Kostet und seht, wie gut der Schnaps istZu Besuch in der Klosterbrennerei Wöltingerode
3.3.2016 • Leben & Stil – Text & Fotos: Jan-Peter WulfGeschichte verpflichtet. Auch wenn in Wöltingerode schon seit über 200 Jahren keine Messen mehr gelesen werden und Zisterzienser-Nonnen ihrem Tagewerk nachgehen: Kloster bleibt Kloster. Deshalb geht ein markanter Teil des Jahresumsatzes der hier ansässigen Schnappsbrennerei und Brauerei an soziale Projekte.
Vienenburg ist ein kleines, verschlafenes Städtchen im südöstlichen Niedersachsen. Genauer: Es war. Seit dem 1. Januar 2014 gehört die Gemeinde zu Goslar, das knapp zehn Kilometer entfernt liegt. Früher nannte man diese Gegend „Zonenrandgebiet“: Kurz hinter Vienenburgs einem Highlight, dem idyllischen Vienenburger See, ging einst der Eiserne Vorhang entlang und das tat er auch kurz hinter dem anderen Highlight, dem Kloster Wöltingerode. Selbiges stand freilich schon lange vor dem Kalten und noch so manch anderem Krieg: 1174 wurde es von Benediktinern gegründet, kurze Zeit später zogen Zisterzienser-Nonnen ein. 1630 vertrieben Jesuiten diese aus dem Anwesen, um kurz darauf selbst vor den einrückenden Schweden fliehen zu müssen. Die Nonnen durften zurück, doch Ruhe kehrte nicht ein: 1672 legte ein Feuer das Anwesen in Schutt und Asche. 1809 war endgültig Schluss, das Kloster wurde aufgehoben, und der jüdische Käufer musste es direkt wieder an die Hannoversche Regierung abtreten (weil er als Israelit keinen Grundbesitz haben durfte). 1818 wurde es mit dem Allgemeinen Hannoverschen Klosterfonds vereinigt und gehört heute dessen Nachfolger, der Klosterkammer. Einer staatlichen Behörde, die eine stattliche Summe von 800 historischen Gebäuden zu betreuen hat. Deren Präsident ist Hans-Christian Biallas. Er ist gut gelaunt und zu Scherzen aufgelegt an diesem sonnigen Wintertag, der Anlass des Zusammenkommens in dem seit 2008 als Hotel und Tagungsstätte genutzten Ort ist ja auch ein fröhlicher: Es geht um Schnaps.
##Trinken mit sozialer Dimension
Schnaps wird hier nämlich gebrannt, und das schon seit 1682 (also seit kurz nach besagtem Brand). Er sollte den Nonnen, die hier ein karges Leben verbrachten, Einkünfte sichern – Klöster mussten sich und müssen sich auch heute noch weitgehend selbst finanzieren. Die Vielzahl von Bieren und Bränden aus diesen Häusern rührt vielmehr daher als von einer Trinklust der Bewohner. Viele Getränkemarken entstanden so, ob mittlerweile völlig losgelöst von der Klösterlichkeit (wie z.B. Neuzelle) oder noch darin integriert (wie z.B. Andechs). Zurück zum gut gelaunten Präsidenten der Klosterkammer: „Eine unserer schönsten Töchter“ nennt Biallas das Unternehmen hinter dem Schnaps, die „Brennen und Brauen GmbH“, ein Bier stellt man hier nämlich auch her. Schön meint er auch dahingehend, als dass diese Tochter Geld in die Klosterkammerkasse spült. Wer sich mit föderalem Verwaltungsrecht nicht auskennt: Eine Behörde darf eigentlich kein Geld verdienen, eine Klosterkammer aber schon, weil sie eine unabhängige Landesbehörde ist. „Ihr Vermögen ist dem Zugriff der Begehrlichkeiten der Politik entzogen. Unsere Aufgabe ist es, das Stiftungsvermögen zu wahren und zu mehren“, erklärt Biallas. Vermehrt wird es vor allem durch Forstwirtschaft und die Vergabe von Erbbaurechten. Drei Millionen Euro im Jahr müsse man „auskehren“ für kirchliche, soziale und Bildungszwecke, so Biallas, und er macht ein spitzbübisches Gesicht, als er hinzufügt:
„Es ist Trinken für den guten Zweck: Der Konsum des Schnapses hat dann schon fast eine soziale Dimension.“
Man bekomme auch keinen schweren Kopf, sollte man sich – subjektiv betrachtet – einen zu viel von den Bränden genehmigen, weil die Qualität so hoch sei. Das wiederum beteuert eigentlich jeder Schnapshersteller. Stimmen tut´s nicht immer, hier glauben wir es – nicht weil wir auf Klostergrund stehen, sondern weil die Qualität wirklich beachtlich ist. Was auch daran liegt, dass fast alles an Ort und Stelle erzeugt wird: Der Weizen wächst auf 400 Hektar Land, die zum Kloster gehören (ein Quadratmeter ergibt rund einen Liter Schnaps, do the maths). Pestizide schüttet man nicht drüber, eigentlich ist es ein Produkt in Bioqualität, nur nennen darf man es mangels Zertifikaten, die es dafür braucht, nicht so. Das Wasser kommt aus dem eigenen Brunnen, zum Brennen verwendet man natürliches Gerstenmalz, was heute längst nicht mehr jeder Brenner macht. Der Kornbrand schmeckt sehr weich, nicht sprittig. Die zahlreichen Liköre, die man hier aus dem Feinbrand herstellt, werden mit natürlichen Zutaten hergestellt, nicht mit zugekauften Aromen. „Die Zuckerlösung stellen wir so her wie es schon die Nonnen gemacht haben“ erklärt uns Günther Heuer, ein großer, freundlicher Mann, der die Produktion von Bieren und Bränden leitet. Fester Zucker wird gekocht, es bildet sich Fructose wie im Obst. „Hat eine hohe Süßkraft und macht keinen dicken Kopf“, sagt Heuer und lächelt. Ob denn jemand die Liköre probieren wolle? Die angereiste Lokalpresse entschuldigt sich murmelnd mit „noch zu früh am Tag“ und „bitte nächstes Mal mit Übernachtung im Klosterhotel“.
