UnkaputtbarKompakt-Legende Wolfgang Voigt über Wolfgang Voigt
24.4.2017 • Sounds – Protokoll & Fotos: Thaddeus Herrmann, Ji-Hun KimEin Gedankenexperiment: Wäre Techno ein Land, dann wäre Wolfgang Voigt? Eindeutig beantworten lässt sich diese Frage nicht, dafür hat der 1961 in Köln geborene Tausendsassa zu viel in seinem Leben gemacht. Bislang, fertig ist Voigt noch lange nicht, mit gar nichts. Da kann Kompakt mittlerweile zum Establishment gehören, sein Acid-Alias Mike Ink ein Garant für euphorische Arme in der Luft auf Retro-Partys sein, sich alle Kreisel-, Profan- und Speicherplatten gleichzeitig drehen: Wolfgang Voigt hat zu viel geschafft, zu viel bewegt: Jegliche Auseinandersetzung mit ihm und seinem Werk bleibt ein Kratzen an der Oberfläche. Wäre Techno also ein Land, dann wäre Wolfgang Voigt mindestens ein Minister mit einem mindestens besonderen Aufgabenbereich. Der sich immer wieder aus dem Tagesgeschäft herausziehen kann, darf und sogar soll, um seiner eigenen Kunst den eingeforderten Raum zu geben. So aktuell geschehen mit seinem neuen Album „Narkopop“ und der Fortführung seines GAS-Projekts. Es ist die vielleicht wichtigste Maske, die sich Voigt in all den Jahren aufgezogen hat: Seine Ambient-Entwürfe bieten sowohl genug Reibungs- als auch Assoziationsfläche für alle Beteiligten. Ji-Hun Kim und Thaddeus Herrmann haben Wolfgang Voigt getroffen, ein paar Fragen gestellt, vor allem aber zugehört. Denn Wolfgang Voigt spricht nicht oft so offen über das, was hinter und noch vor ihm liegt. Feat.: Wald, Kompakt, Techno, Deutschland, Köln, Minimal Techno vs Minimal Art, Humor und Erfolg. Wolfgang Voigt bleibt auch 2017 unkaputtbar, für das Dasein als Techno-Opa ist er noch lange nicht bereit. Ein O-Ton-Protokoll.
Der Plan, das neue Album so spontan herauszubringen, war nicht, dadurch besonders viel Aufmerksamkeit zu erzeugen. Eher das genaue Gegenteil. Dieser Riesenalarm, das muss alles nicht sein. Wir wollten eher kleine Brötchen backen. Aber wie man es macht, macht man es verkehrt.
Meine Label-Partner mussten mir das Box-Set mit den alten Alben schon abringen. Ich mache lieber etwas Neues. Mich auf Dinge festzulegen, an ihnen festzuhalten, liegt mir gar nicht. Aber ich habe mich schließlich überzeugen lassen und in der Tat: Das hat super funktioniert. Nicht wegen wirtschaftlicher Gründe, sondern weil es so positiv aufgenommen wurde. Als sehr selbstkritischer Mensch habe ich anerkannt, dass GAS mittlerweile zeitlos ist, einen gewissen Status in der Wahrnehmung erreicht hat. Im guten Sinne etwas Unkaputtbares repräsentiert in diesen beliebigen Zeiten. Dafür muss man dankbar sein.
Die Idee der Box war ja nicht, die Ankunft im eigenen Musealwerden zu feiern. Das ist überhaupt nicht mein Ding, genauso wenig wie Retro. Selbstbeweihräucherung liegt mir erstmal fern. Es war aber schön zu spüren, dass sich die Veröffentlichung für viele „echt“ angefühlt hat, ohne dabei hysterisch zu wirken. Die Idee für ein neues Album war schon seit langer Zeit präsent. GAS war für mich immer etwas Kontinuierliches, auch wenn der erste Peak schon in den 90ern stattfand. Dann war eine kreative Phase abgeschlossen, ich habe jahrelang andere Dinge gemacht, mich um den Aufbau des Labels Kompakt gekümmert, ergo um Musik anderer Leute. Daher war ich von 2000 bis 2008 in meinem eigenen musikalischen Schaffen eher unspektakulär unterwegs. Irgendwann jedoch hat die eigene Kreativität wieder ihr Recht gefordert. Dann dachte ich, dass ich das lang geplante Album „Narkopop“, der Titel stand eigentlich schon 2001, aufnehmen würde. Im Kopf existierte das alles schon. Was dann aber herauskam, stellte sich als weit abstraktere, atonalere und kunstvollere Musik in Richtung moderne Klassik heraus – Ligeti und so.
