Paper & PencilWird das iPad endlich zum ernstzunehmenden Zeichenwerkzeug?
12.3.2015 • Technik & Wissen – Text: Thaddeus Herrmann, Susann MassuteTablets gelten als Alleskönner im digitalen Alltag. Nicht so ernst und schreibmaschinig wie ein Laptop, dafür mit viel Display und einem eher spielerischen Ansatz. Spiele, Filme, Magazine: Mit einem Tablet lässt man alle Fünfe gerade sein. Oder aber man ist „kreativ“, was immer das konkret bedeutet. Für die Macher der App „Paper“ liegt die Antwort auf der Hand: malen, zeichnen, skizzieren und kolorieren wie die Profis. Das kommt gut an, das Programm war 2014 Apples „App Of The Year“. Mit dem digitalen Stift „Pencil“ soll man jetzt noch profimäßiger unterwegs sein. Zeit, sich das genau erklären zu lassen. Vom CEO der Firma, Georg Petschnigg.
Wir müssen über Tablets reden. Diese Produktkategorie zwischen Rechner und Smartphone, von Apple mit dem iPad hoffähig gemacht und von einer ganzen Industrie lange als großer Hoffnungsträger betrachtet. Das eine klassische Einsatzszenario für Tablets gibt es nicht. Die einen lesen Bücher, Zeitungen oder Magazine, die anderen schauen Netflix oder spielen. Vor allem für Kinder ist ein Tablet oft die erste Begegnung mit einem „Computer“. Robust genug, dass man es auch kleineren Menschen überlässt, ohne sie ständig im Blick haben zu müssen, einfach genug in der Bedienung, um nicht ständig Dinge erklären zu müssen. Und sonst? Tagesgeschäft. Wie oft Tablets wirklich benutzt werden, wie oft sie einfach nur rumliegen zwischen den Sofakissen, weiß niemand.
Zumal der Trend sich schon wieder vom Tablet abzuwenden scheint. Die Konkurrenz ist hausgemacht. Smartphones werden immer größer und ihre immer üppigeren Displays machen das Tablet schon heute oft überflüssig. Es macht keinen Sinn mehr, sich ein drittes Gerät neben Telefon und Laptop zu leisten. Das Argument, dass man mit dem Tablet einen leichten und großen Screen immer dabei haben kann, zieht nicht mehr. Was zieht denn dann noch? Nischige Einsatzgebiete, ganz spezielle Apps, bei denen dann eben doch jeder Millimeter Display zählt. Zeichnen zum Beispiel. Und will man auf dem iPad zeichnen, kommt man an „Paper“ nicht vorbei. Es hat ein einfaches Interface, sehr umfangreiche Gestaltungsmöglichkeiten, die mit dem Stylus „Pencil“ noch besser nutzbar sind, und eine eigene Plattform im Netz – „Mix“. Auf der können die Resultate nicht nur geteilt, sondern vor allem gemeinschaftlich weiter entwickelt werden. Ausgedacht hat sich die App die kleine Firma „FiftyThree“ in New York. Wir haben uns die App angeschaut, den dazugehörigen Stylus „Pencil“ und mit dem CEO und Mitgründer des Unternehmens über Geschichte, Idee, Strategie und Zukunft gesprochen. Und das Ganze danach von unserem hauseigenen Gestaltungsprofi auf Herz und Nieren prüfen lassen.
Georg Petschnigg: Wir haben FiftyThree zu viert gegründet: zwei Designer und zwei Ingenieure. In dieser Konstellation kamen die unterschiedlichsten Erfahrungen zusammen. Ich zum Beispiel war früher bei Microsoft, habe u.a. für die Office-Abteilung gearbeitet, aber zusammen mit einem meiner Mitgründer, John Harris, auch am „Courier“-Projekt mitgewirkt, einem speziellen Tablet mit zwei Displays, designt wie ein richtiges Buch. Auch wenn dieses Projekt wieder eingestellt wurde: Während der Arbeit daran ging uns eine Art Licht auf. Wie setzen Menschen heutzutage ihre Ideen um und wie wollen oder könnten sie sie eigentlich umsetzen? Gibt es da nicht einen Widerspruch?
Das Filter: Wie setzen Menschen sie denn um?
Georg: Der kreative Prozess beginnt eigentlich immer noch mit Papier und Bleistift beginnt. Warum das so ist? Weil in den letzten zehn Jahren einfach zu wenig passiert ist in Sachen Produktivität und Kreativität im Zusammenspiel mit Software. Die verwendeten Metaphern sind alt, kommen aus dem Zeitalter der Schreibmaschine. Die omnipräsente Frage bei unseren Überlegungen war: Kann Technik XY wirklich dabei helfen, kreativer zu sein, auch produktiver zu sein? Und genau das ist in der Regel ja nicht so. Was fehlt, ist die Interaktion, gerade wenn mehrere Menschen gemeinsam an etwas arbeiten wollen oder müssen. Und dann kam das iPad.
