China auf dem Weg zur Weltmacht der Künstlichen Intelligenz (1)Understanding Digital Capitalism III | Teil 5
22.1.2018 • Gesellschaft – Text: Timo Daum, Illustration: Susann MassuteInnovation im Valley? Da kann man in China nur milde lächeln. Im bevölkerungsreichsten Land der Erde gehört der Einsatz der Künstlichen Intelligenz mittlerweile zur Staatsräson. Die großen Internet-Konzerne – Baidu, Tencent und Alibaba – haben mehr Kunden, mehr Daten und so auch mehr Möglichkeiten, die neuronalen Netze singen zu lassen. Das hilft nicht nur bei der vollständigen Überwachung der Menschen, sondern auch bei der vom Politbüro abgesegneten und gewünschten Optimierung der Gesellschaft. Bringt die Netzwerk-Ökonomie die Renaissance der Planwirtschaft? Die autonomen Autos fahren so oder so. In dieser und der kommenden Folge von »Understanding Digital Capitalism« widmet sich Timo Daum einem Land, in dem selbst Alexa die rote Fahne schwingen würde, wenn sie nur dürfte.
Was bisher geschah:
Chinas neue Ökonomie
China ist längst nicht mehr die verlängerte Werkbank der westlichen Industriestaaten, an der mit billigen Arbeitskräften Fertigprodukte für den Weltmarkt zusammengebaut werden. Spätestens seit 2015 schlägt China eine radikal neue Richtung ein. Mit dem Personalwechsel an der Spitze der von Mao Tse-Dong vor fast 100 Jahren gegründeten Partei erfolgte auch eine Neuausrichtung der Industriepolitik. Ein Umstrukturierungsplan, der im Kern die Schaffung einer Netzwerk-basierten Ökonomie beinhaltet. Dieser Plan markiert die Ablösung eines Export- und Investitions-getriebenen durch ein konsumtionsbasiertes und innovationsgetriebenes Modell, so die an der University of Southern California lehrende Yu Hong: „Der Staat erklärte Informationstechnologien zur zukünftigen Schlüsselindustrie“, schreibt sie in ihrer Untersuchung über die Neuausrichtung der chinesischen Volkswirtschaft hin zu einer Netzwerk-Ökonomie, die in der von Dan Schiller herausgegebenen Reihe „The Geopolitics of Information“ erschien. Als Folge werde ein auf niedrigen Löhnen basierendes Akkumulationsmodell abgelöst durch eines, in dem Informations- und Kommunikationstechnologien priorisiert werden. Wir bekommen es hier mit der chinesischen Variante eines staatlich gelenkten Plattform-Kapitalismus zu tun.
Die neue Rolle Chinas ist in vielen Bereichen bereits zu spüren.
Das soll die chinesische Ökonomie weniger abhängig machen vom globalen Markt, denn auch China hat trotz boomender Wirtschaft die Auswirkungen der Finanzkrise 2008 empfindlich gespürt. Das alte Modell gerät auch aus anderen Gründen unter Druck: Die Löhne steigen in China stetig an – seit 2001 um durchschnittlich zwölf Prozent pro Jahr. Deshalb setzt das Land auch verstärkt auf Roboter: 2016 kaufte etwa der chinesische Haushaltswarenhersteller Midea den weltberühmten Augsburger Roboterhersteller Kuka. Mittlerweile ist China zum größten Robotermarkt der Welt geworden. In vielen Bereichen manifestiert sich die veränderte Rolle Chinas. Der zunehmende Einfluss in Afrika etwa ist schon oft diagnostiziert worden. Die Ablösung des ältesten afrikanischen Ex-Unabhängigkeitskämpfers und Diktators Robert Mugabe in Zimbabwe wurde von Jeune Afrique als erster, von China orchestrierter Putsch in Afrika bezeichnet.
Auch auf technologischem Gebiet zeichnet sich ein Wettlauf mit den USA ab. Der Plan sieht unter anderem erhebliche Investitionen in KI-Technologien innerhalb der nächsten drei Jahre und die Durchdringung der gesamten Ökonomie mit diesen Technologien vor. Die Trump-Administration hingegen hat Forschungsgelder gekürzt und den Zustrom von qualifizierten Arbeitskräften erschwert, klagen Branchenkenner. Der Politikanalyst und Gründer der Eurasia Group, Ian Bremmer, sieht starke Indizien für ein Duell zwischen China und den USA im Kampf um die technologische und wirtschaftliche Vorherrschaft. „Peking setzt stark auf Künstliche Intelligenz und Big Data, während Washington auf traditionelle Industrien fokussiert – was wahrscheinlich ein Fehler ist.“ Grund genug, einmal einen Blick auf China zu werfen, bzw. auf die großen Drei der Plattform-Ökonomie jenseits des Pazifiks: Baidu, Alibaba und Tencent, den Pendants zu Amazon, Alphabet, Microsoft und Facebook.