Haselnuss? Nussig. Quitte? Quittig. Und der Kümmel ist auch toll.
Papperlapapp: Der Haselnusslikör schmeckt nach Haselnuss und nicht nach Haselnuss-Joghurt-Aroma. Die Quitte quittig, überraschend toll ist auch der Kümmel (sagt jemand, der das Gewürz sonst nicht durch den Hals kriegt, auch nicht im Aquavit). Die Produkte sind Premium, waren es immer schon, an den Rezepturen hat sich nichts geändert. Allein: Bisher hat man es den Flaschen einfach nicht angesehen. Mit schrillen Etiketten und Namen wie „Hilde“, „Angelina“ oder „Louisa“ wurden sie bislang verkauft und sahen aus wie billige (an den Kopf denken!) Partyschnäpse der Pfeffi-Klasse, die sich auf Niedersachsens Schützenfesten, Kohl- und Kegelfahrten, Geburtstagen ab 15, dem Aufhängen des Schachtelkranzes (25 Jahre und unverheiratet) und dem Fegen der Rathaustreppe (30 Jahre und unverheiratet) so großer wie zweifelhafter Beliebtheit erfreuen.
##Absacker im „Nonnsens“
In einem Schaufenster in Vienenburg stehen sie noch, die alten „Gebinde“, wie man sie in der Branche nennt. Nun, der neue Produktauftritt wurde ja auch gerade erst in die Wege geleitet. Es kann dauern, bis die alten Flaschen verschwunden sind, zumal bei langlebigen Getränken wie Spirituosen. Die neuen sehen deutlich erwachsener, passender aus. Ob sie nicht nur geschmacklich, sondern auch optisch bartauglich sind, müssen Bartender und Barbesitzer entscheiden. Will man die überhaupt ansprechen, oder geht das einer Klosterbrennerei dann doch zu weit? Das wolle man, erklärt Markus Grüsser, Geschäftsführer von „Brauen und Brennen“: „Wir wollen in den Mixbereich, aber mit einem seriösen Auftritt. Mit Respekt.“ (Später entdecken wir, dass das Kloster eine eigene Bar mit Mixgetränken auf Basis der selbstgebrannten Produkte hat, die Bar heißt „Nonnsens“). Aufgrund der Historie des Ortes stehe man den Kirchen (und der Zeit, als Kirche und Staat eins waren) noch relativ nah. Schreiendes passe da nicht, in die Clubszene wolle man nicht und schon gar nicht Promotion mit Mädchen in kurzen Röckchen machen. Das Mädchen der Klosterbrennerei trägt einen langen: Es ist die neu geschaffene „Wöltingeroder Edelfrau“, die als Markenbotschafterin die Produkte des Hauses repräsentieren soll. Gefunden wurde das Gesicht über eine Facebook-Aktion, auch die Webseite hat man für diesen „Kickoff-Termin“ neu gestaltet. „Wenn wir uns im Markt behaupten wollen, müssen wir agieren wie jedes andere Privatunternehmen auch“, findet Grüsser.
Mit dem kleinen Unterschied, dass hier jeder Schluck vom Schluck Geld erwirtschaftet, von dem am Ende soziale Projekte etwas haben. Jetzt müsste man, wie bei den ganz und gar säkularen Kollegen von Quartiermeister, nur noch genau sehen können, wohin das Geld fließt, dann wäre die Sache richtig rund. Vielleicht lädt man ja bald mal wieder ein, um sein transparentes Social-Business-Modell vorzustellen? Wir kämen wieder. Schön ist es hier ja schon, in Wöltingerode, Vienenburg, Goslar, Südost-Niedersachsen.