Das wurde dann unter dem Projekt „Rückverzauberung“ zusammengefasst, mit dem ich jetzt zehn Jahre lang aufgetreten bin. Alles, was ich in dieser Phase machte, floss in dieses Projekt ein. Und das passte nicht zu GAS. Auch deshalb hat es noch eine ganze Weile gedauert, bis ich wieder soweit war. Die Box hat dabei geholfen.
GAS
Für mich ist GAS interessanterweise ganz klar definiert. Das entspricht eigentlich gar nicht meiner künstlerischen Natur. Ich neige prinzipiell zu unerwarteten Hackenschlägen und muss permanent die Welt, vor allem meine eigene, neu erfinden. Ich kann die Leute nicht überraschen, wenn ich mich nicht selbst überrasche, ich muss dauernd alles gegen den Strich bürsten. Es hat was mit einer inneren Paranoia vor Festlegung zu tun und der permanenten Auseinandersetzung mit Widersprüchen – auch den eigenen. Erstmalig habe ich es mit dem aktuellen Album aber geschafft, einen verbindlichen Rahmen abzustecken. GAS ist etablierte Musik, das Projekt steht für was. Für ein audiovisuelles Konzept. Die Leute assoziieren etwas damit. Es ist schön, dass sich das so entwickelt hat, dass es konstant seine Kreise zieht, eine gewisse Zeitlosigkeit erreicht hat. Ich bekomme Feedback von Menschen, die wirklich verstanden haben, wie das alles gemeint war und ist. Das ist einer von vielen Gründen zu sagen: GAS ist GAS.
„Ich habe es mir zur Aufgabe gemacht, im besten Sinne des Wortes nah am Werk zu bleiben.“
Weil ich genügend andere Dinge mache, um meine eigene Widersprüchlichkeit zu verarbeiten, kann ich mich hier also festlegen. Es gibt einen bestimmten Klangkosmos. Ich habe es mir zur Aufgabe gemacht, im besten Sinne des Wortes nah am Werk zu bleiben. Das war auch mein Antrieb. Im Grunde ist das ja alte Musik, die ich mit neuen Mitteln weitererzähle. Ein Anerkennen der eigenen Historisierung. Die Samples, der Klang, das Sujet: Die Uridee ist 20 Jahre alt. Aber: Mittlerweile hängt wirklich viel dran an diesem Projekt. Disziplin zum Beispiel. Es hat eine gewisse Größe, es ist manifestiert. Also arbeitet man sich an bestimmten Koordinaten ab, aber im guten Sinne: Das hat nichts mit Beschränkung zu tun, es ist ja keine Auftragsarbeit, kein Remix. Es ist meine eigene Musik und ich will es ja auch tun. In Zeiten wie diesen herrscht doch absolute Freiheit. Ich kann jeden Quatsch machen und habe das ja auch in der Vergangenheit genauso gehalten. Wenn etwas mal nicht funktioniert, dann kriege ich vielleicht Ärger, aber das war’s. Bei GAS hoffe ich, dass es die humorfreieste Seite meiner Arbeit zeigt. Es ist ein düsteres, ernstes Werk. Ironie liegt mir hier vollkommen fern. Es ist Herzblut, das da zum Fließen kommt. Das muss ich bei all dem, was ich tue, erstmal freischaufeln können. Damit es genuin für das steht, was es ist.
Köln
Wie aus Köln eine Waldstadt wurde? Dazu brauchte es ja nur mich. Ein Witz. GAS hat mit Naturassoziationen zu tun; auf zweierlei Weise. Zum einen ist da die kindliche Prägung, Berge und der Wald, das ist immer wieder zitiert worden. Das andere ist eine Vorliebe in der Kunstgeschichte, die Romantik im weitesten Sinne. Das interessiert mich. Klassisch-naturalistische Motive, damit spiele ich. Das ist etwas Persönliches, hat also nichts primär mit Köln zu tun. In Castrop-Rauxel, Berlin oder im Bayerischen Wald wäre mir das genauso passiert. Dass die Verbindung von GAS und Köln erst goutiert, dann ernst genommen und schließlich mythologisiert wurde, stand nicht auf meiner Agenda. Das wurde daraus gemacht.
