systematisches Neuschaffen. Bei Szenewirtschaft geht es im Kern aber nicht um Kreativität.

Jan-Michael Kühn
Cover

Kreativwirtschaft trumpft ja damit auf, dass sie Zahlen vorlegt. Soundsoviele Leute erwirtschaften in soundsoeiner Branche soundsoviel Umsatz. Gibt es auch Zahlen aus der Szenewirtschaft?
Nein, noch nicht. Das ganze Konzept ist ja noch relativ neu. Und ich glaube, es gibt da auch ein strukturelles Problem: Subkultur reüssiert jenseits der offiziellen Kultur. Ihre wesentliche Leistung entwickelt sie dann, wenn sie fernab davon bleibt. Man darf frei in ihr leben, junge Leute können sich darin entfalten. Wird sie mit Institutionen zusammengebracht, dann wird sie zum Wirtschafts- und Standortfaktor. Das sind Logiken, die sich nicht wirklich vertragen.

Aber wenn es, sagen wir mal, um Flächen geht: Da entscheidet ja jemand. Der Mensch im Bau- oder Stadtplanungsamt kennt Basic Channel nicht und warum das wichtig ist. Muss er auch nicht, er muss im Prinzip gar nicht verstehen, was da passiert, er muss doch nur kapieren: In dieser Wirtschaft, in den Discos, arbeiten so und so viele Leute. Und deswegen gibt es dann einen Bestandsschutz, zum Beispiel. Oder denkst du: Besser ist es für den Underground, die Kröte schlucken zu müssen und auch mal verdrängt zu werden, aber Underground bleiben zu können? Soll die Szene also einfach in Ruhe gelassen werden?
Subkulturen entfalten ihre gesellschaftliche Kraft dann, wenn man sie in Ruhe lässt. Sie können auch absterben, das ist das Normalste der Welt. Wie viele Musikszenen sind einfach verschwunden aus Berlin? Dubstep, Twostep, Newschool Breaks, das Interesse ist irgendwann abgeflaut, die Szenen sind weggegangen, weil ihr subkultureller Wert weg war. Da helfen dann auch 100.000 Euro nicht, um noch mal einen Club für die Musikrichtung aufzumachen. Wenn man so will, orientiert sich Subkultur sehr eng an den Interessen der Verbraucher. Subkulturen verlassen auch die Städte – die größte Entwicklung in diesem Bereich haben wir aktuell bei den Festivals und Open Airs. Eine authentische, organische Entwicklung. Da wurde nicht mit der Geldgießkanne gegossen, das entstand aus intrinsischer Motivation der Akteure heraus und bietet ein Erlebnis für viele Menschen. Da hilft keine Großstadtförderung. Wir sehen ja, wie das fehlschlagen kann: Die Clubcommission hat Geld für Anlagen in den Clubs rangeschafft. Ein Irrsinn. Als hinge die Erlebnislogik davon ab, dass die Clubleute sich bessere Anlagen kaufen können. Die haben das natürlich getan. Daran verdienen nur die Leute, die eh schon genug Geld haben.

Stichwort Geldverdienen. Die Menschen, die in dieser Subkultur Berlins arbeiten, können – entnimmt man deinem Buch – meist nur leidlich davon leben. Techno-Prekariat?
Prekarisierung wird oft als unerwünscht oder störend gesehen. Sie wird aber, das ist meine Beobachtung, von den Akteuren systematisch produziert. Sie brauchen sie, um gute, interessante Arbeit zu machen. Natürlich beschweren sie sich, wenn sie älter werden, dass sie keine Absicherung haben, aber in erster Linie wollen sie geile Musik, gute Partys machen und unabhängig bleiben, sich von Projekt zu Projekt hangeln. DJs beklagen sich über zu geringe Gagen und zu wenig Gigs, aber gehen auch nur auf die Partys, die sie kicken, nicht auf die, wo die DJs 500 Euro oder mehr kriegen. In Berlin hast du halt einen sehr starken Markt, große Konkurrenz. Da sagen viele: Drauf geschissen, ich mach es für den Spaß. Ich schätze, dass maximal zehn Prozent der Techno-Leute allein davon leben können. Es ist eigentlich kein wirklich gutes Wirtschaftsfeld.

