Review: Apple AirPods ProEnjoy The Silence
6.11.2019 • Technik & Wissen – Text & Fotos: Thaddeus HerrmannSeit knapp drei Jahren gibt es die AirPods von Apple. Die komplett drahtlosen Ohrhörer sind seitdem zum meistverkauften Kopfhörer weltweit geworden. Warum das so ist, lässt sich manchmal nur schwer nachzuvollziehen. Denn auch wenn die lange Akkulaufzeit, eine stabile Bluetooth-Verbindung und das einfache Pairing mit dem iPhone ganz eindeutig für die AirPods sprechen – die Ohrhörer bieten keinerlei Klangisolation, sitzen locker im Ohr und kommen gegen Umgebungsgeräusche nur schwer oder gar nicht an. Nun, Ende 2019, kommt mit den AirPods Pro eine neue, zusätzliche Variation auf den Markt. Mit aktiver Geräuschunterdrückung und den für InEars so typischen Silikon-Aufsätzen, die im Ohr für festen Halt sorgen. Das klingt nach dem doppelten Quantensprungs-Rittberger für Apples Audio-Abteilung, der mehr als überfällig war. Doch ist der Hype gerechtfertigt? Thaddeus Herrmann berichtet.
Die AirPods waren 2017 eine Art impossible product. Was nicht zuletzt damit zu tun hatte, dass sich der Marktstart immer wieder herauszögerte. Doch dann, kurz vor Weihnachten, war es tatsächlich so weit. Wie so oft in der Technikwelt kam es, wie es kommen musste. Auch wenn das Design der AirPods oft belächelt und zum Epizentrum zahlreicher Memes wurde, begann ganz China damit, Nachbauten en masse zu produzieren. Dem Erfolg von Apples Original tat dies keinen Abbruch, vielleicht sogar im Gegenteil. Wirklich ernsthafte, also technisch auf Augenhöhe funktionierende Konkurrenz bekamen die AirPods erst, als der Wettlauf um die erfolgreichsten Kopfhörer längst entschieden war. Apples Ohrhörer waren so user friendly, dass die klanglichen Beschränkungen mehr oder weniger hingenommen wurden. Diese Beschränkungen sind schlichtweg vom Design bedingt. Ganz ähnlich wie die kabelgebundenen EarPods, also die Ohrhörer, die jedem iPhone und iPod als Standard beiliegen, sind die AirPods keine InEars im klassischen Sinne. Sprich: Sie bieten keinerlei Klangisolation, sitzen sehr locker im Ohr. Diesen Unzulänglichkeiten kann man nur mit Lautstärke versuchen beizukommen – an der stark befahrenen Straße ein schlicht unmögliches Unterfangen. Genau aus diesem Grund wurde die erste Generation der AirPods zu meinem Indoor-Kopfhörer, vor allem für Telefonate und Podcast-Beschallung. Von der Idee, mit den Ohrhörern auch Musik zu hören, verabschiedete ich mich zwar nicht völlig, letztendlich emotionalisierte mich der Sound aber nicht genug – keine Überraschung bei einem solchen Design.
In Ohrhörern ist das Konzept des Antischalls zwar nicht unbekannt, aber noch nicht so verbreitet.
Die AirPods Pro machen die Unzulänglichkeiten des Originals zu einem Großteil wett. Mit zwei großen Neuerungen. Beim neuen Modell setzt man genau wie bei klassischen InEars auf die Silikonaufsätze, die sich a) tiefer in Richtung Gehörgang im Ohr platzieren und b) dank ihres Materials schon aus Haus aus einen gewissen Grad an Isolation mitbringen. Die andere Neuerung ist jedoch die viel wichtigere: Die AirPods Pro sind mit aktiver Geräuschunterdrückung ausgestattet, kurz ANC. Bose hat dieses Prinzip in Over-Ear-Kopfhörern populär gemacht und perfektioniert – mittlerweile bieten andere Hersteller ähnliche Qualität. In Ohrhörern ist das Konzept des Antischalls zwar auch nicht unbekannt, jedoch noch nicht so verbreitet. Die technischen Herausforderungen sind nach wie vor bemerkenswert. Bose oder Audio-Technica zum Beispiel verbauten den unabdingbaren Akku für das ANC in einem Kästchen als Teil des Kabels, was die Praktikabilität von InEars doch ziemlich zurückwarf. Aber: Geschichte wird ja bekanntlich ohne Atempause gemacht, und es geht voran. Kabelgebundene Kopfhörer werden immer uncooler und auch die Akkutechnik wird immer besser. ANC also direkt in den Hörer zu integrieren, ist keine Unmöglichkeit mehr. Man muss es eben nur schlüssig und durchdacht umsetzen. Platzhirsch auf diesem Gebiet aktuell: Sony mit den WF-1000XM3 (ich liebe euch für eure Produktbenennung). Selbst Amazon hat kürzlich ein solches Produkt vorgestellt – mit Technik von Bose. In Deutschland sind diese Echo Buds bislang jedoch noch nicht erhältlich.