„Wir wollten den Detroit-Techno nicht kopieren, sondern etwas eigenes entwickeln, eine eigene Sprache.“
Deutsch
Das Experimentieren mit Begriffen und Bezügen zur deutschen Sprache im Kompakt-Kosmos – Schaffel, Speicher etc. – ist tatsächlich zu einem großen Teil auf meinem Mist gewachsen. Ich wollte der Musik und dem Label ein Image geben, ganz im Sinne der Pop-Art. Ein eigenes Image. Mitte der 90er-Jahre entwickelte sich Techno aus Deutschland zu einem großen Ding. Das betraf ja nicht nur Köln. Es gab Berlin-Techno, Frankfurt-Techno usw., praktisch eine universelle Sprache mit vielen lokalen Dialekten. Warum nicht genau diesen Dialekt prominent rausstellen? Wir wollten den Detroit-Techno nicht kopieren, sondern etwas eigenes entwickeln, eine eigene Sprache. Ein Blick in die Musikgeschichte zeigt, dass Bands aus Deutschland, die einen starken Bezug zur deutschen Sprache haben, auch international wahrgenommen wurden. DAF, Palais Schaumburg, die Neubauten. Diese Bands haben aber auch immer mit bestimmten deutschen Klischees rumgeeiert. Ob es Kraftwerks Gründlichkeit ist oder die angeblich faschistoide Ästhetik bei DAF. So oder so: Diese Bands wurden wahrgenommen. Nicht BAP oder Dieter Bohlen. Ich fand es immer gut, das hab ich oft gesagt, eine Art deutsche Warhol-Factory zu haben. Nach ähnlichen Prinzipien, mit eigenem Mythos, eigenen Zeichen, um in der Popkultur etwas zu vermarkten, was aber sehr genuin auf uns bezogen ist.
Die unverbindlichen Anglizismen, mit denen die meisten Techno-Acts damals gearbeitet haben, wie „XWeeSevenirgendwas“, das war nicht unser Ding. Wir haben die Typen einfach bei ihrem bürgerlichem Namen genannt. Hans Müller macht eine Techno-Platte. Das war gar nicht so witzig gemeint, wie es wahrgenommen wurde. Nenn Dinge beim Namen, dann kann dir nichts passieren. Das war unser Motto. Irgendwann hat sich das verselbständigt und wurde normal. Wir bekamen plötzlich Demos von Künstlern, die sich Jürgen Schlüter nannten.
Die Kumpels fanden das aber okay. Wir waren damit ja auch nicht allein auf weiter Flur, die Hamburger Schule funktionierte ähnlich. Blumfeld. Wir dachten, was die für Gitarrenmusik können, können wir mit Techno auch. Das hat auch zu gegenseitigem Respekt geführt. Dass man gut findet, was die anderen machen. Ich bin noch heute ein großer Deichkind-Fan, ich finde es brillant, wie die das machen. Das könnte ich nicht. Eine beeindruckende Band. Die machen nicht einfach Rap mit knödeligem Streetstyle-Slang. Ich finde Deichkind da besser, glaubwürdiger. Ist näher an mir dran.
Humor
Humor und Techno waren immer sehr gegensätzliche Spezien. Das hat man nicht zusammen gedacht, das führte zu Irritationen. Besonders in Berlin hat man unseren Ansatz gar nicht verstanden. Was umso mehr zu einer spaßigen Abgrenzung geführt hat. Weil Techno aus Berlin gab es ja schon. Wie hätte man das Gleiche in Köln machen wollen? Vollkommen andere Situation. So hat sich das gleichzeitig entwickelt. Mit gegenseitigem Respekt: Hey, alles gut! Das war aber keine Strategie, einfach unser Spirit. Es gab diesen bestimmten bierernsten Kader-Techno. Etwas sehr Hermetisches, absolut verbindlich, alles dark. Funktioniert ja auch. Ich bin ein Riesenfan des Berliner Labels Pompom. Alles schwarz, alles nichts, super, ganz toll. Das ist große Kunst. Aber es gibt auch eine sehr verbissene, humorlose Art, Musik zu machen und genau das wollten wir nicht. Das war uns zu langweilig. Fünf Stunden Minimal, alles gleich, keine Späße – Nö!
