Selector-Shit, 50 Shades Of Noise und Phantom-TechnoDaphni, Patricia, Umfang: drei Alben, drei Meinungen
6.7.2017 • Sounds – Gespräch: Christian Blumberg, Kristoffer Cornils, Thaddeus HerrmannDie Roundtable-Gang Blumberg, Cornils und Herrmann befeuert für die neuesten Ausgabe des Musik-Roundtables den digitalen Ghettoblaster mit drei ganz unterschiedlichen Dancefloor-Entwürfen. Dan Snaith aka Caribou hat in den vergangenen Jahren sein Daphni-Projekt mehr oder weniger sträflich vernachlässigt. Er veröffentlicht nun sein neues Album als Mix-CD: Kanada wie es stompt und lacht. Von Purismus kann hier keine Rede sein, aber das wäre dem Caribou-Publikum auch gar nicht recht. Stattdessen springt Snaith durch Genres und Epochen, wie es sich sonst vielleicht gerade noch der beste Wildstyle-DJ trauen würde. Ist das nun Kalkül oder Vision? Max Ravitz wirft als Patricia auf seinem ersten Album für Ghostly derweil 90 Minuten Musik in den Ring, die deutlich klarer auf einen Punkt am Ende der Nacht abzielen, auch wenn die Tracks ganz bewusst verwaschen und schleierig-neblig produziert sind. Outsider House? LoFi-Falle? Und Emma Burgess-Olson sucht als Umfang im Techno der frühen Minimalisten nach Antworten auf Fragen, die so noch niemand gestellt hat. So stellt sich heraus, dass viel Musik eine deutlich längere Halbwertzeit hat, wenn man ihr genau das wegnimmt, was sie damals so populär machte. Christian Blumberg, Kristoffer Cornils und Thaddeus Herrmann tauchen ab in die Zeitlupe der Überschallgeschwindigkeit: drei Alben und wie immer auch drei Meinungen.
Daphni – Farbriclive 93 (Fabric)
Kristoffer: Ich will mal ganz langweilig anfangen, beim Format. Ein Album als Mix-CD, okay. Ist das jetzt sehr smart – ich meine, wer kauft denn noch Mix-CDs? Als Album verpackt lässt sich das doch schon eher vermarkten. Oder ist das retro? War doch in den Neunzigern angesagt, große Werkschau als Doppel-CD. Oder sehe ich das einfach nur zu eng?
Thaddeus: Ganz entscheidende Frage mit den Mix-CDs. Wer kauft sowas noch? Und warum wird gerade bei Fabric da immer noch ein Hype drum gemacht? Ich klicke die Pressemeldungen immer weg. Darum hatte ich auch die Daphni komplett übersehen.
Kristoffer: Interessanterweise hat Steffi in der Ausgabe davor einen ganz ähnlichen Move gebracht: Da sind die Exclusives nicht der Bonus für die Single-Auskopplungen gewesen, sondern haben den gesamten Mix ausgemacht. Wird die Mix-CD jetzt also einfach als neue Veröffentlichungsform (wieder-)etabliert? Du kannst immerhin deine drei bis zwölf 12”s draus abkoppeln und weil real DJs ja – word on the street has it – two copies buyen, kommt was dabei rum. Also: wirtschaftliche Entscheidung? Oder doch Kunst?
Christian: Vielleicht heißt das Zauberwort hier „Commissioned Works“. Exklusivität für Fabric und optionale Doppelverwertung. Aber das Ergebnis für die CD ist eine harte Setzung, ein Pre-setting der Musik sozusagen, weil man die Tracks ja gar nicht – z.B. qua Dj-Set – modifizieren und in neue Zusammenhänge bringen kann. Finde ich bei Clubmusik ja wichtig, dass diese Möglichkeit gegeben ist, aber vielleicht bin ich in der True School sitzengeblieben?
Kristoffer: Ich saß eh immer in der letzten Reihe.
Thaddeus: Also ist diese Art der Mix-CD im Techno das, was im HipHop das Mixtape ist?
