Wochenend-WalkmanDiesmal mit Stormzy, Kinderzimmer Productions und Oval

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Jeden Samstag haben wir drei Platten für euch – zumeist drei Tipps, mindestens aber drei Meinungen. Nicht immer neu, doch immer die Erwähnung wert. Heute mit: Stormzy, Kinderzimmer Productions und Oval.

Stormzy Heavy Is The Head Artwork

Stormzy – Heavy Is The Head

Elisabeth Giesemann: Ökonomische und politische Instabilität trifft Minderheiten und Arme am härtesten. Während die Mittelklasse meist wieder auf den Füßen landet, sind Bevölkerungsgruppen, die kein Kapital angesammelt haben, verwundbar. In Großbritannien merken diese Gruppen die Folgen einer jahrzehntelangen neoliberalen Politik an unzumutbaren Lebens- und Job-Situationen, die sich nach der Wiederwahl von Boris Johnson nicht zum Besseren ändern werden. Die absolute Unsicherheit und Perspektivlosigkeit für die britische Jugend ist der Brexit, der jegliche Träume von der Zukunft oder gar dem sozialen Aufstieg nur zynisch zerplatzen lässt. Am 13.12.2019, einen Tag nachdem sich Großbritannien für die Tories, den Brexit und gegen seine Jugend entschieden hat, erschien das Album „Heavy is the Head“ von Stormzy. Er hatte noch am Vorabend per Video seine Fans dazu aufgefordert, wählen zu gehen und für Labour zu stimmen. Als erster schwarzer Headliner auf dem Glastonbury Festival brachte er auch die (überwiegend weiße) Crowd dazu, eine zentrale Line seines Songs „Vossi Bop“ zu rappen. 200.000 Gäste des Musikfestivals schrien gemeinsam: “Fuck the government and fuck Boris.” Das Album verfügt über Produktionen, die mit Punch und Tiefe beeindrucken und den Grime stellenweise hin zum Pop transzendieren. Das mag im Falle der Single „Own it“ mit Ed Sheeran kitschig sein, tut der Integrität aber keinen Abzug. Es bleibt unverwechselbar britisch, was auch an der Abwesenheit großer nordamerikanischer Produzenten liegt. Es hat sich kein Drake eingemischt, mit Pharrell war Stormzy wohl sogar mehrere Wochen im Studio, doch nachdem nichts Brauchbares daraus entstanden ist, hat man sich auch gegen den Track entschieden. Denn wenn man sich die Tracks und die Interview-Statements anhört, wird klar, dass Stormzy genau auf seine Fans und seine britische Peer-group hört.

Er bezieht sich eher auf den senior erscheinenden Grime Star Wiley oder zitiert in „Crown“ Shakespeares „King Henry IV“, dessen Zitat über die Last der Verantwortung – heavy is the head that wears the crown – zum Namensgeber des Albums geworden ist. Diese Verantwortung über das Königreich trägt nun der junge Rapper aus South London auf seinen Schultern. Quite literally sogar, während des legendären Glastonbury-Auftritts trug er eine von Banksy entworfene, kugelsichere Union-Jack-Weste, die auch auf dem Cover zu sehen ist. Außerdem werden viele Größen der schwarzen Widerstandskultur mal mehr, mal weniger direkt in einer Tour-de-force durch die transatlantische Musik- und Literaturgeschichte zitiert. Nina Simones Hymne des Civil Rights Movement „To be Young, Gifted and Black“ wird im Song „Handsome“ zitiert und beschreibt Stormzys politics. Denn Michael Omari kommt selbst aus der Armut. Damit mehr Jugendliche den Aufstieg schaffen, ermöglicht er nun durch Stipendien jährlich zwei schwarzen Londoner Studenten das Studium an der Eliteuni Cambridge. Daraufhin wurde ihm umgekehrter Rassismus vorgeworfen, was er auch auf „Crown“ kommentiert: „That’s not anti-white, it’s pro Black,” heißt es da und auch sonst lässt sich Stormzy schnell von Blödsinn provozieren, wie zum Beispiel auf Twitter oder in einer nun angezettelten Fehde mit dem eigentlich verehrten Dinosaurier-Rapper Wiley. Doch er meint es eben ernst. Um die Community der schwarzen Künstler\innen zu stärken, war er im Dezember Gast-Editor beim Observer, der Sonntagszeitung des Guardians. Gemeinsam mit Penguin vergibt er unter dem Imprint #Merky-Books Literaturpreise und verlegt Autor*innen.*