Es gibt ja noch ein neues Betrachtungsmodell, das der Nachtökonomie, die darauf blickt, wie viel ökonomischer Wert im Nachtleben generiert wird. Haben sich Szenewirtschaft und Nachtökonomie was zu sagen?
Die Szenewirtschaft läuft ja im Großen tagsüber ab: Da müssen Agenturen sich um Releases kümmern, Künstler produzieren, es wird Kommunikation betrieben – das haben die meisten ja gar nicht auf dem Schirm, die sehen immer nur die DJs und den Club.

Aber die Dienstleistung wird dann ja in der Nacht und deren Verlängerung erbracht oder ausgeliefert.
Nachtökonomie, die zeigt, dass es ein wichtiges Leben in der Nacht gibt, mit seinen Strukturen, seiner Wirkung und seiner Eigenlogik, das mache ich mit. Aber die Wertmessung geht mir zu weit. Das ist eine sehr normative Perspektive, die da am Werke ist, Stadtentwicklung. Mein Eindruck ist, dass es da wieder darum geht, zu schauen, wo man das Geld hinstreuen kann. Ginge es aber mal darum, Prekarität anders zu betrachten und den fragilen, individuellen Wert des Subkulturellen zu erkennen, dann könnte ich mir das schon vorstellen.

Gibt es diese Subkultur, diese Szenewirtschaft, eigentlich auch noch in anderen Städten? In Hamburg, Frankfurt oder Köln? Oder ist das ein Berlin-Ding?
Ich habe das Buch über Berlin geschrieben, weil sie sich hier am besten entfalten kann. Hier ist es einfach am klarsten. Selbst die Touris sagen: I want my underground. Auch andere große Städte haben laufende Szenen und Clubs, aber konnten nie mit dem globalen Effet mithalten. Aber: Ich habe ja eine allgemeine soziologische Theorie für Szenewirtschaft geschrieben, in der es darum geht, eine Produktionsweise herauszuarbeiten in Abgrenzung zu einer kreativwirtschaftlichen oder kulturindustriellen. Das kann man auch für andere Städte und andere Musikrichtungen analysieren. Oder für andere Szenen, zum Beispiel Sport. Was sind die Ähnlichkeiten zwischen Klettern und Techno?

Du sagtest vorhin, dass Subkulturen flüchtig sind: Denkst du, dass Techno irgendwann aus Berlin weggeht?
Als Soziologe ist man kein Prophet (lacht). Aber Techno boomt nach wie vor. Es gibt eine spannende Szene innerhalb und außerhalb der Stadt, viele Festivals und Open Airs, auch wenn das auch schon wieder etwas abklingt. Eine größere Rolle aber spielt etwas anderes: Es gibt in Berlin einen allgemeinen Bedarf nach alternativem Kulturkonsum, und das im Prinzip seit Ende des Zweiten Weltkriegs. Auf beiden Seiten der Stadt haben sich subkulturelle Milieus entwickelt. Techno ist da einfach gut reingerutscht. Man denkt ja immer, dass nur die Freiräume in der Stadt wichtig waren. Die eigentliche treibende Kraft für die Subkulturen ist aber die Ansiedlung der linksliberalen Akteure.

Und diese Kraft ist heute noch da?
Schau dir doch mal an, was gerade an alternativen Wirtschaftsgeschichten passiert in der Stadt. Die ganzen Biosaft-Hersteller, die Veganismus-Szene, neue Unterhaltungsformen … Berlin ist ein sehr guter Nährboden. Eigentlich sehr adornianisch, da schwirrt eine Menge an Entfremdungs- und Kapitalismuskritik mit.

Die Wirtschaft der Techno-Szene: Arbeiten in einer subkulturellen Ökonomie von Jan-Michael Kühn hat 306 Seiten, kostet 34,99 Euro und ist bei Springer erschienen.

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