Earquake – Wolfgang Voigt 1991-1999Die Werkschau mit 303 Tracks des Kölner Großmeisters
30.10.2019 • Sounds – Text: Thaddeus HerrmannWolfgang Voigt ist ein Mann mit 1.000 musikalischen Gesichtern – und steht mit seinem Schaffen für weit mehr als GAS, also seiner wiederbelebten Ambient-Hommage an die Welt des Waldes. Heute erscheint eine umfangreiche Retrospektive. Sie fasst zusammen, was er in den 1990er-Jahren veröffentlicht hat. Auf USB-Stick.
Alle Solo-Projekte, viele Compilation-Beiträge und ein komplettes unveröffentlichtes Album: „Earquake“ bündelt auf insgesamt 303 Tracks das, was Wolfgang Voigt unter zahlreichen Projektnamen in den 90er-Jahren in die Welt geblasen hat. Während dieser Sturm- und Drangphase des Techno erschien gefühlt jeden Tag eine 12" von Voigt. Immer Techno war das Output des Kompakt-Manns hingegen nicht: Acid, Shuffle, rumpelnde Extase und eine konsequente Auseinandersetzung mit den Möglichkeiten des Samplings resultierten in einem unvorhersehbaren Potpourri musikalischer Einflüsse und ihrer Verarbeitung. Mal dringlich und fordernd, mal kaputt-konstruiert abstrakt, dann wieder sanft ambient und zitierend oder einfach nur auf die popkulturelle Referenz-12: Voigt war eine Chimäre, die immer erst hinstellte und die Einordnung konsequent verweigerte. Mike Ink, Love Inc. Wassermann, M:I:5, Studio 1 – es quietschte, bollerte, pulste und pluckerte, minimal oder offenherzig übertrieben.
Streamen kann man Voigts Werk aus den 90ern nicht. Auch das Kaufen von MP3s war bislang nicht umfänglich vorgesehen. Man musste schon die Vinyle haben, oder sich in YouTube-Playlisten verlieren und bei der Suche nach der einen B-Seite, die die persönlichsten Erinnerungen triggert, irgendwann aufgeben. Heute ändert sich das. „Earquake“ bildet das ab, was Voigt damals umtrieb. Insgesamt 303 Tracks wurden auf 303 USB-Sticks geladen, die – verpackt in ein Schmuckkästchen und mit einem umfangreichen Booklet ausgestattet – sich nun kaufen lassen: für jeweils 303 Euro. Wie viele Exemplare es davon gibt? 303 natürlich. Wem das zu viel ist, wer eben nur Studio 1 mag und mit den Mike-Ink-Platten nichts zu tun haben will (schwerer Fehler), kann bei Kompakt – und nur dort – auch einzelne Tracks als MP3 kaufen, für jeweils einen Euro. Das betrifft nicht nur die Stücke, die damals tatsächlich auf Vinyl erschienen sind, sondern auch das Bonusmaterial, welches heute zum ersten Mal überhaupt das Licht der Welt erblickt. 75 Stücke, darunter auch das Album „Mit Maschinen Sprechen“ von 1995 – mit „33 abstrakte elektronische Arpeggiator Klangfresken“. Das dürfte heiter werden.
Genauso erfreulich ist auch die Tatsache, dass auch eine Wiederveröffentlichungen auf Vinyl anstehen. Die „Dadajack“-EP, ursprünglich erschienen auf Profan im Jahr 1994, erscheint bereits heute. Weitere sollen folgen. Bei dem ganzen Reissue-Hype, der die Vinyl-Industrie derzeit am laufen hält, ist diese Initiative ein seltener Lichtblick. Denn Voigts Musik von damals ist noch heute relevant und wichtig. Mehr als vieles andere von dem, was heute neu aufgelegt wird.
Earquake auf USB-Stick in AIFF-Qualität und die MP3s gibt es hier.