Das alles kann Apple herzlich egal sein. Denn wie so oft hat man sich auch hier den Markt zunächst sehr genau angeschaut und dann reagiert: mit den AirPods Pro.
ANC
Um die silence so richtig zu enjoyen, stapfte Depeche-Mode-Sänger Dave Gahan mit einem Liegestuhl durch die karge Pampa der Schweizer Alpen, um in die Ferne blicken zu können. Ein Luxus, den wir Nicht-Popstars nicht ohne weiteres nachahmen können. Wir kleben eher in der U-Bahn auf dem Weg ins Büro, nehmen vor lauten Rettungswagen reißaus und wollen im ICE wirklich nicht mithören, wenn der Vordermann Business am Handy macht. Und im Flugzeug ist das gleichmäßige Dröhnen der Turbinen auch nur die ersten fünf Minuten einschläfernd und dann nur noch nervig. ANC soll in all diesen und weiteren Situationen Abhilfe schaffen. Um das zu erreichen, analysiert ein Mikrofon die Außengeräusche auf (den Schall) und wirft den Hörknöchelchen den benötigten Antischall entgegen. So wird die Kakophonie der Außenwelt ausgeblendet.
Bei den AirPods Pro funktioniert das überraschend gut. So gut, dass ich es beim ersten Ausprobieren gar nicht wirklich glauben könnte, vor allem gemessen an den 5,4 Gramm, die jeder Ohrhörer wiegt. Vielleicht liegt es an der Tatsache, dass in den Pros ein weiteres Mikro zum Einsatz kommt, dass die bei ANC bekannten Kinderkrankheiten ausbügeln soll: Trittschall und andere Geräusche des Körpers, die bei gedämpfter Umgebungslautstärke plötzlich unangenehm in den Vordergrund treten können. Die aktive Geräuschunterdrückung wird 200 Mal pro Sekunde analysiert und kontinuierlich angeglichen. Das Ergebnis kann sich durchaus sehen bzw. hören lassen. Denn gerade weil die AirPods Pro so leicht sind und dank der Silikon-Aufsätze auch wirklich gut sitzen (mehr dazu gleich), vergisst man nach kurzer Zeit schlicht und einfach, dass man die Umgebungsgeräusche proaktiv ausblendet. Bei deutlich schwereren OverEar-Kopfhörern bleibt dieses Bewusstsein durch das Extragewicht immer bestehen. Was keine Belastung sein muss. Bei der InEar-Variante denkt man jedoch, es würden nur noch Elektroautos an einem vorbeifahren und dass die Menschen über Nacht ruhiger geworden sind.
Moment, werfen da jetzt einige zu recht ein: InEars haben doch ein viel grundsätzlicheres Problem. Die Silikon-Aufsätze garantieren über längere Zeiträume keinen gleichmäßigen Sitz, sondern verrutschen, was sich auf den Sound auswirkt. Außerdem erzeugen sie einen gewissen Druck im Ohr, der irgendwann einfach nur noch unangenehm ist. All das ist richtig. Bei Apple bedient man sich hier technischer Kniffe, um diese Widrigkeiten zu umschiffen.
Die AirPods Pro sitzen zwar tight im Ohr, doch man spürt sie kaum.
