Videopremiere: Martin Kohlstedt – StromDas ganze Album des Pianisten als Film
17.11.2017 • Sounds – Text: Thaddeus HerrmannStromlinienförmige Stromlinienfömigkeit.
Auch 2017 spielte das Piano im wahrsten Sinne des Wortes eine tragende Rolle in der Musik. Nicht als Ensemble-Mitglied, als eine Stimme eines vielstimmigen Orchesters oder einer Band, sondern vielmehr als Dreh- und Angelpunkt der soloinstrumentierten Popkultur. Präpariert oder puristisch: Was Hauschka populär machte und prägte, füllt mittlerweile die großen Konzertsäle, in denen jedoch nicht mehr die mit dem Philharmonie-Abo sitzen, sondern junge Menschen, die sich an den unterschiedlichsten Stufen und Ausprägungen des leicht kantigen Wohlklangs laben.
Martin Kohlstedt spielt in genau dieser Liga. Heute erscheint sein drittes Album. Nach „Tag“ (2012), „Nacht“ (2014) folgt nun „Strom“. Der Thüringer, der mit seiner Band Karocel auch schon auf Freude am Tanzen veröffentlicht hat, bricht hier mit den Rahmenbedingungen, die seine ersten beiden Alben bestimmten. Erstmals wummern im Hintergrund auch elektronische Klangerzeuger für das extra Quäntchen Sound. Bei seinen zahlreichen Konzerten experimentiert er schon länger mit diesem Ansatz: „Strom“ bannt dies erstmals auf Platte. Der Titel des Albums könnte also nicht passender sein.
Natürlich wird Kohlstedt auch dieses Album mit einer umfangreichen Tour begleiten. Die Chancen stehen gut, dass sich das eigentliche Potenzial der neuen Kompositionen erst auf der Bühne und mit Publikum wirklich entfaltet, bzw. eine neue Dimension annimmt. „Strom“ ist über weite Teile eine sehr intime Angelegenheit. Ganz nah dran am Geschehen mikrofoniert, das Gespielte wird somit vom Spielen selbst unterstützt. Leichte Atmer sind genauso zu hören wie der Tastenanschlag. Auch das ist kein neuer Ansatz, es liefert so im Ergebnis aber kein auf Hochglanz poliertes Werk, sondern fast schon eine dokumentarische Begleitung des kreativen Schaffens. Wenn es menschelt, ist das immer gut. Das gilt für das Piano genauso wie für den Synthesizer und die Drummachine. Und genau an dieser Stelle scheiden sich dann auch oft die Geister bzw. gehen die Daumen nach oben oder nach unten. Ein eindeutiges Urteil lässt sich zu einem Album wie „Strom“ nicht bilden. Man kann das kitschig finden – ist es auch –, oder genau richtig – stimmt ebenfalls –, sich über die Synths wundern – berechtigt – oder sie als bislang fehlenden Teil des Kohlstedt-Universums feiern: Irgendwann macht es in jeder Seele klick und ein Album wie „Strom“ ist das einzige, was man ertragen kann und will.