Mike Ink
Ich hätte Mike Ink zu etwas wirklich Großem machen können. Hab’ ich aber nicht. Es wurde mir zu erfolgreich, da platzte die Blase. Als ich plötzlich überall nur noch Mike genannt wurde, war mir das zu blöd, zu viel Persönlichkeitsdemontage. Da habe ich gesagt: Es reicht. Schlussstrich. Parallel haben dann Projekte wie GAS ihr Recht eingefordert. Dieses charakteristische Mumpfen hatte sich ja bei den Profan-Platte bereits angedeutet. Da wollte ein anderer Wolfgang Voigt Raum für andere Ideen. Auf der anderen Seite aber das Acid-Frontschwein Mike Ink. Der Rabauke, der gut funktioniert, hinter dem man sich gut verstecken kann. Irgendwann hat das keinen Sinn mehr gemacht, auch das Thema der Anonymität oder dass jeden Tag ein neuer Künstlername erfunden wurde. Zu viele Platten in zu kurzer Zeit. Ich merkte: Wenn ich so weiter mache, komm ich aus der Mike-Ink-Sache nicht mehr raus. Vielen meiner Zeitgenossen ist das passiert, ich wollte das nicht. Wirtschaftlicher Erfolg war nie mein Primärziel, viel mehr die künstlerische Freiheit, die ich mir bis dahin erarbeitet habe. Wir hatten Strukturen, in denen man frei arbeiten konnte. Da habe ich gesagt, es wird Zeit, auf die eine Schiene zu setzen. Und dann kam das Projekt auf den Weg.
Bis dahin hatte es mir großen Spaß gemacht, schnell und in alle Richtungen zu arbeiten. Ich fand es spannend, unklarere Dinge zu machen. Unerwartete Kollaborationen. Ich wollte raus aus dem Spex-geschulten 80er-Jahre-Köln, wo alles politisch mega korrekt sein musste. Da musste man an bestimmten Dingen des Lebens vorbei, an denen ich schon längst vorbei war. Ich fand es gut, mit vermeintlich verdächtigen Frankfurt-Typen abzuhängen und seltsamen Ecstasy-Techno zu machen. Oder Platten für Marusha, das fand ich auch toll. Zusammen genommen hat das die Bälle in der Luft gehalten. Irgendwann war das mit GAS nicht mehr vereinbar – meiner ernsten Seite.
Mit Achim Szepanski hing ich auf Force Inc. ab. Wir haben bierselige Techno-Platten gemacht und irgendwann kam dann Mille Plateaux dazu. Ich war nie wirklich Teil dieser Clique, die das damals philosophisch zurecht geschraubt hat, ich hatte und habe einen anderen Blick auf die Dinge. Szepanski hatte ja diese politisierende Art. Entweder man war für ihn oder gegen ihn. Ich war eher: Bis hierhin und nicht weiter. Also mach’ mal. Das soll nichts heißen, es war eine amüsante Zeit.
Techno
Heute bin ich ja nicht mehr in der ersten Reihe unterwegs. Den Gegenwartszustand vom Spirit her kann ich also nicht so gut beschreiben. Ich hab natürlich noch einen Blick darauf und schaue mir an, was passiert. Im Grunde sehe ich das heute aber so wie schon vor 15 Jahren: Am Anfang standen viele dem Techno sehr skeptisch gegenüber. Es war stumpfe Musik. Irgendwann hat sich die Intelligentia aus unterschiedlichsten Perspektiven der Sache angenommen. Es gab Kooperationen, Öffnungen bis hin zu unsäglichen Kollaborationen wie die von Klassikorchestern und irgendwelchen Bassdrum-DJs, die man mehr oder weniger gut finden kann. Es gab aber spirituelle Grenzöffnungen in alle Richtungen. Auch nicht alle verkehrt. Techno ist die letzte Stufe absoluter, internationaler, nonverbaler, grenzfreier und von allen inneren, äußeren, wie auch immer gearteten Grenzen befreiter Musik, die weltweit funktionieren kann – und das tut sie. Es ist die erfolgreichste Konsens-Tanzmusik der Welt. Bis heute. Es ist nicht mehr neu, große Innovationen kann man nicht mehr erwarten. Aber ich sehe auch nichts anderes, keine Alternative.
Ich sage ja immer: Nach Techno kommt Techno.
