Mitgehört: Musik aus dem Filter-SchwarmHeute: Lars Brinkmann, Journalist

Mitgehört-Brinkmann

In seiner Kolumne „Mitgehört“ befragt Martin Raabenstein ganz unterschiedliche Menschen, was sie musikalisch umtreibt. Von prägenden Momenten bis zu aktuellen Highlights: Die Jukebox des Filter-Schwarms wird mit jeder Folge bunter. Heute: der Journalist und Autor Lars Brinkmann.

Magst du dich kurz vorstellen?
Geboren im Süden, nordisch by nature. Dank Andy Warhol und Charles Wilp drei Jahrzehnte als Edel-Nutte in der Werbung tätig. Seitdem, zum Ausgleich des Karma-Kontos, umfangreiche Selbstausbeutung: in den guten, alten Zeiten für Klugscheißermagazin SPEX über randständige Kultur berichtet, (Heavy) Metal entstigmatisiert, Noise vergöttert, daneben, davor und danach Fanzines beschenkt, das Feuilleton unterwandert, Musik gemacht etc. pp. Hier und da auch mal ein paar Platten aufgelegt, zuletzt im Haus der Kulturen der Welt bei der Veranstaltung „Böse Musik“. Vor ein paar Jahren den Worten Taten folgen lassen und zusammen mit einer Heerschar von gleichgesinnten Selbstausbeutern das Periodikum GRIMM geboren. Immer noch Linksaußen. Immer noch Hedonist. Immer noch Lost in Music.

Woran arbeitest du gerade?
Ich/wir arbeiten an einem Reader mit verdienten Kolleginnen und Kollegen – man nannte sie Musikjournalisten, als es Musik-Journalismus noch gab. Thema: geniale Arschlöcher. Und dann wartet da natürlich noch immer eine weitere, evtl. finale Ausgabe von GRIMM. Was die „Jobs” – sie nannten es Arbeit – betrifft, schreibe ich regelmäßig für das Monatsmagazin Konkret, zuletzt über Wolfgang Voigt/GAS.

Was hörst du zur Zeit gerne?
Dub, Doom und Drones. In den letzten Monaten DUB in allen Varianten, von den Anfängen über UK-Steppa, Digi-Dub, On-U, WordSound bis hin zu neuerem Knispelkram jenseits von Zuschreibungen wie Dubstep oder womöglich Dub-Techno – im Schwerpunkt jedoch altes, jamaikanisches Zeugs aus der Blütezeit, also den 1970ern. Völlig unvermittelt hat mich jedoch rechtzeitig zur Jahreszeit endlich ein Album erreicht, dass Monate zwischen Hamburg und Leeds gependelt zu sein scheint. Das macht „Stories Of Disintegration” von Swoop And Cross natürlich nur noch wertvoller. Den spärlichen Hinweisen im Netz entnehme ich, dass dahinter der in London lebende Portugiese Ruben Vale steckt.

Was ist das Besondere für dich daran?
Ambientöses Klassik-Geschwurbel, das sich klaglos mit raschelndem Laub verblendet, ohne seifig-rutschig zu werden. So etwas gibt es in dieser Klasse nicht oft. Selbst das Collagen-Cover … ein ganz zauberhaftes Album. Und was Dub betrifft, der begleitet mich seit der Punk-Zeit, u.a. dank Frontline (das ehedem von Johnny Rotten betreute Reggae-Unterlabel von Virgin). Als Kaltblütler habe ich diesen unerträglichen Scheiß-Sommer dazu genutzt, weder (für die Musik) nach Jamaika noch (fürs Wohlbefinden) nach Island zu reisen, sondern mich ganz und gar der Geschichte des Dubs und seiner frühen Protagonisten zu widmen. Aber allein die Mixer, Produzenten und Studio-Besitzer inklusive ihrer Armee von Helferchen auseinander zu klambüsern, kostet mich wahrscheinlich noch ein paar Monate meiner Rest-Lebenszeit.

Verbringst du viel Zeit mit Musik?
In meinem Kopf, ja. Zudem drängt mich irgendwas dazu, die alten Jazz- und Poetry-Dämonen mit Drones und Worten austreiben zu wollen.

Deine älteste tonale Erinnerung?
Gebärmutter-Ambient und Harsh Noise im Entbindungssaal. Ansonsten: Spieluhren wie aus Horrorfilmen. Als kleiner Junge habe ich am frühen Abend nicht nur im Fernsehen zu viele expressionistische Stummfilm-Schnipsel von Murnau, Lang etc. gesehen, sondern definitiv auch viel zu früh im Radio „I had too Much To Dream Last Night” von den Electric Prunes gehört. Kinder, was waren das für Träume! Der Song löst bei mir bis zum heutigen Tag ein wohliges Schauern aus …

Lars Brinkmann

Und dein dein All-time-favourite? Track oder Album?
Tracks gäbe es wirklich viel zu viele, und die Top Ten der Insel-Alben wechselt nach Tagesform. Sei’s drum, die letzten Jahrzehnte habe ich aus Prinzip, um nicht zu lange über solch Kokolores nachzudenken, immer dasselbe geantwortet: The Pop Group – „Y“. Aber: Inzwischen weiß ich, dass Mark Stewart ein Arschloch ist, das seine Freundin schlägt, da kann ich ja gleich ein Album von BURZUM nehmen, der hat wenigstens nur einen Kumpel abgestochen (und ein paar Kirchen angezündet (und mit was? Mit Recht!)). Ich bleibe also bei „Raw Power” von Iggy und seinen Stooges im vermulchten Original-Mix von David Bowie. An anderen Tagen empfehle ich z.B. zu Pilz & Wein „Gris-Gris“ von Dr. John, für weitere Ausflüge „Ladies And Gentlemen We Are Floating In Space” von Spiritualized oder, wenn man mit den öffentlichen Verkehrsmitteln unterwegs ist, die erste Burial – zielorientiertes (sich) verlieren klappt bei mir am besten mit „(The Black Breast Has Produced Her Best) Flesh Of My Skin Blood Of My Blood” vom „Dark Prince of Reggae” Keith Hudson und wenn nichts mehr hilft, lege ich mich zur Ruhe mit „HEX; or Printing in the Infernal Method” von Earth.

Leseliste 02. Dezember 2018 – andere Medien, andere ThemenScience-Fiction, Insektensuche, Cebit und Airbnb

Der Ofen ist an, der Dung macht sein DingAufwändig, aber valide: die CO2-Kompensation mit Atmosfair