Kristoffer: Finde ich nicht unbedingt. Das Mixtape ist ja für gewöhnlich nicht tatsächlich gemixt, sondern versammelt nur einen mixed bag von Beats. Aber Daphni mixt hier ja und das zwar stellenweise mit recht abrupten Cuts, aber eben doch als DJ-Mix. Was, wie Christian sagte, für alle Fans von Einzeltracks bedeutet, dass sie die nicht einfach auflegen können. Es sei denn, es kommt noch mal ungemixt beziehungsweise auf 12”s verteilt separat heraus. Da wird schon ein Sachzwang aufgemacht, den ich eher unfein finde.
Thaddeus: Das stimmt natürlich, ich wollte auch auf etwas anderes raus. Ich dachte Mixtape eher so als „Album für zwischendurch“.
„Hier erfindet sich nicht unbedingt etwas neu, zumindest nicht Dan Snaith selbst.“
Kristoffer: Was bei Daphni nicht der Fall ist. Das ist sein erstes properes Release unter dem Pseudonym seit Schießmichtot. „Jialong“ kam 2012 heraus, darauf folgten zwei Singles und die Restkreativität wurde über die Caribou-Abschussrampe rausgedrückt. Ich frage mich sowieso, wie sehr wir neue Daphni-Tunes brauchen. Die „Ye Ye”-Zeiten sind doch vorbei. Und hier erfindet sich nicht unbedingt etwas neu, zumindest nicht Dan Snaith selbst. Er macht nur eben den Produzenten-Selector, den Prolector?, der uns durch alle Stimmungen und Dekaden flutschen lässt.
Thaddeus: Ich habe mich ja eben schon als Experte in Sachen Dan Snaith geoutet, mich darfst du da also nicht fragen. Ich habe traumatische Erinnerungen an ein Konzert von ihm, als er noch als Manitoba unterwegs war, die verfolgen mich noch heute.
Kristoffer: Warum? Seine Manitoba-Sachen waren doch so fluffiger Plinker-Kram, Ulrich-Schnauss-State-Of-Mind. Ich dachte, du stehst auf den Paisley-Look? Also, rein musikalisch.
Thaddeus. Ich sing’ dir mal was vor, weiter geht mein Interesse an anything paisley nicht. So ein fabric – der musste jetzt sein – musikalisch zu verorten, ist ja eh komisch. Also:
Got an invitation to a garden party, And it said that everyone would be there, Famous painters, Pop Art poets and Hollywood filmstars, More celebrities than you have ever seen in a week of TV, So I wore my brand new paisley shirt, I bought last week in Kensington Market, And I wore my brand new Chelsea boots,
I rode there on my scooter but there wasn't anywhere to park it.
Toller Song, aber zurück zu Dan. Ja. Also nein. Au weia. Manitoba spielten mal im Roten Salon der Volksbühne, völlig betrunken, völlig falsch und alle hatten Schweinsmasken auf. Das war schlimm.
Kristoffer: Das war doch aber auch die Zeit dafür. Wer kein Tier im Bandnamen oder zumindest auf der Fresse sitzen hatte, war halt nicht cool.
Thaddeus: Tatsache?
Kristoffer: Klar. Animal Collective, Grizzly Bear, irgendwas mit Panda, am besten Gold. Die Ecke von Musik, die keinesfalls weh- und vor allem gut tun möchte. Aber halt weird weil Kunst, nur in süß.
Christian: Wenn man sich das weird jetzt wegdenkt, dann sind wir ja wieder nah an diesem Mix hier, ne?
Thaddeus: Wollen wir echt noch über Musik reden oder was?
Kristoffer: Wir müssen. Also: Klar, die Musik will gut tun. Sie drückt dir ein Bier in die Hand und will, dass du Spaß hast – aber auf gehobenem Level. Wir haben hier vom trancigen House, auch das vom Sound her eher Ende letzte Dekade, über einige Breaks – weil, die Fabric steht ja im UK – bis hin zu so Soul-Funk-Dingern alles drin. Expertenmusik für den Feierabendeskapismus. Seht ihr das tatsächlich im Club?
Christian: Es gibt ja ganz verschiedene Clubs, wie man hört. Aber das hier ist eher was für die Grillparty vom SoHo-House.