Das Filter: Du verstehst Produktivität und Kreativität als zusammengehörig. Im traditionellen Denken sind das aber zwei unterschiedliche Kategorien: Microsoft zum Beispiel reitet seit Jahr und Tag auf der Produktivitäts-Metapher herum. Und genau das hat das Unternehmen ja auch in die Krise gestürzt. Weil das den mobilen Mainstream nicht interessiert.
Georg: Für uns hängen beide Begriffe sehr eng miteinander zusammen und sind nicht mehr zu trennen. Der Grund dafür ist einfach: Digitalisierung und Automatisierung beherrschen unser Leben und das hat faktische Auswirkungen auf die Arbeitswelt. Wir sehen die Kreativität, den spielerischeren Umgang mit dem Job, als die Basis von allem. Und das versuchen wir auch in unserer App umzusetzen. Mit „Paper“ kannst du Skizzen machen. Das kennt man, das haben Menschen schon immer getan. Aber die App bietet die unterschiedlichsten „Stifte“ und auch verschiedene Techniken, zum Beispiel Wasserfarben. Das beherrschen diejenigen, die normalerweise mit dem Bleistift zeichnen, vielleicht nicht, in der App können sie es aber ausprobieren. Die Technik ist dabei genau die gleiche. Und vielleicht werden die Bilder dadurch besser. Das ist produktiv, aber natürlich auch kreativ.
##Barrierefreie Kreativität
Das Filter: Nun sind Zeichen-Apps einerseits und der Einsatz von digitalen Stiften an Grafik-Tablets ja eigentlich nichts Neues. Welche Ideen standen bei der Entwicklung von „Paper“ im Vordergrund?
Georg: Drei, um genau zu sein. Vor allem Einfachheit und Zugänglichkeit. Wer kein Profi ist, darf nicht von Technik abgeschreckt werden. Ideen, die einem im Kopf rumspuken, sind ja meist kleine, zerbrechliche Dinge. Mit denen muss man vorsichtig und respektvoll umgehen.
Das Filter: Eine Art Barrierefreiheit.
Georg: Es muss einfach von Anfang an gut aussehen, was man zeichnet. Und genau das ist der zweite Punkt. Was macht man normalerweise, wenn man einen Stift in der Hand hat? Skizzieren, zeichnen, schreiben, kolorieren und an den Konturen arbeiten. Das waren dann auch die fünf Dinge, mit denen „Paper“ gestartet ist. Und der dritte Punkt war, dass wir unsere Software sowohl für Multitouch, aber auch für digitale Stifte optimiert haben. Beides lässt sich gleichzeitig nutzen. Das macht unsere Technik besonders. Auf anderen Geräten und Plattformen kannst du deine Hand zwar auch auf das Display legen, ohne dass der Touchscreen reagiert. Aber bestimmte Tools mit den Fingern bedienen und gleichzeitig mit dem Stylus in der anderen Hand zeichnen, das geht nur bei uns.
Das Filter: Warum ist das wichtig?
Georg: Weil wir zwei Hände haben, ganz einfach.
Das Filter: Reden wir über Euren Stylus. Diese Stifte sind ja in der Regel alles andere als geil.
Georg: Weil sich meiner Meinung nach kaum jemand ausreichend um das Zusammenspiel von Hard- und Software kümmert. Aber auch eine klare Idee ist wichtig. Ein Stift ist ein Stift, egal ob analog oder digital. Aber wie man den Stift hält, hat immer Auswirkungen auf das Ergebnis. Halte ich einen Bleistift schräg, dann will ich ja schraffieren. Man kann mit einem Stift unglaublich viele unterschiedliche Ergebnisse erzielen. Das muss ein digitaler Stylus auch möglich machen. Als wir den „Pencil“ entwickelten, dachten wir auch gar nicht an Pinsel, Bleistifte oder Kugelschreiber, sondern haben uns Hori Hori angeschaut, ein kleines japanisches Werkzeug für die Gartenarbeit, das sehr universell eingesetzt werden kann. Eine Art Schweizer Taschenmesser, wenn du so willst: Messer, Säge, Schaufel, alles dran. So sollte auch unser Stylus werden. Und wir wollten die User beim analogen Vorbild abholen. Wo ist der Radiergummi beim Bleistift? Oben drauf. Genauso wie bei uns. Diese Emulation des Analogen ist immer noch sehr kompliziert. Bestimmte Features, die eine umfassende Drucksensitivität voraussetzen, lassen sich auf dem iPad erst seit wenigen Monaten umsetzen, seit der Einführung von iOS 8.
Das Filter: Bislang habt ihr mit dem Verkauf von bestimmten Software-Features Geld verdient, den berüchtigten In-App-Käufen. Jetzt ist die App umsonst und mit allen Funktionen ausgestattet. Der Stylus bringt jetzt das Geld?
Georg: Ja. Was auch noch einen ganz anderen Vorteil hat: Hat eine Schule zum Beispiel iPads im Einsatz, kann die App jetzt mit voller Funktionalität im Kunstunterricht eingesetzt werden, ohne noch zusätzliche Module kaufen zu müssen. Das ist uns nur recht.
