Filter Tapes 033„Usus“ von Martin Raabenstein
15.11.2018 • Sounds – Interview: Thaddeus Herrmann, Illustration: Susann MassuteIm Herbst tanzen die Schatten besonders flackernd. Und aus diesem speziellen Groove, bei dem man nie ganz sicher sein kann, was hinter der nächsten Ecke passiert, zieht Martin Raabenstein seine Inspiration. Ob für die eigene Musik, seine Arbeiten als bildender Künstler oder für die Radioshows, die er regelmäßig ins Internet schickt – zum Beispiel auf ByteFM. Filter-Leser*innen kennen ihn vor allem als Schreiber – und durch seine Begabung, Musik in eigentlich unvorstellbaren assoziativen Wortketten neu zu verorten. Mindestens genauso assoziativ ist sein neues – zweites – Filter Tape. Aphex Twin und Drake. Jaki Liebezeit und Metaboman. André Uhl und Ryuichi Sakamoto. Low und Mr. Oizo. Nicht unbedingt in diesen Paarungen und schon gar nicht in dieser Reihenfolge: Die Raabenstein’sche Geschichte wandelt bei „Usus“ auf verschlungenen und ob der fallenden Blätter umso glitschigeren Pfaden der musikalischen Verwandschaften. Das ist kein DJ-Mix, das ist Landschaftsbau. Mit oder ohne Beats spielt dabei gar keine Rolle.
Tracklisting
- Raabenstein – Soundlogo
- Aphex Twin – CHEETA2
- Cremation Lily – Leniency
- Len Sander – Moving Into Love
- Jan St. Werner – Foggy Esor Pt. 1
- Mr Oizo – Bad Start
- Vesce – Zender
- Oiigi – På mitt sinn
- Heralds Of Change – Ass Wank
- Kiefer – What A Day
- She’s Drunk – Heart Burns
- Rejoicer – Double Astral Move
- Metaboman – Huerde
- Yuki Ame Feat. Zoe – Circles
- André Uhl – Cover
- Nohidea – Into The Deep
- Paul White Feat. Shungudzo – Ice Cream Man
- Jim James – Same Old Lie
- CLANN – Once Again
- Oscar In Venice – Go For A Walk In The Woods
- Drake Feat. Beyonce – Can I
- Oneohtrix Point Never – Black Snow
- The Free Horizon Feat. 3oni Lisp & Set In Sand – Truality
- Dimlite – Se Se Sc
- ToiToiToi – Bei Der Hagschen
- Phantom Horse – Always You Late
- Now Vs Now – The Scarecrow
- Jacaszek – Daffodils
- Burnt Friedman & Jaki Liebezeit – Wirklich
- Foodoo – Xan The Man
- Gabriel Garzón-Montano & Little Simz – Bombo (Fabrika Remix)
- Beshken – Fruits
- Aby Vulliamy – Oops Dolores
- Duktus & Marian Tone – Better Chill
- God.Dam.Chan – Melt
- Ivan Ave – One Eye
- Jameszoo – Con
- Low – Always Up
- Ryuichi Sakamoto Feat. David Sylvian – Life Life
- Raabenstein – Soundlogo
Lieber Martin, vielen Dank für den tollen Mix. Nachdem wir vor ein paar Wochen über Jóhann Jóhannsson gesprochen und geschrieben hatten, mailtest du noch schnell hinterher, es sei nach über vier Jahren mal wieder Zeit für ein Filter Tape. Was brannte dir auf der musikalischen Seele?
Der Herbst, meine Lieblingsjahreszeit.
Der Name des Mixes – „Usus“ – suggeriert ja, es sei eh alles klar. Nun ist dem mitnichten so. In 38 Tracks umrundest du mindestens drei Mal die Milchstraße, spielst mit Sakamoto Beachvolleyball, cuttest Jazz gegen Low und droppst Oneohtrix Point Never gleich nach Drake. Und schickst folgende Zeilen mit:
wenn die alten
blätter fallen
reifen die knospen
wie immer
usus
der ewige wandel
des nichtgleichen
Das Nichtgleiche also. Was ist das genau?