Thaddeus: Ein bisschen dies, ein bisschen das, nichts Halbes, nichts Ganzes, alles toll produziert, aber wie das zusammenpassen soll, bleibt mir ein Rätsel. Mir sind Menschen generell umheimlich, die glauben, irgendwie alles zu können. Zur Hölle mit dem Eklektizismus. Das ist doch sehr berechnend und blutleer.
Kristoffer: SoHo-House: Ja, definitiv. Blutleer? Ich weiß nicht. Ich find’s zwar auch totalegal. Aber letztlich … naja, das klingt jetzt doof und so, aber: Ich nehm’ dem das ab. Der hat da glaube ich Spaß dran. Und ich denke auch, dass er ein Publikum hat, dem das Spaß macht. Nur kommt das weniger aus dem Club- als vielmehr aus dem Indie-Bereich. All jene eben, die früher noch Schweinsmaskenkonzerte besucht haben und denen Animal Collective mittlerweile zu sehr Beach Boys à la „Surf’s Up“ ist: zu verschroben, zu psychedelisch, zu untanzbar und mitsingen lässt sich das auch nicht mehr. Hier natürlich ebensowenig, aber zumindest ein kurzer Booty-Shake ist alle zwei Tracks drin. Reicht wohl? Siehst du, just, wo ich das sage: Rave Chords! R&S frühe bis Mitte Neunziger. Für Leute, die nie auf Pille zu Jaydee oder C.J. Bolland abgegangen sind, wird das schon epiphan sein.
Thaddeus: „Hey Drum!“ Und der liebe Dan holt uns das alles auf den Zettel, alles gleichzeitig. Toll! Ja nee, den Sarkasmus versteht jetzt niemand. Echt nicht meine Party. Gar nicht.
Kristoffer: Ich find’s auch nervig. Snaith gehört für mich neben Four Tet und Floating Points zu einer Riege von Produzenten, die karrieremäßig alles richtig machen und den Kram wohl ernsthaft ernst meinen, nur leider kann ich das nicht erwidern. Alles sehr feinfühlig-eklektisch, versatil und im besseren Sinne unverschämt, aber auch irgendwie sehr poserhaft. Jetzt geht’s in die R’n’B-Vocal-Schnipsel und aus dem EDM-Build-Up schält sich der Funk-Track raus. Sag ich doch: Selector-Shit. Lassen wir das mal sein, drehen die Saturierung hoch und schauen uns an, was der Trend von 2012 so macht.
Patricia – Several Shades Of The Same Color (Spectral Sound)
Thaddeus: Ich habe mir zunächst nochmal die älteren Platten von Max angehört und war erstaunt, wie schön die eigentlich sind. Das hatte ich vergessen. Vielleicht vor allem, weil sie ihr Haltbarkeitsdatum mittlerweile auch überschritten haben, vor allem „Body Issues“ von 2014 mit all dem melancholischen Gerumpel, das sich nicht entscheiden kann, ob es nun bollern soll oder doch nur traurig sein will. Dankbar bin ich vor allem, dass Max mittlerweile den Höhenregler an seinem Mischpult entdeckt hat und so nicht mehr alles hinter der „Great Wall Of Brooklyn“ wegmumpft. Das war auf „Bem Inventory“ von 2016 ja schon viel besser und auch dringend nötig, weil genau dieses LoFi-Missverständnis schon allerhand Kriege provoziert hat, die dann auf der anderen Seite der „Great Wall Of Brooklyn“ ausgetragen wurden, und wir wissen ja alle, wie gefährlich Bassdrums schießen können. Obwohl auf dem neuen Album die Weirdness ein bisschen leidet. Sprich: Sie ist nicht mehr so richtig da. Und das hat nicht nur mit dem gefundenen Höhenregler zu tun. Die beiden ersten Alben klangen historisch, weil sie technisch unzulänglich – ganz wertfrei – produziert wurden. Die neue Platte nimmt die bewusste Konfrontation einer Vergangenheit in den Blick, die ja eigentlich niemanden mehr interessiert und doch jede Woche auf zig 12“s gefeiert wird und dann als Trophäen im Schrank landen. Also: Alles richtig gemacht! Auch wenn sich auch hier noch ein paar ältere Tracks eingeschlichen haben und es ab und an mumpft.
