Betreutes RavenTechno in Budapest: zwischen Marken-PR und Subkultur
12.11.2018 • Sounds – Text: Ji-Hun KimKann man die richtige Party in der falschen feiern? In diesem Herbst fand in Budapest das Electronic Beats City Festival statt. Techno im Zeitalter eines immer größer werdenden europäischen Neo-Faschismus. Wie sieht so etwas aus und welche Rolle kann Musik heute noch in solchen Kontexten spielen? Ji-Hun Kim war vor Ort. Über gemischte Gefühle, komplizierte Verhältnisse und die wahre Bedeutung von Clubkultur.
Die erste Electronic Beats (EB) habe ich Anfang des Jahrhunderts in einem Bochumer Plattenladen abgegriffen. Damals hatten Gratismagazine ja durchaus Konjunktur. Intro, der regionale Veranstaltungskalender Coolibri, die WOM, die Groove war auch noch umsonst – für darbende junge Studenten wie mich damals waren das obligatorische Lektüren, um musikalisch halbwegs auf dem Laufenden zu bleiben. Eine Spex oder De:Bug kam nur alle paar Monate auf den Tisch und dann wunderte man sich noch, dass man die Kontexte nicht verstand. So war das halt in der Internet-Frühzeit – ohne Geld. Ich erinnere mich dennoch gut, wie hitzig wir in der WG diskutiert haben, wie glaubwürdig das denn nun sei. Die Telekom, damals vor allem personifiziert durch den schnöseligen Ron Sommer, volkstümliche Gebrüder-Gottschalk-Börsengänge in den 90ern – diese Telekom will uns verkaufen, was coole Musik ist? No way. „Ein erneuter Verrat durch die postfordistische Kulturindustrie!“, skandierten wir. Muss doch so sein. Die Zeiten waren aber andere. Keines der genannten Hefte gibt es heute noch, außer der Coolibri im Ruhrgebiet.
Als Ralf Lülsdorf vor 18 Jahren das Projekt ins Leben rief, setzte man nicht nur auf das Magazin, das heute ausschließlich online erscheint. Man brachte eine eigene Fernsehsendung auf VIVA Zwei mit Ill-Young Kim, wie auch die DVD-Reihe „Slices“ von Maren Sextro und Holger Wick heraus. Darüberhinaus wurden große Events produziert. Corporate Publishing und Content Marketing nennt man so was heute auch, und im KPI-getrimmten, zu Tode gefilterten Instagram-Zeitalter erscheinen die Erinnerungen an den flapsigen Herrn Kim und großzügige Livemitschnitte von Moloko aus dem Kölner Palladium irgendwie gar nicht mehr so schlecht und kommerziell durchgetaktet, wie man es damals als seriöser Undergrounder noch finden wollte. Was würde man heute wieder für gute Musik-Shows mit guten Leuten im Fernsehen geben? Von guten Magazinen ganz zu schweigen.
Die Erfolgsgeschichte ist bekannt. Lülsdorf und sein Team haben es tatsächlich geschafft, in dieser langen Zeit eine klar erkennbare Musikmarke mit Fokus auf Künstlern zu etablieren. Das ist in der Form besonders. Zumal wenn man bedenkt, dass zu der Zeit Spirituosenhersteller und vor allem auch Tabakmarken viel intensiver in der Clubkultur ihr Unwesen trieben, ihre Engagements heute aber weitestgehend runtergeschraubt haben.
1st Welt
Als Musikjournalist wird man immer wieder auf Festivals eingeladen. Eine Zeit lang habe ich das (man war schlichtweg agiler und resistenter) gerne gemacht. Gehört eben zum Profil dazu. Und es handelt sich ja zudem immer um recht privilegierte Festivalbesuche. Flug und Hotel bekommt man bezahlt. Festivalticket mit Backstage ist natürlich auch drin und fürs Essen und Trinken ist in der Regel gesorgt. Für viele Musikfans wäre das natürlich ein Traum. Aber dennoch muss man sowas erstmal wollen. Kumpeleien, professionelles Pegeln, zu kurze Nächte in starren Hotelbetten, sandsackschwere Füße durch permanent lange Fußmärsche („Man muss doch was von der Stadt sehen!“). Und dann am Montag auch noch frisch auf der Büromatte stehen. Betreutes Raven. Vermeintlich ernste Erste-Welt-Probleme.