Ich kann mich individuell positionieren, andere Haltungen einbeziehen. Aber die Geschichte von Minimal Techno ist erzählt. Tragisch finde ich, wenn es zurück geht, rein funktional wird und nur noch Automatenmusik ist. Es gibt Scheißseiten, klar. Auf die muss ich aber nicht gucken. Ich sehe aber nicht das next big thing, das Techno ersetzen würde. Damit ist auch die ganze Art der Popkulturgeschichtsschreibung zu Ende. Der Kulturbetrieb braucht neue Hypes, dann nennt man Techno eben mal Elektro. Die weltweit dominante Tanzmusik ist und bleibt für mich aber Minimal Techno in all seinen Spielarten. Einen Teil davon finde ich noch immer interessant.
Ich habe das alles in vollen Zügen mitgemacht und gelebt. Ob ich über die Entwicklung traurig bin, ist dabei gar nicht entscheidend. Frag einen 22-Jährigen, der mit Techno auf seinem Handy aufgewachsen ist. Die Kids landen ja auch mal in unserem Plattenladen und entdecken dann die Musik aus einer Zeit, in der sie geboren wurden oder in den Kindergarten gegangen sind. Sie fahren auf die knisternden 90er-Jahre-Produktionen ab und finden gerade die gewagten Konzeptionen von Techno spannend. Mir wird das regelmäßig angetragen: Hast du sowas noch im Keller? Und dann rückt man halt mal raus. Natürlich freut man sich, dass heute Menschen die Vibes dieser Musik noch so unerklärt empfangen. Und das gut finden. Auf der anderen Seite gibt mir das zu denken.
Du bist der Techno-Opa und plötzlich kommen die Leute und fragen: Erzähl doch mal von früher. Ich bin noch nicht so weit. Ich weiß nicht, wie es den anderen damit geht.
Fusion
Aber Wissenstransfer ist wichtig. Im Rock’n’Roll, wenn die Enkel von Mick Jagger fragen: Hol doch mal die alten Platten raus. Und dann selber anfangen, in einer Band zu spielen. Im Grunde genommen sind das immer Gitarre, Bass, Schlagzeug und jemand, der dir Dinge vorsingt, die du schon hunterttausendmal gehört hast. Man kann sagen: Lasst mich damit in Ruhe, ich will nur noch kosmische Musik machen, aber das stimmt ja nicht. Ich finde es gut, wenn sich Musikgenres treffen, zwischen denen es bislang keine Berührungspunkte gab. Klassik, Techno, Elektronik – nicht nur funktional, sondern spannend und befruchtend. Wenn aus zwei Genres, die vorläufig an ihre Grenzen gestoßen sind, ein vermeintlich neues Genre mit neuer Reibungshitze entsteht. Das kann interessant sein. Dass man mit dem Kölner Symphonieorchester abstrakte Elektronik mit dem Laptop spielen kann und der hermetische Hofstab der Klassik einen nicht gleich rausschmeißt, ist ein Gewinn. Da entstehen interessante Sachen.
Minimal
Ich mache immer noch gerne alle paar Jahre experimentelle Minimal-Techno-Sachen, wo ich eine Bassdrum habe und zwei andere Sounds einfach außen drumrum tanzen lasse. Das wird mich ein Leben lang begeistern. Ich begreife mich aber eher als Minimal-Art-Künstler. Das ist keine Musik, die ich Ricardo Villalobos in die Kiste rein produziere. Aber es ist eine Spielart davon. Wir reden von einer geraden Bassdrum um die 120 BPM und irgendwas drumherum. Mir ist das irgendwann aufgefallen. Dass das, was ich im Bereich der minimalen Techno-Musik mache, eigentlich eher was mit Minimal Art als wirklich mit Minimal Techno zu tun hat. Wenn Minimal Techno das ist, was in den Großraum-Discos da draußen läuft. Ergonomisch gemacht mit Standards und Automatenbauteilen: Ich mache etwas anderes. Konzeptkünstler halt.