Der erste ist Software. Bei Pairing und Set-up wird man durch einen kurzen Anprobe-Prozess geleitet. AirPods Pro in die Ohren gesteckt (die mittlere der insgesamt drei Silikon-Pärchen sind ab Werk montiert) und Play gedrückt. Es ertönt für einige Sekunden Musik, mit der die Passform der Aufsätze überprüft wird. Dann die Rückmeldung: Die passen. Oder die passen nicht. Versuch doch mal die größeren, oder nur links einen kleineren. Ohren sind eben nicht symmetrisch. Auch dieses Prinzip der Personalisierung ist nicht neu, dank iOS und perfekter Top-to-Buttom-Integration läuft hier jedoch alles wie am Schnürchen. Der zweite Kniff ist Hardware-bedingt. Wie einige andere Hersteller nutzt auch Apple Abzugsöffnungen, um bei voller Ausnutzung des Frequenzspektrums buchstäblich den Druck aus dem Ohr zu nehmen. Die AirPods Pro sitzen zwar tight im Ohr, doch man spürt sie kaum. Die Bässe kicken, produzieren aber kein ungutes Gefühl. Auch das ist keine neue Erfindung des Rades und taugt nicht zum Patent – allein die konsequente Umsetzung macht es zu einer runden und überzeugenden Lösung.
Sound und Umwelt
Und das hilft so einerseits beim Klang, andererseits aber auch bei der Kommunikation. Der Transparency-Modus erlaubt es, die AirPods Pro auf Durchzug zu stellen, mit oder ohne Musik. Das bedeutet konkret, dass die Außengeräusche an die Ohren durchgeleitet werden. So muss man – zumindest theoretisch, unhöflich bleibt es natürlich – die Ohrhörer im Geschäft oder bei einem kurzen Gespräch nicht abnehmen und kann sich dennoch ganz normal unterhalten. Der Bonus: Man hört seine eigene Stimme nicht lauter als normal bzw. mumpfig. Es klingt, als hätte man die AirPods Pro gar nicht in den Ohren. Generell lassen sich die neuen Ohrhörer in drei Modi betreiben. Zum aktivierten ANC-Modus und der Transparency-Einstellung gesellt sich noch der Off-Switch. Dann ist alles ausgeschaltet.
Bei den Pros kommen neue Treiber zum Einsatz, die das alte Design ablösen und bei der Wiedergabe genau das aufholen, was bislang immer kritisiert wurde.
Der Klang der AirPods Pro ist tatsächlich beeindruckend. Man kennt ja das Tricksen der Hersteller beim Pimpen von Sound – gerade, wenn eine aktive Geräuschunterdrückung mit im Spiel ist. Oft bedeutet das, dass die Entwickler*innen ihr gesamtes Augenmerk auf die Optimierung des Klangs während des ANC-Betriebs gelegt haben. Immer wieder führt das dazu, dass die verbauten Treiber gar nichts Besonderes sind und im regulären Modus entsprechend eher langweilig klingen. Hier ist das tatsächlich nicht so. Die „normalen“ AirPods (die übrigens weiter verkauft werden) klingen ... ach, das muss ich euch wirklich nicht nochmal erzählen. Bei den Pros kommen neue Treiber zum Einsatz, die das alte Design ablösen und bei der Wiedergabe genau das aufholen, was bislang immer kritisiert wurde. Der Bass klingt rund und ausgewogen, hat für meinen Geschmack genau die richtige Portion Punch und strahlt eine für diesen Formfaktor dann doch beträchtliche Deepness und Wärme aus. Die Mitten werden angemessen angestrahlt, sind dabei aber nicht überbetont und kräuseln sich auch nur dann leicht zerrend zusammen, wenn das im Studio so gewollt wurde. Die Höhen gehen ebenfalls in Ordnung, kommen nicht schrill daher. Und die Soundstage ist weit genug, im sich im Stereobild räumlich zu verlieren. Im direkten Vergleich mit den Powerbeats Pro von Beats legt Apple beim Design der Treiber in den AirPods Pro eine ordentliche Schippe drauf. Nicht zuletzt auch mit Hilfe eines adaptiven Equalizers, der das Tuning der Musik an die Ohrform anpasst.
Bedienung – das Ende der Taps
Wo wir gerade bei den Powerbeats Pro sind: In den vergangenen fünf Monaten habe ich diese InEars praktisch täglich verwendet – und mag sie auch nach wie vor. Das hat nicht nur mit dem Sound zu tun – auch den mag ich immer noch –, sondern vor allem mit der Bedienung, konkret: den Knöpfen. Lauter/leiser, nächster Track, vorheriger Track und – das Beste überhaupt – innerhalb eines Tracks vor- und zurück„spulen“ ist für mich ein Killer-Feature. Ich vergesse nämlich regelmäßig, dass ich das auch an der Apple Watch machen kann, weiß aber natürlich auch, dass die längst nicht jeder hat. Warum denn auch!? Die Bedienung der AirPods an den Hörern selbst empfand ich immer als eher unpraktisch. Mit kleinen Morse-Tippern gegen das berührungsempfindliche Gehäuse konnte man Telefonate annehmen, Siri dazuschalten und in der Playlist hin- und herskippen. Die Lautstärke ließ sich so jedoch nicht ändern. Das geht auch den den AirPods Pro nicht – ein großes Manko, was für die Powerbeats Pro spricht.