Strange Situation
In diesem Herbst fand das Electronic Beats City Festival zum zweiten Mal in der ungarischen Hauptstadt Budapest statt. Ungarn, das europäische Quasi-Nachbarland, das in den vergangenen Jahren immer wieder dadurch Nachrichten machte, dass die rechte Regierung unter Viktor Orbán immer mehr zur Blaupause eines zeitgenössischen Neo-Faschismus unterm demokratischen Deckmantel geworden ist. Orbán beherrscht und kontrolliert heute so gut wie alle Medien des Landes. Waren es 2015 noch 23, sollen es heute über 500 sein, so einheimische Journalisten. Ressentiments gegen Geflüchtete und Ausländer gehören derweil zum salonfähigen Ton. An Budapester Universitäten werden Studiengänge wie Gender Studies kommentarlos vom Lehrangebot gestrichen, weil sie dem Rollenleitbild der konservativen Regierung nicht mehr entsprechen. Zeitgleich erfährt die landeseigene Währung Forint einen steten Wertverlust. Der Tourismus ist eine der wenigen elementaren Einnahmequellen des Landes und den Großteil der Touristen zieht es natürlich in das wunderschöne Budapest an der Donau. Heute ist es hier wie in Barcelona, Prag, Amsterdam und Venedig auch. Die Stadt erstickt an ihren Besuchern. Gerade in den letzten Jahren hätte die Entwicklung nochmal dramatisch zugenommen, berichten mir Locals vor Ort. Die Preise für Kaffee und Burger in der City sind mit denen von hier vergleichbar, für Touristen normal. Allerdings verdienen studierte Lehrer in Ungarn gerade mal 400 Euro im Monat, Ärzte wenn es gut kommt vielleicht 800. Ein Nitro-Cold-Brew-Coffee für 4,50 Euro kann da nur Ärgernis hervorrufen.
Am Wochenende marodieren nachts durchdrungen betrunkene und gellende JGAs durch die Gassen und strugglen hart für den nächsten Schnaps und Fick. In München würde das nicht gehen. Aber man kann und will die wichtigste Geldquelle der Stadt weder zu sehr disziplinieren, noch ausgrenzen und versiegen lassen. Das ist der bigotte Status Quo dieser Politik. Geflüchtete raus, aber dennoch von Touristen abhängig sein. Sind ja auch nicht alle gleich. Doppelstandards. Vielleicht wurde ich deshalb von einer Supermarkt-Kassiererin beim Bezahlen von Keksen und Eistee derart laut angebrüllt, ohne irgendetwas getan zu haben. Wird man nur wegen des Geldes geduldet? Was die alte Dame am Scanner wohl verdient? Warum ist Ungarisch eine so schwer zu verstehende Sprache?
Welche Rolle können Rave, Techno und Clubkultur unter solchen Rahmenbedingungen spielen? Worum geht es einem internationalen Telekommunikationsunternehmen, wenn es ein mehrtägiges Festival mit Champagner-DJs wie Dixon, Âme, Ben Klock, Floating Points und Ben UFO organisiert? „Wir veranstalten prinzipiell nur da Events, wo es auch unsere Produkte gibt“, erklärt Ralf Lülsdorf. Man verschachtelt sich nicht in Pseudo-Underground-Hülsen. Alle wissen, dass die Marke Electronic Beats Werbung für die Telekom macht. Was man indes nicht macht, ist, auf den Events offensiv Handy-Verträge zu verticken. Wäre schlichtweg nicht elegant. Das Branding „reduziert“ sich auf den Einsatz der Firmenfarbe Magenta, wenn auch präsent. Im Backstage ist ein über 150 Quadratmeter großer greller Teppich verlegt. Bei der Donauraveschifffahrt am Samstagnachmittag mit tINI und ISAbella gibt es sogar eigens kolorierte Rettungsringe. Die hochmoderne LED-Anlage in der Main Location Várkert Bazár (eine neulich rundum renovierte Mehrzweckhalle im klassizistischen Ambiente) schimmert und stroboskopiert in pinken Tönen.