Das Filter: Eure App gibt es bislang aber nur für das iPad. Wenn man sich den Tablet-Markt anschaut, ist und bleibt das ein vergleichsweise teures Gerät und schließt viele Menschen einfach schon über den Preis aus. Gerade auch Schulen und andere Bildungseinrichtungen. Android-Geräte sind da viel preiswerter.
Georg: Das stimmt. Der nächste Schritt für uns ist aber eher eine App für Telefone. Die bekommen ja immer größere Displays und so auch für uns und unsere App attraktiv.
##Paper und Pencil im Einsatz
Das-Filter-Gestalterin und -Autorin Susann Massute hat die Kombination aus iPad-App und digitalem Stylus einem Test unterzogen:
Ich habe bislang das iPad weder privat noch beruflich wirklich umfangreich genutzt. Ich bin großer Freund meines analogen Skizzenbuchs, vor allem unterwegs. Im Büro bin ich eine regelrechte Poweruserin des Intuos Pro von Wacom, einem dezidierten Grafik-Tablet. Das hat für mich die Notwendigkeit eines Scanners ersetzt, da man mittlerweile mit Photoshop und so einem Tablet eine überzeugende Bandbreite analoger Stile imitieren kann und das Gefühl vom Zeichnen und Malen sehr präzise ist.
Was mich überzeugt, ist die ungewöhnliche Form und angenehme Haptik des Stifts. Man hat Lust, ihn in die Hand zu nehmen und gleich großzügig loszumalen. Wie man unterschiedliche Strich- und Pinselstärken umsetzen kann, in dem den Stift einfach anders auf das Display hält, ist klug gelöst. Leider funktioniert das nicht immer einwandfrei. Die unterschiedlichen Stift-Optionen wie Buntstift und Aquarell machen viel Freude beim Ausprobieren. Ziemlich erstaunlich, wie sie reagieren und sich überlagern. Das habe ich in keiner anderen App bisher so gesehen. Vieles ist im Interface-Design angenehm reduziert und recht leicht zugänglich, wie z.B. der Aufbau der Bluetooth-Verbindung zum Stift.
Was mir nicht so gut gefällt, ist die Tatsache, dass die App eine ziemliche Lernkurve mit sich bringt und es dauert, bis man bestimmte Funktionalitäten verstanden hat. Rewind zum Beispiel, also das klassische Undo, den Zoom oder dass man die Farbpalette unten rechts durchscrollen kann. Rewind ist an sich eine tolle Funktion, da man so auch gut den Entstehungsprozess des eigenen Bildes nachverfolgen kann. Man legt zwei Finger auf das Display und setzt zu einer kreisrunden Bewegung gegen den Uhrzeigersinn an. Allerdings ist es in der Praxis oft so, dass man gern nur ein bis zwei Schritte rückgängig machen würde und da ist dieses Kreisemalen etwas umständlich. Die Geste erscheint zwar zunächst intuitiv, aber gerade von professionelleren Programmen ist man einen schnelleren Workaround (Apfel-Z-Shortcut) gewöhnt. Die mangelnde Akkuratesse und Präzision ist sicherlich auch dem iPad geschuldet. Aber auch die Spitze des Stiftes ist etwas zu dick mit Gummi überzogen, so dass man oft nicht genau weiß, wo sich der Kontaktpunkt genau befindet. Unterschiedliche Pinselgrößen wären wünschenswert, da sonst wenig Varianz mit den verschiedenen Werkzeugen da ist.
Alles in allem ist „Paper“ eine schöne, unterhaltsame App und gerade mit dem Stift eine tolle Ergänzung für Leute, die gern casual zeichnen, scribbeln und spielen wollen. Die Einfachheit in der Gestaltung des Stiftes und die Tatsache, dass er so gut und angenehm in der Hand liegt – wie ein dicker Buntstift – ist ein großer Pluspunkt. Ich finde das sehr wegweisend für kommende iPad-Erweiterungen und Zubehör. Im professionellen gestalterischen Gebrauch sehe ich die App nicht, für mich persönlich ist das analoge Skizzieren immer noch nicht ersetzbar durch solche Oberflächen. Das ist sicher Geschmackssache. Aber ein iPad ist erstmal sperrig und mir fehlt immer die Haptik des Papiers, die Möglichkeit, es in den kreativen Prozess einzubeziehen, also zu knicken oder drehen. Für aufwändigere Illustrationen ist dann die Arbeit mit einem richtigen Grafik-Tablet effektiver und schneller. Sicherlich lassen sich hier schöne Ergebnisse erzielen, ich habe aber den Eindruck, dass man lange üben muss, um wirklich dorthin zu kommen. Vielleicht wirklich davon profitieren können Architekten oder Produktdesigner, die regelmäßig sehr viel zeichnen. Wobei ich die in der Realität auch immer noch am Papier haften sehe. Aber gerade die sehr variable Buntstift- und Aquarellfunktion passt zu deren Workflow.