Doch das Album ist nicht nur selbstbewusst, punkig und „cocky“, wie es sich eben für guten Grime gehört. Es besitzt einen stark melancholischen Teil, der die Schattenseiten des Aufstiegs beleuchtet. In „Don’t forget to breathe“ beschreibt Stormzy, wie das Erkämpfen der Träume ihn selbst, aber auch durchschnittlich Grime-Fans an die Grenzen bringen kann und lässt Raum für kleine, leise Hoffnungen auf ein doch noch gutes Ende. Stormzy hat ein Album für die britischen Kids geschrieben, die jeden Tag den Brexit Bullshit der Tories hören und zusehen müssen, und wie dabei ihre Zukunft verzockt wird. Was für ein Glück, dass wir das Album ebenfalls anhören können!

Kinderzimmer Productions Todesverachtung To Go Cover

Kinderzimmer Productions – Todesverachtung To Go

Ji-Hun: Nachdem sich 2007 Kinderzimmer Productions mehr oder weniger aufgelöst haben – Es folgten noch zwei Livealben danach – gibt es nach rund zwölf Jahren Pause den ersten neuen Longplayer. Wo steht deutscher HipHop 2020? Braucht man noch so grau melierte Herren wie Textor (Henrik von Holtum) und Quasi Moto (Sascha Klammt)? Dieser teils verkopfte, kluge, vekiffte und studierte HipHop, wo doch Straßen- und Gangster-Rap in Deutschland und Modus-Mio-Playlisten die Diskurse bestimmen? Wer will denn überhaupt noch so verdaddelte, mittige jazzsamplige Beats hören? Ich. Ich habe mich tatsächlich sehr gefreut, als die News über „Todesverachtung To Go die Runde“ machte. Die früheren Alben halte ich noch immer hoch. Und Kinderzimmer Productions machen auch nichts falsch. Sie bilden sich auf ihr Comeback nicht allzu viel ein und spielen sich auch nicht auf, als seien sie die Heilsbringer, die Rap wieder auf die richtige Spur bringen. Hat auch niemand nötig. Slowdive waren vor paar Jahren nach jahrzehntelanger Pause auch plötzlich wieder da. Mit viel Erfolg. So ähnlich lässt sich das ein bisschen an.

oval scis walkman cover

Oval – Scis

Benedikt: Die Ruhe, die von Ovals neuen Tracks ausgeht, ist faszinierend trügerisch. Es dauert nur ein paar Takte, und das Pianomotiv wird in einem Hulk-Moment zum Monster brachialen Sounddesigns. Gegenläufige Kompositionen werden gestapelt und man erwischt sich kurz beim Klicken ins Browserfenster. Läuft hier noch irgendwo Soundcloud? Nope. Das hier ist gewollt programmiertes Chaos. Doch immer ganz kurz bevor man den Bogen der Distortion überspannt glaubt, wird man wieder auf einer sanften Post-Rock-Ästhetik gebettet, getragen von wärmender Schlagstab-Percussion, die der Traditionselektroniker dann wiederum zunächst mit grellen Bleeps anreichert und anschließend in bester Clicks-&-Cuts zerlegt. „Scis“ ist ständig in Bewegung und saugt einen geradezu in einen unkategorisierbaren, ständig veränderbaren Groove. Umso beeindruckender, dass Markus Popp in keiner Sekunde den Faden verliert, stets alle losen Enden wieder zusammenführt. Durch diese Dreiviertelstunde rauscht man einfach durch, sie lässt einen gänzlich zufrieden zurück – und auf eine nicht ganz verständliche Art baff.

Kein WunderBuchrezension: Deutschland – ein Wirtschaftsmärchen

Leseliste 19. Januar 2020 – andere Medien, andere ThemenTabletten, Wintergemüseernte, toter Techno, Paul Zimmer