„Ich begreife mich aber eher als Minimal-Art-Künstler. Das ist keine Musik, die ich Ricardo Villalobos in die Kiste rein produziere. Aber es ist eine Spielart davon.“
Ich sag das gar nicht so gerne, weil eigentlich hat uns Techno ja damals von so kopflastigem Scheiß befreit. Als Minimal dann irgendwann zum Schimpfwort wurde, hat mich das nicht wirklich tangiert. Aus meiner Sicht wurde das immer von denen beschimpft, die auch keine bessere Idee hatten und sich per se abgrenzen wollten. Dass etwas scheiße ist, sagt sich schnell. Ich will dann aber auch einen besseren Vorschlag hören.
Autor
Du bist die Summe deiner Erkenntnisse. Das hängt zusammen. In den frühen 90ern war Autorenschaft im besten Sinne ja nahezu verpönt. Das war eine gute Sache. Aber im Nachhinein gab es dann eine Gegenbewegung und die Summe all dieser Dinge führt zu einer potenten Autorenschaft. Man häuft einen Kulturberg an, das führt automatisch zu einem Konvolut potenter Autorenschaft. Wie man das auch immer findet. Ich würde heute auch eine Hälfte wegräumen, aber man hat es nun mal gemacht.
Kompakt
Ich weiß nicht, ob ein Kompakt-Revival ansteht. Wir bereiten uns jedenfalls nicht darauf vor, haben wir nie gemacht, sind aber bestimmt dabei.
Davon geh ich aus. Ich freue mich schon, den Rucksack und die Gasmaske wieder auszupacken. So what?! Mögen die Spiele beginnen. Techno ist tot. Es lebe Techno. Es wurde alles gesagt, was es zu sagen gibt in dieser Musik, seitdem herrscht Diversifizierung, Individualisierung oder auch hermetische Inselbildung. Oder um es mit Green Gartside, dem großartigen Sänger von Scritti Politti zu sagen: aktives Vergessen. Wichtig ist doch, dass du die Scheiße vergisst. Nur so kann sie wiederkommen. Wenn du dich zu sehr am Historischen aufhängst und permanent damit beschäftigt bist, zu beweisen, dass das, was jemand gerade produziert vor sieben Jahren auch schon da war, bringt uns das nicht weiter. Es geht um innere Essenz von Musik. Das ist nicht nur Konzept. Und ich kann auch nicht nur schauen, was ist gerade hip und was nicht. Trends sind mir egal. So viel Selbstvertrauen muss dann schon sein.
„Ich hatte das Zepter in den ersten Jahren in der Hand und bin stark mitverantwortlich für die ersten 150 Kompakt-Veröffentlichungen. Dann habe ich die Staffel einfach weiter gegeben. Ich bin nicht der Typ, der ewig verwaltet.“
In der Werderstraße sind wir seit 2003. Davor in der Brabanter Straße. Seit ungefähr zehn Jahren habe ich mich nach und nach aus der A&R-Labelarbeit für Kompakt zurückgezogen. Im Wesentlichen machen das heute mein Freund Michael Mayer mit beratender Unterstützung von Jon Berry, unserem kanadischen Promomann, der in Berlin sitzt. Und einem gelegentlichen Seiteneinschub oder Kommentar meinerseits. In der Regel aus dem extrem „linken“ Flügel: der Pop-Ambient-Perspektive. Das funktioniert wie beim wunderbaren grünen Rotationsprinzip. Ich hatte das Zepter in den ersten Jahren in der Hand und bin stark mitverantwortlich für die ersten 150 Kompakt-Veröffentlichungen. Dann habe ich die Staffel einfach weiter gegeben. Ich bin nicht der Typ, der ewig verwaltet.
Ich bin einer, der schafft und Dinge hinstellt. Ich wollte diese Firma haben. Aus Leidenschaft. Für mich ist es ein popexperimentelles Produkt. Aber zugleich schafft es mir heute die Freiheit, das zu tun, was ich will. Als ich 2008 wieder anfing, intensiver Musik zu machen, musste ich einfach meinen Kopf frei bekommen. Das heißt konkret: Ich möchte möglichst wenig wissen und nicht entscheiden müssen über anderer Leute Kunst. Heißt nicht, dass ich das besser oder schlauer finde. Wenn ich mich auf eigene Dinge fokussiere, brauche ich einen klaren Blick. Dann bin ich – um es so zu sagen – nur im Wald und schaue mich um. Das funktioniert. Jungs, ich finde die Platte gut, also macht sie. Solange die Bassdrum grade ist, ist das OK. Ich bin eher der Gralshüter. Ich will, dass diese Punkte auf den Covern bleiben. Dass der Adler da bleibt und dass bei mindestens 51 Prozent der Musik die Bassdrum grade ist. Alles andere ist verhandelbar. Da sind wir tolerant. Wir sind ja in Köln, ne?