Zunächst einmal verbindet die Elektronik fast alle gewählten Tracks. „Usus“ meint in diesem Zusammenhang „State of the art“ – das macht man so, Ende der 2010er-Jahre. Die Stücke sind weniger durch ein gemeinsames Genre verwoben – eher durch einen gewissen Style, ein Feeling, eine gedankliche Verwandtschaft in der Produktion. Sie funktionieren wie Schalter, die das Kino in meinem Kopf triggern. Stücke, die ich für meine Radioshow „Extended Modulation“ oder für Gastmixe verwende, haben alle dieses Andere, diese gewisse mich zum Wippen veranlassende Narration. Und sind doch nicht gleich. Das meint „der ewige Wandel des Nichtgleichen“: Same same but different – auch in der zeitlichen Verordnung.
Natürlich habe ich versucht, zu deinem Mix zu tanzen, bin aber immer wieder erst gestolpert und dann hingefallen. Hilfst du mir hoch und beschreibst ein paar deiner Lieblings-Tracks, die du verwendest? Was macht die so wichtig?
„Usus“ ist wie eine Landschaft angelegt, Hügel wechseln sich mit Tälern, Schluchten und weiten Ebenen ab. Der Spaziergang durch die 140 Minuten passt sich natürlich in Geschwindigkeit und Stimmung den topographischen Gegebenheiten an, das bringt dich wohl zum Stolpern. Zudem habe ich einige Interludes eingebaut, wie den Opener von Aphex Twin, oder André Uhl und ToiToiToi. Die souligeren Elemente wie Vesce, Drake, ebenso Gabriel Garzón-Montano kannst du als Ebenen lesen – Phantom Horse, Jameszoo, Aby Vulliamy sind die Schluchten und so weiter.
Ich frage danach, weil: Beatmatching ist dir fremd. Über die 4/4-Weltregierung echauffieren wir uns ja auch immer wieder. Mein Eindruck ist: Du mixt assoziativ. Dazu hörst du ganz intensiv zu und bleibst bei kleinen Details im Track hängen, das dir den Weg zum nächsten Stück vorgibt. Liege ich damit richtig?
Natürlich könntest du den Mix drehen, umbauen, ganz anders gestalten. Die Grundstimmung, die Verbundenheit untereinander würde sich dadurch aber nicht grundsätzlich ändern. „Usus“ zusammenzustellen ging sehr zügig voran, wichtiger war die Auswahl der Bauelemente. Das dauert eben seine Zeit, ist aber andererseits auch der spannendste Teil. Das kennst du als DJ doch sicherlich auch, diese kleine, prickelnde Aufregung beim Wühlen durch die Archive.
Du bist auch bildender Künstler. Bei deinen Bildern arbeitest du intensiv mit Strukturen, Schichtungen und den sich aus der Montage der Elemente ergebenden Verschleifungen des Materials selbst. Gibt es an dieser Stelle Überschneidungen zu deinen Mixen?
Ich habe als bildender Künstler einige Jahre pausiert und Musik produziert. Ohne die Arbeit am Rechner und die damit verbundene Konstruktion von Tracks durch Programme wie Logic wäre meine neue Arbeitsweise schlichtweg nicht entstanden. Gerade dieses Layering, die Kombination, mehrere Spuren gemeinsam zu etwas Größerem zu fusionieren, hat mein Vorgehen als Maler entscheidend geprägt. Das dabei überraschend Faszinierende und Ungewohnte resultierte damals aus der Bearbeitung von Samples. Schneiden, Ziehen, Verzerren und schließlich alles übereinander werfen, verschmelzen. Genauso ist der Mix aufgebaut, sehr wenige der Tracks sind ganz ausgespielt, an einigen Stellen sind sie sehr eng ineinander geschoben, ganz gleich ob der Beat oder die Tonlage passt.
Gibt es dabei Dinge, die du in Kauf nimmst? Vielleicht sogar dankbar in Kauf nimmst? In der Musik und den Bildern?
Aber natürlich. Auch wenn es anfangs so gar nicht zu passen scheint – genau dieses Experimentieren mit dem scheinbar Unmöglichen ergibt in Folge erst das Andere. Das Material muss sich auch selbst einbringen können, eigene Wege gehen, sonst atmet es nicht. Wenn dann vermeintlich Unvereinbares endlich zusammenpasst, das ist Gänsehaut pur, die rot glühende Hirnrinde – Mindfuck im positivst befriedigenden Sinne. Das durchdringt alle meine Tätigkeiten, ob ich Tracks, Mixe und Texte erstelle oder male. Ist der Test gelungen, freut sich der Mensch.