Die generelle Bedienung hat sich nun aber geändert. Die Zeit der Taps ist vorbei. Am unteren Ende beider AirPods, also an den nun deutlich verkürzten „Stengeln“, befindet sich jeweils ein Bereich, der sich beherzt drücken lässt, also ein Drucksensor. An dieser Stelle wird mit den Pods kommuniziert. Statt zwei Mal zu tappen wird nun zwei Mal gedrückt usw., und eine neue Funktion kommt hinzu: Mit einem langen Druck kann Siri aktiviert werden – nicht wirklich notwendig, denn „sie“ hört eh immer zu, wenn gewünscht – oder aber zwischen den unterschiedlichen Betriebsmodi gewechselt werden. Welche das sind, lässt sich in den Bluetooth-Einstellungen auf dem iPhone festlegen. Das passt. Wo genau der Drucksensor liegt, hat man innerhalb weniger Minuten im muscle memory abgespeichert. Den Härtetest muss dieses Bedienungs-Paradigma jedoch im Winter bestehen. Dann wird sich zeigen, ob man den Sensor mit Handschuhen noch genauso gut treffen wird.
Laufzeiten
Bei Apple selbst wird die Akkulaufzeit mit viereinhalb Stunden angegeben. Ist das ANC abgeschaltet, soll man bei fünf Stunden landen. Das sind realistische Werte, über die man sich aber auch keine Gedanken machen sollte. Denn das Lade-Case ist zwar etwas größer und schwerer geworden, passt aber immer noch problemlos in die Hosentasche. So kann immer wieder schnell nachgeladen werden, was auch automatisch passiert: Wo sonst soll man AirPods Pro denn auch hintun? Bei den Powerbeats Pro ist das nicht so ideal gelöst, aber natürlich auch der speziellen Bauform der InEars geschuldet. Auch bei den AirPods Pro gilt: 24 Stunden Laufzeit lassen sich mit einem voll geladenen Case erreichen, bzw. 18 Stunden Telefonie. Steckt man die Pros für nur fünf Minuten ins Case, kann schon wieder eine Stunde lang Musik gehört werden.
Die AirPods Pro sind die idealen InEars für alle, die ein iPhone haben
Silence Is Golden
Die AirPods Pro sind der nächste logische Schritt auf dem Weg Apples zur ernstzunehmenden Audio-Company. Der Klang überzeugt, die Passform liegt dank der speziellen Silikon-Aufsätze in Sachen Bequemlichkeit deutlich über der vieler Mitbewerber. Und: Auch 2019 ist es immer noch beeindruckend, wie das alles überhaupt funktionieren kann. Der H1-Chip garantiert große Bluetooth-Reichweite und stabilste Verbindungsqualität. Sensoren merken, wenn man die AirPods Pro einsetzt bzw. herausnimmt und stoppen/starten die Wiedergabe automatisch. Die Sprachqualität bei Telefonaten ist vollkommen ausreichend, beide Seiten hören sich laut und klar. Dazu kommt die IPX4-Zertifizierung, dank derer man sich auch im Regen nach draußen trauen kann und sich beim Sport keine Gedanken um Schweiß machen muss. Die Geräuschunterdrückung ist für diesen Formfaktor hervorragend und die Bedienung durchdacht. 279 Euro sind für dieses Feature-Paket nicht einmal übertrieben teuer. Die AirPods Pro sind die idealen InEars für alle, die ein iPhone haben – ein mehr oder weniger aktuelles. Denn: Um sie einzusetzen, muss das Telefon auf der aktuellsten iOS-Version laufen – 13.2. Für Android-User machen die InEars hingegen keinen Sinn, auch wenn sie sich theoretisch mit einem Huawei, Samsung oder OnePlus pairen lassen. Dazu fallen zu viele Features, die nur für Apples Ökosystem vorgesehen sind, einfach weg.