Black Friday und der Singles’ Day
Der Black Friday gilt als Gradmesser für das Weihnachstgschäft, insbesondere im Online-Handel. An diesem Tag wurden 2017 5,03 Milliarden US-Dollar umgesetzt, 2016 waren es nur 3,34 Milliarden: eine Steigerung vom 34 Prozent. Davon wurden allein Käufe im Wert von knapp zwei Milliarden auf mobilen Geräten getätigt – Amazon strich knapp 55% davon ein. In China gibt es ein Pendant zum Black Friday, den 11. November: Singles’ Day. Anfang der 1990er-Jahre als Single-Event (wegen der vielen Einsen im Datum) an chinesischen Universitäten aufgetaucht, schaffte das Event dann 2011 den Sprung zum landesweiten Phänomen. Mittlerweile ist der Singles‘ Day zum umsatzstärksten Geschäftstag des Planeten geworden. Der chinesische Online-Shopping-Riese Alibaba stellte 2016 einen Rekord auf und verkaufte innerhalb von nur fünfeinhalb Minuten Waren im Wert von einer Milliarde US-Dollar auf der Plattform, der Umsatz wuchs innerhalb von 24 Stunden auf umgerechnet 14,3 Milliarden US-Dollar. 2017 waren es schon 25,3 Milliarden, mehr als das Zehnfache als bei Amazon.
Alibaba
Alibaba ist nicht nur vom Umsatz her ein Riese, sondern auch führend, was die Technologie der User-Daten-Ökonomie angeht. Mehr als 8.000 Parameter (signals) von seinen über einer halben Milliarde aktiven Nutzern pro Monat vermag Alibaba in seinen Datenzentren zu speichern: Daten über Einkäufe, Surf-Verhalten, Suchanfragen, Medienkonsum, Aktivitäten in sozialen Netzwerken und insbesondere Zahlungs- und Kredithistorie. „Anstatt wie Amazon Vorschläge anhand von Bestellungen aus der Vergangenheit zu unterbreiten, schiebt Alibaba seine Kunden auch zu Marken und Produkten, die diese noch gar nicht kennen,“ schreibt Henrik Ankenbrand, China-Experte der FAZ. Mit Alipay, das 2004 an den Start ging, hat Jack Mas Firma ein sicheres, einfaches und zudem gebührenfreies Bezahlsystem mit 520 Millionen Nutzern im gesamten asiatischen Raum etablieren können. Alipay ist am ehesten mit PayPal vergleichbar, die derzeit 218 Millionen aktive Kunden haben. Mit Taobao gehört eine der größte Shopping-Plattformen für Endkunden in China zum Alibaba-Konglomerat dazu – das chinesische eBay sozusagen.
Tencent oder: Wechat – Whatsapp plus PayPal
Tencent ist im Westen am wenigsten bekannt, dabei ist es bezogen auf den Unternehmenswert die Nummer 1 der drei chinesischen Internet-Giganten. WeChat ist das Arbeitspferd von Tencent, ein mobiler Messaging-Dienst, der oft mit WhatsApp verglichen wird, dabei aber viel mehr Funktionen umfasst: Messaging, Anrufe, Handyspiele, Hauszustelldienste, Online-Käufe und -Transaktionen – also eher WhatsApp plus PayPal. Mit ihr kann an Straßenständen bezahlt werden, es wird massiv für Online-Spiele benutzt, und ist mit 700 Millionen Benutzer die am häufigsten genutzte Anwendung in China. Nach Meinung vieler chinesischer Benutzer ist die Plattform wesentlich fortschrittlicher als das, was andere Menschen in anderen Teilen der Welt verwenden. Auch Tencent arbeitet allerdings vorauseilend mit den chinesischen Behören zusammen, teilt die Daten seiner Nutzer mit den Behörden und zensiert proaktiv ungewünschte Inhalte.
Baidu – der digitale Mischkonzern
Baidu ist nach Google die weltweit größte Suchmaschine, ihr Marktanteil in China liegt bei 76 Prozent. Im Dezember 2007 wurde Baidu als erste chinesisches Unternehmen überhaupt in den NASDAQ-100 Index aufgenommen. Dem Unternehmen werden immer wieder enge Kollaboration mit den Behörden bei Zensur und Verletzung von Datenschutzrechten vorgeworfen, z.B. von Reporter ohne Grenzen. Wie Google auch ist aus der Suchmaschine längst eine Plattform geworden, ein digitaler Mischkonzern, der mit KI-Technologien in der Mobilfunk-Welt, bei autonomen Fahrzeugen und in vielen weiteren Bereichen mitmischt. Natürlich ist man auch Cloud-Dienstleister: Computing-, Netzwerk- und Storage-Produkte gibt es ebenso wie Big Data und KI.