Die Veranstaltungen sind alle restlos ausverkauft. EB hat sich eben auch den Ruf erarbeitet, hervorragende Künstler zu kuratieren und das über die Jahre gewachsene und etablierte Team, das bei wirklich jedem Event die technischen Abläufe und Bühnenorganisationen regelt, weiß osselamäng, wie man Veranstaltungen dieser Größenordnung macht. Jeder weiß, was der andere tut. Jeder weiß, wer der andere ist. Ergeben sich Probleme, gibt es sofort eine Lösung. German Engineering im Rave-Franchise-Sektor. Es ist, auch wenn es abgedroschen klingt, wirklich familiär, die Stimmung ausgelassen und will gar nicht zum globalen, sonst unterkühlten PR-Duktus heutiger Großunternehmen passen. Erfolgreich ist, was ein guter Abend ist. Vielleicht ist das die Botschaft, die mit diesem Outlet geschaffen werden will. Touchpoints und Conversion Rates scheinen erstmal zweitrangig.
Budapest ist eine Insel
Martin Mikolai (S. Olbricht) und Lajos Nádházi (Aiwa) sitzen mit mir am Donau-Ufer und rauchen eine Zigarette nach der anderen. Alle scheinen hier zu rauchen, außer die amerikanischen und schwedischen Touristen, die sich ebenfalls an das Ufer wie Schwalben auf einen vereinsamten Strommast zwängen. Das Pontoon ist eine Open-Air-Location am Fluss, vor ein paar Jahren hätte man Strandbar dazu gesagt. Hier spielen auch schon mal Dâm Funk, Kyle Hall und Funkineven, das Publikum ist tendenziell hip. Ein Club mit Fokus auf den Dancefloor ist es dennoch nicht. Die Sonne geht mit inszeniertem Crescendo unter und illuminiert den breiten Fluss, der früher noch die Städte Buda und Pest voneinander trennte, ein Fleck perfekte Welt. Martin und Lajos betreiben mit weiteren Freunden seit sechs Jahren das Label Farbwechsel. Ebenfalls Teil der Crew ist Imre Kiss. Imre lebte für einige Jahre in London, connectete sich dort mit dem Label Lobster Theremin, das wiederum Tracks von Kiss und anderen Farbwechsel-Artists herausbrachte und so eine internationale Wahrnehmung der Budapester Szene erreichen konnte. Man könnte auch Hype dazu sagen.
Beide sind sichtlich müde. Es ist nicht das erste Interview, das sie dieser Tage führen und ihre wochentäglichen Jobs in der Medienbranche wollen auch noch erledigt werden. Über Politik reden auch die beiden nicht so gerne. Generell, das fällt auch im Gespräch mit anderen Protagonisten auf, besteht Reserviertheit, sich kritisch und eindeutig gegenüber die Regierung zu positionieren. Entweder sieht man das alles wirklich nicht so schlimm. Oder man ist genervt vom ständigen Abgestempeltwerden. Oder man fürchtet Schikanen. Oder es ist von allem was. Am Vorabend erzählte mir noch jemand, dass kritischen Clubmachern der Laden auch mal gerne wegen zwei Gramm Gras dicht gemacht wird. Aber können Clubs nicht auch politische Orte sein? Hat man in Georgien und Ukraine nicht gesehen, dass durch Clubs sogar Protestbewegungen initiiert werden können?
„Konkret politisch ist es hier nicht“, erklärt Nádházi, „Aber es finden sich in diesen Kontexten schon eher oppositionell denkende Menschen zusammen. Clubkultur wird auch deshalb nicht so gerne von der Regierung gesehen. Die Verbindung besteht zweifelsohne. Aber wir werden jetzt nicht ständig direkt schikaniert. Es gibt schon so was wie ein internationales politisches Mindset. Daher verstehen wir uns mit den Leuten aus der Ukraine auch sehr gut. Dort wird das Spiel aber noch mal anders, auf einem härteren Level gespielt. Ich glaube, dass die internationale Wahrnehmung von Ungarn überzogen ist. Es ist ja nicht so, dass hier alle per se rechtsradikal sind.