Christian: LoFi höre ich ja noch. Das ist aber schon die ambitioniert produzierte Variante. Ich hab das einmal komplett unterm Kopfhörer gehört und mindestens 50 Shades of Noise gezählt. Gut ist, dass Patricia bis auf ein oder zwei Stücke nie der Versuchung nachgibt, die ganz großen Melodiebögen auszurollen. Sonst würde er hier schnell im Kitsch enden. Andererseits bleibt er doch recht eintönig. Was variiert, sind eher so Genrestandards: Mal ein bisschen Acid unterrühren, mal ein paar deephousige Pads zugeben, lala. Atmosphärisch ist das dicht, ein gewieftes Sounddesign hat es auch. Aber es ist dann doch auch sehr ideenlos. Bei 90 Minuten Spielzeit fällt das irgendwann auch unangenehm auf.
Kristoffer: Leute, plötzlich habt ihr so viel zu sagen und dazu noch so viel Gutes. Ich bin unentschlossen. Allein schon, weil diese Platte – beziehungsweise Platten, auch hier schlägt die Formatfrage wieder zu: eigentlich drei LPs zusammengestaucht – so unendlich lang ist. Ich stimme Christian weitgehend zu, ich würde sogar beim Sounddesign zustimmen. Nur aus einem anderen Grund: Ich find’s irgendwie ganz geil, dass jemand diese durchgekaute Outsider-House-Geschichte dermaßen stringent durchzieht. Als würde sich noch irgendjemand dafür interessieren. Schauen wir uns doch an, was aus den Speerspitzen des Genres geworden ist: DJ Richard macht Ambient. Huerco S. macht … naja, Ambient. Alle machen Ambient. Nur Anthony Naples macht Acid. Okay. Und was bekommen wir stattdessen? Jungspunde wie Mall Grab, die Samples über 909-PlugIns leiern lassen. Hrmpf. Dagegen ist das unprätentiös. Aber brauche ich das? Braucht das irgendwer? Thaddi, brauchst du’s?
Thaddeus: Nö, aber mehr als Daphni allemal. Ich finde das Album sehr angenehm, was schon viel heißen will. Ist aber auch genau mein Sound, auch wenn ich mich um Outsider-, LoFi- und den anderen Kram in den vergangenen Jahren kaum oder gar nicht gekümmert habe. Ich war schon Outsider, bevor daraus ein Genre wurde. Das hier, das rattert gut durch.
Kristoffer: Ich hab’s letztens beim Kochen, Bibimbap, durchlaufen lassen und selbst dafür war es mir irgendwie zu egal. Eigentlich wird hier wie bei Snaith alles Mögliche durchgespielt. Gerade hören wir den Aphex-Twin-circa-Selected-Ambient-Works-Volume-2-Track auf +8, nur eben ist die Motivation eine andere. Das hier will Underground sein.
„Patricia kocht hart nach Rezept, oder eher nach Konzept. Und das lautet: kein Konzept.“
Christian: Kochst du nach Rezept oder ohne? Patricia kocht nämlich hart nach Rezept, oder eher nach Konzept. Und das lautet: kein Konzept. Stattdessen sollen wir seine Musik unbedingt „erfahren“. Im Infotext wird das permanent betont: Diese Musik sei zum Hören und Fühlen und unter keinen Umständen solle man sich etwas dabei denken. Das fließt als Aufforderung bis in die Tracktitel. Einer – er besteht aus schönem Gebimmel und einer ins Goth-mäßig runtergepitchten Stimme – heißt: „The Words Are Just Sounds“. Das ist doch ein sehr komischer Imperativ. Wir sollen die Platte also auf keinen Fall als Text verstehen – und das wird ausgerechnet vermittels Paratext eingefordert. Das wird endgültig bescheuert, wenn ein Track „German Friendship“ benannt ist, und der sich qua Bassline ganz offensiv auf die Deutsch Amerikanische Freundschaft bezieht, also die Band gleichen Namens.