Das neuronale Netzwerk des Unternehmens hört auf den passenden Namen „Baidu Brain“ und bietet 60 unterschiedliche KI-Anwendungen an. Eine davon ist „Apollo“, eine Plattform für autonomes Fahren.
Das neuronale Nertzwerk des Unternehmens hört auf den passenden Namen „Baidu Brain“ und bietet 60 unterschiedliche KI-Anwendungen an. Eine davon ist „Apollo“, eine Plattform für autonomes Fahren. Sie ist laut dem COO von Baidu, Qi Lu, als offenes System gestaltet, denn es gebe in China mittlerweile 250 Hersteller, die an selbst fahrenden Autos arbeiten. „Mit unserer Code-Basis, die wir am 5. Juli 2017 veröffentlicht haben, ermöglichen wir es einer Person innerhalb von drei Tagen ein Fahrzeug zu bauen, das in begrenzter Form autonom fahren kann, um dann mit der Forschung und Entwicklung zu beginnen“, sagte Lu in einem Interview mit Wired. Das Geschäftsmodell, das sich hier abzeichnet, ist ein lupenreines Plattform-Modell: Die Autohersteller können die Plattform nutzen, die Regeln bestimmen und mit Hilfe der generierten Daten ihre Services optimieren. Oder anders ausgedrückt: sirenengleich mit offenem Code, niedriger Einstiegsschwelle (drei Tage für autonomes Fahren ist schon ein starkes Stück!) die Hersteller ins eigene Ökosystem locken, und sie dann nie mehr aus diesem herauslassen.
Planwirtschaft statt Black Box
Bei Baidu ist man stolz darauf, bei der Spracherkennung eine bemerkenswerte Genauigkeit von 97% und bei der Gesichtserkennung eine Rate von 99,7% zu erreichen. Ein weltweiter Spitzenwert, der eindrücklich belegt, wie ausgereift Baidus KI-Anwendungen bereits sind. Entscheidend für diesen Erfolg ist laut Baidu-Chef Lu die Trennung von Wahrnehmungs- und kognitiver Ebene in den neuronalen Netzen. Überhaupt hält der Manager KI-Anwendungen für die Schlüsseltechnologie in vielen Bereichen und sieht China strukurell im Vorteil gegenüber dem Rest der Welt, weshalb er auch von Microsoft zu Baidu gewechselt sei: Es gibt einfach so viele Chinesinnen und Chinesen.
Auch der bekannteste Unternehmer des Landes – Jack Ma, Gründer von Alibaba – kommt ins Schwärmen, wenn es um die KI geht. In den kommenden 30 Jahren werde gar die Planwirtschaft ein Comeback erleben, prophezeite er: „Wenn wir Zugang zu allen Daten haben, finden wir die ,unsichtbare Hand des Marktes’.“ Die Technik mache es möglich, die Marktkräfte „vorherzusagen und zu planen“.Am Ende erlaube dies, „die Planwirtschaft zu verwirklichen“. Ob sich Adam Smith da im Grab umdreht angesichts solcher Thesen, ob die Planwirtschaft doch noch siegt über den freien Markt, oder ob beides zwei Seiten ein und derselben KI-gestützten Vermessungs-, Verkaufs- und Kontrollmaschinerie sind – wir werden sehen.
Quellen und Links
- Alan Greenspan, Financial Times, 29.03.201. Zitiert nach: Robert Pringle, The Money Trap: Escaping the Grip of Global Finance. Palgrave McMillan, New York 2012, S. 197
- Yu Hong, Networking China: the digital transformation of the Chinese economy. Urbana: University of Illinois Press, 2017
- François Soudan, La chute de Mugabe: un séisme dans la Chinafrique, Jeune Afrique
- Alexander Armbruster, Q&A mit Ian Bremmer. FAZ, 8.1.2018
- Will Knight, China Is Building a Robot Army. In: MIT Technology Review, 26.04.2017
- Hendrik Ankenbrand, Wo künstliche Intelligenz zur Religion wird. FAZ, 29.9.2017
- Jessi Hempel, How Baidu will win Chinas AI race. In: Wired, 09.08.2017
Zur Übersicht aller bisherigen Texte der Reihe »Understanding Digital Capitalism«.