“ Dennoch gibt es, entgegne ich, immer mehr junge Menschen aus Ungarn, die ihre Zukunft in anderen Städten suchen und nach Berlin, Paris oder London ziehen. Ich frage, ob so etwas wie ein Talentschwund zu spüren ist. „Das passiert, viele gehen ins Ausland. Aber es ist nicht so, dass alle Guten das Land verlassen. Einige wollen weg, einige wollen bleiben und andere kommen wieder zurück. Imre Kiss lebte für vier Jahre in London und kam kürzlich wieder her. Wenn man international wahrgenommen wird und Gigs außerhalb Ungarns hat, dann ist das Leben hier auch wieder um einiges günstiger. Unsere Währung ist einfach Scheiße. Dafür ist die Stadt schön, die Leute sind nicht völlig durchgeknallt. Aber sie könnten mehr für ihre Interessen und Dinge einstehen. Budapest ist eine Insel. Der Rest des Landes funktioniert noch mal ganz anders. Hier sind die Menschen weltoffener, daher ist die Stimmung gechillter. Aber ja, die Politik geht auf die Nerven. Viele Prozesse, die wir heute erleben, werden vielleicht erst in fünf Jahren ihre volle Wirkung zeigen. Man merkt, dass ein Umbruch ansteht. Das stimmt uns besorgt.“
Martin Mikolai ergänzt: „In der Stadt gibt es ja sehr viele Touristen-Clubs. So wird es für die Regierung schwierig, das eine zu dulden, wenn nicht gar zu fördern und auf der anderen Seite die Clubkultur der eigenen Leute zu unterdrücken.“ Farbwechsel dient den Machern als Plattform. Man arbeitet mit limitierteren Mitteln. Eher werden Tapes als Vinyls veröffentlicht, wegen der Produktionskosten. Aber das Projekt ist international skaliert. S.Olbricht veröffentlichte kürzlich auf dem Leipziger Label PH17, tourte eben erst durch Asien. Imre Kiss spielt heute wieder in London. Es sind Producer aus Slowenien hinzugekommen. Die Familie ist auf über 20 Personen angewachsen. Die Artists kommen weltweit rum. Budapest alleine ist zu klein für diese Idee und die gewachsene kluge Qualität der Musik spricht ohnehin für sich. Dieser Sound gehört in die Welt.
Samstagnacht im Várkert Bazár. Wo noch tagsüber im Außenbereich ein Markt mit Street Food, Synthesizer-Workshops, Kompakt-Showcase und Label-Ständen stattfand, ist der große Floor nun brechend voll. Alle tragen Berghain-Anstehschlangen-Schwarz. SHDW & Obscure spielen übersteuerten, granitharten Techno, der kaum Luft zum Atmen lässt. Dystopisch. No future, fuck it. Es ist intensiv, einzelne Tänzergruppen schwingen euphorisch Glowsticks durch die Luft. Proper Rave. Als Ben Klock übernimmt und die gefühlt 56. Dose Bier am Wochenende aufgemacht wurde, geht noch einmal die Sonne auf. Der Berliner zeigt, wie man Techno in so einem Setting inszenieren kann, ohne die eigentlichen Wurzeln zu vergessen. Technisch präzise und die Fähigkeit, den Sound so einer immensen Anlage immer unter Kontrolle zu haben. Im globalisierten Geschäft, wo man gerne mal Torten aufs Publikum wirft, ein einnehmendes und versöhnlich glücklich stimmendes Ende.
Safespace
Einige überlegen noch ins Lärm zu gehen. So heißt der einzig veritable Club der Stadt. Die Macher vom Staub-Kollektiv legen dort auf. Die Welt ist klein. Das Lärm ist einer der wenigen Safespaces für die LGBTQ-Community in der ungarischen Hauptstadt und ich erinnere die Worte von Aiwa vom Nachmittag. Es geht am Ende nämlich doch um die Bedeutung von Subkulturen und das Potential von alternativer Clubkultur in schwierigen politischen Verhältnissen, und da spielen in dieser komplizierten Gegenwart auch Festivals wie das Electronic Beats eine Rolle. Denn die Werte, die durch so eine Musik transportiert werden können, funktionieren unabhängig vom Corporate-Magenta: „Vor zehn Jahren gab es mehr Clubs, heute haben viele geschlossen – das hatte aber nicht nur politische Gründe. Das Lärm konnte sich beweisen. Gerade wenn Clubs ein Safespace für die LGBTQ-Community sind, dann ist das wichtig. Auf dem Land eine Gay Party zu schmeißen, würde dir riesige Probleme bereiten. Dort ist man viel konservativer. Es gibt kaum Geld, um zu verreisen. Die kennen die Welt nicht und wissen nicht, dass alle Menschen auf der ganzen Welt gleich sind. Sie haben Angst vor allem, was sie nicht kennen. Ich möchte gerne in Europa leben. Ich finde die Vision der Europäischen Union gut und vertrete sie. Die junge Generation versteht aber auch, dass es wieder darum geht, rebellisch zu sein. Sich zu positionieren und politisch aktiv zu sein. Das vermischt sich mit der Kunst und Musik, keine Frage.“