Kristoffer: Ist doch super: Wenn ich mir bei dieser Platte nichts denken soll, mache ich ja alles richtig. Obwohl: Ich denke doch an die Para- beziehungsweise noch Prätexte. Outsider House als ästhetische Revolution gegen den glatten Crosstown-Rebels-Sound, der 2011 noch die Charts überschwemmte. Nur scheint das schon wieder passé, weil es selbst zu seinem eigenen Klangdiktum verkommen ist.
Thaddeus: Ihr braucht mich hier gerade nicht, oder?
Kristoffer: Es ist trotzdem schön, dass du bei uns sitzt.
Thaddeus: Danke sehr!
Christian: Als Kristoffer vorhin aufgezählte, dass die LoFi-Leute jetzt fast alle Ambient machen, habe ich kurz gedacht, dass der so genannte Outsider House im Kern ja doch immer schon Ambient war. Und den immerhin macht Patricia ja nun nicht mehr.
Kristoffer: Interessante Beobachtung. Klar, das waren alle Punk-Kids, die gerne Oval oder frühe Warp-Platten hörten und trotzdem Bock auf Vierviertel hatten. Das lag beieinander und diese Transformation oder meinetwegen dieses Afterlife nach dem Outsider House ergibt da schon erschlagend viel Sinn. Aber: Wenn die Platte einfach so gehört werden soll, wieso ist das dann nicht – zumindest von der Intention her – Ambient? Ambient ist ebenso Hirnausmusik.
Thaddeus: Gibt es einen Unterschied zwischen Hirnausmusik und Nebenbeimusik? Das wäre ja eher so die klassische Definition von Ambient und ist schon schwierig genug. Aber eurem obigen Diskurs kann und will ich trotzdem nicht folgen. Das vergnatzt mir den Spaß dran.
Umfang – Symbolic Use Of Light (Technicolour)
Kristoffer: Okay. Dann lass uns doch auf Umfang umschwenken, die so stripped down produziert, als sei es Ambient. Und eigentlich ist es doch Phantom-Techno. Ein Widerhall von der Überfülle an Clubmusik, die Snaith abzubilden versucht.
Thaddeus: Mehr Fokus, viel monothematischer. Snaith ist ja eher so Zirkus. Ein Kessel Buntes, mit den Kleinkunst-Einlagen zwischendrin. Umfang ist schon ernster. Was das Sounddesign anbetrifft und ihre Haltung gegenüber der Musik. Hier wird ein Seitenarm des Dancefloors mikroskopiert. Schon sehr gut.
Christian: Umfang sucht und findet perfekte Loops und setzt den ewigen Outsidern ganz nebenbei eine ganz andere Klangästhetik entgegen, die zwar nicht neu ist aber doch unbedingt fresh klingt. Ich finde das tatsächlich wahnsinnig erfrischend.
„Umfang zeigt, dass selbst heute eine Ästhetik des Mangels möglich ist.“
Kristoffer: „Erfrischend“ ist zwar ein Brause-Werbespot-Claim aus den Siebzigern, aber ich teile zumindest den Gedanken. Es gibt einen Track auf ihrer „Riffs EP“ aus dem letzten Jahr, der genauso mit Aphex Twin anfängt, dann aber mit Carl Craig weitermacht und auf Emmanuel Top endet. Ohne, dass viel passiert. Vielmehr fehlt immer etwas. Und diese Mangelerfahrung finde ich grandios. Als würde jemand mit Fruity-Loops-Background vorm Maschinenpark sitzt und das übertragen wollen. Nur ist Umfang keine Dilettantin. Vielmehr reiht sie sich in die Tradition der Genialen Dilletanten ein: Alles wird zum Versuchsaufbau. Das Ergebnis ist beim ersten Track völlig nervenaufreibend, unvollkommen, fast verstümmelt – kurz: grandios. Umfang zeigt: Selbst heute ist eine Ästhetik des Mangels möglich und Clubfunktionalität nicht notwendig, um sich in dieser Szene einen Namen zu machen. Derweil sich die meisten Leute erst einen machen und dann erst von der Funktionalität abdriften. Siehe eben Daphni/Caribou, Four Tet, Floating Points. Letztlich ist Umfang die einzig würdige Actress-Nachfolgerin.