Musikunternehmen
Was das Wirtschaftliche anbetrifft, haben wir festgestellt, dass es einfach Höhen und Tiefen gibt. In den 90ern haben uns alle gehypt. Dann fanden uns in Deutschland alle blöd. Plötzlich mochten uns dann die Amis und Engländer. Dann wieder nicht. Das sitzt man irgendwann aus. Ich will nicht mit Helmut Kohl kommen, aber du lernst mit 25 Jahren Erfahrung, ruhig zu bleiben. Einen modernen Musikbetrieb als zeitloses Familiending und nicht ein hysterisches Hipsterding zu begreifen, wie ein Start-up, das nach drei Jahren keinen mehr interessiert. Wir sind ein gemütlicher Familienbetrieb im besten Sinne. Dann stellst du fest, dass es mit der Zeit eine Unkaputtbarkeit der Marke gibt. Der Musikbetrieb ist allen schwierigen Witterungen ausgesetzt. Wir hatten die Digitalschneise ab 2007. Jeder weiß das, da ging es deutlich bergab. Wir sind aber breit aufgestellt. Wir haben den Switch zu iTunes und Spotify gut überlebt. Es funktioniert, zumindest wenn ich den Leuten Glauben schenken darf, die sich darum kümmern. Kompakt ist mittlerweile eine so große Marke. Man darf das scheiße finden. Als Hipster muss man das irgendwann scheiße finden. Es wäre verdächtig, wenn es nicht so wäre. Wir sind ja nicht schlauer als andere.
Erfolg
Wir wundern uns oft selbst, wie wir uns so lange halten konnten. Manchmal schaut man sich die Details an und kommt zu dem Schluss: Logisch ist das alles nicht. Das ist aber unsere Idee, Wirtschaft mit der Chaostheorie zu betrachten. Man bekommt ein Gefühl dafür, es ist Intuition. Man geht kurze Wege, man kennt die Strukturen, Produktionsmittel etc. Man lernt mit den Jahren, dass man zum Beispiel nur das ausgibt, was man hat. Dabei wird es auch mal eng und es gibt Zusammenhänge, die man nicht beeinflussen kann. Die gibt es in jedem Laden. Ich glaube aber daran, dass es auch deshalb funktioniert, weil es uns nie in erster Linie um Wirtschaft ging. Das ist kein kosmischer Plan, andere sind oft mal geradliniger. Wir haben eine Kultur der Inkonsequenz. Unterm Strich funktioniert das und ich sehe nicht, dass sich das in Zukunft ändern soll.
Komponieren
Ob Gas oder nicht: Ich arbeite mit minimalistischen Strukturen. Meine Gitarre ist der Sampler. Das ist mein Kommunikationstransmitter zur Außenwelt. Ich spiele den auch so virtuos wie andere die Gitarre. Mittlerweile arbeite aber auch ich mit amtlicher Software. Es ist alles digital. Ich habe aus einigen Fehlern gelernt. Ich würde auch nicht mehr mono samplen und weiß mittlerweile auch, was Doublenotes sind. Technisch bin ich Richtung 3.0 orientiert. Die Kunst beim neuen Album war es eher, das, was viele Leute bei GAS früher gut fanden, zu emulieren. Denn diese Dinge waren eigentlich nicht gut, sondern schlecht. Ein objektiv-tontechnisch gesehen katastrophaler Sound, eine Mischung aus technischem Unvermögen, künstlerischer Verweigerung und bestimmten psychoakustischen Wahnvorstellungen des Künstlers. Intuitiv nach extrem verdichteten clusterhaft-morastigen Sounds zu suchen. Das hat dazu geführt, dass Menschen diese Gespenster darin sehen. Heute bestand die Aufgabe darin, mit gut klingender Software, besser organisiertem Fundament, einem vernünftigen Stereo-Splitting und allem, was du möchtest, einen für moderne Clubs tauglichen Sound zu schaffen. Der auf einer Funktion One gut klingt, aber dennoch 100 Prozent GAS bleibt. Wenn das irgendwie halbwegs rüberkommt, ist ein Großteil dessen, was ich erreichen wollte, schon geschafft.