Thaddeus: Sie folgt hier definitiv etwas nach, nämlich dem originären Minimal Techno. Volle Reduktion, aber oft eben ohne das Bassdrum-Fundament. Das ist genau richtig so, denn immer dann, wenn die Bassdrum kommt, ist es mir zu „TechnoTechno“, womit ich einfach nichts mehr anfangen kann. Aber diese angedeutete Energie, kaum mehr als ein Symbol oder ein Versprechen, das über weite Strecken ja nicht eingelöst wird, ist die richtige Herangehensweise.
„ Wo andere einen Track mit 15 Spuren machen, macht sie aus 15 Spuren eben 15 Tracks.“
Christian: Ich sehe keinen eklatanten Unterschied zwischen den Tracks mit und denen ohne Bassdrum. Wo andere einen Track mit 15 Spuren machen, macht sie aus 15 Spuren eben 15 Tracks. Also überspitzt gesagt, klar. Die Musik affiziert aber so unmittelbar, dass es total schwierig ist, irgendetwas Analytisches oder überhaupt irgendwas darüber sagen, weil sich das gar nicht vermitteln lässt, oder weil die Vermittlung dieses Momentum gleich killt. Probleme mit Sprache? Ist doch geil. Was man zumindest sagen kann: Hier löst sich quasi der Erfahrungsmodus ein, den Patricia anscheinend unbedingt erreichen wollte.
Kristoffer: Steve Reich – Music For One Kickdrum. Killer. Ich höre auch hier viel R&S, Jeff-Mills-Destillate an manchen Stellen und obskuren Hard Trance – aber immer nur als Ahnung, als verblasste Erinnerung. Hauntology Techno?
Thaddeus: Hard Trance höre ich da jetzt nicht raus, zum Glück.
Kristoffer: Ich glaube, zumindest Christian und ich sind uns einig, dass wir die Platte großartig finden. Thaddi, wenn du es in einem Satz ausdrücken müsstest, was würdest du zu dem Album sagen?
Thaddeus: Das ist auf jeden Fall eine gute Platte. Ich kann mich aber nicht davon lösen, die aus der Vergangenheit heraus zu hören, weil vieles von dem, was sie hier droppt, ich noch live miterlebt habe. Das kann ja auch schief gehen, tut es hier aber überhaupt nicht, und dass das so klingen soll, ist natürlich auch eine unverschämte Unterstellung meinerseits. Ich muss mir schon die ganze Zeit auf die Finger hauen, um hier nicht Robert Hood als Referenz reinzuschreiben. Aber daran erinnert mich das schon ein bisschen streckenweise. Sehr reduziert, sehr fokussiert, manchmal dann aber eben auch ein bisschen drösch. Am besten ist sie, wenn sie eher Beat-los in ihrer Musik agiert. Das hat eine längere Haltbarkeit.
Kristoffer: Guter Satz! Ich gehe bei Robert Hood mit. Das Interessante an Umfang ist ja die doch sehr eklatante Diskrepanz zwischen DJ-Sets und Produktionen. Die DJ-Sets stehen voll und ganz in der Hood-Tradition. Loopy, minimalistisch, dem Ablauf mehr verpflichtet als der Entwicklung. Das hallt in ihren Produktionen wider – deswegen ja: Phantom-Techno – aber nichtsdestotrotz klingt das ganz anders und keineswegs retro. Meine Frage nach dem Hauntology Techno war durchaus polemisch gemeint. Vor allem finde ich das … ja, wenn Christian schon die „erfrischend”-Bombe droppt, dann sage ich mal: zeitlos. Im besten Sinne. In dem Sinne nämlich, dass ich dem hier keine Zeit zuordnen kann. Könnte doch auch ein nächtliches Nebenprodukt des BBC-Radiophonic-Workshops sein, manches hiervon. Würde sich aber auch gut als Intro für ein Techno-Set anno 2017 machen. Toll.