Das System VinylMitschnitt: Das war „The Amplified Kitchen“ zu Krise und Hype der Schallplatte

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Die Teilnehmer von links nach rechts: Ji-Hun Kim, Peter Armster, Andreas „Lupo“ Lubich, Mario Lüsse, Alex Ketzer.

Schatz, wir müssen reden: Über die Schönheit der Schallplatte und den Hype um sie, über kämpfende Labels und überlastete Produktionsstätten. Trotz aller Liebe zur Platte gibt es hier keine Lobhudelei, sondern einen kritischen Blick auf die Lage des Vinyls. Welchen Platz hat die Schallplatte in der heutigen Clubkultur, unter welchen ökonomischen und ökologischen Bedingungen wird sie produziert und wie sieht ihre Zukunft aus? Ein Audiomitschnitt und eine editierte Transkription der Diskussionsrunde in der Reihe „The Amplified Kitchen“, die im Juni im Berliner Club ://about blank stattfand.

##Die Teilnehmer

Alex Ketzer: Designer und Musikfan, Herausgeber von „Beyond Plastic“.

Mario Lüsse: Schallplattenbeauftragter bei Universal Music.

Andreas „Lupo“ Lubich: Mastering Engineer „Calyx Mastering“.

Peter Armster: vom Vertrieb „Word And Sound“.

Oscar Comas Esquerdar: kümmert sich um CD-, DVD- und Vinyl-Herstellung bei „handle with care“.

Markus Lindner: Betreiber des Plattenladens OYE.

Wie ist euer Verhältnis zum Vinyl, beruflich wie privat?

Alex: Privat höre ich meine Musik darauf, weil Vinyl gut aussieht, weil die Musik darauf gut klingt, weil ich mich daran erinnern kann, wo ich die Platte gekauft habe und wann ich sie gespielt habe. Das hat man bei MP3 nicht. Beruflich gestalte ich Cover für verschiedene Labels und bin immer auf der Suche nach etwas Besonderem, danach, wie man das anders machen kann.

Mario: Beruflich betreue ich für Universal Läden, die in erster Linie Schallplatten verkaufen, kümmere mich um den „Record Store Day“ und bin Ansprechpartner für die Vinyl-Koordination. Privat bin ich extrem an der Nadel, das Berufliche ist daraus erwachsen, ich hatte selbst lange einen Plattenladen und kaufe seit ich denken kann nur Schallplatten ...

... und wie sieht so ein Alltag im Bereich Vinyl bei einem Label wie Universal aus?

Mario: Nicht viel anders als bei der CD, vermute ich. Ich muss wahnsinnig viel mit kleinen Plattenläden und großen Kunden quatschen. Was manchmal zu bizarren Jekyll-und-Hyde-Erlebnissen führt, weil man auch mal einen Schweine-Deal mit einem größeren Kunden macht, von dem man weiß, dass der kleine Plattenladen das nicht mag. Was die Koordination von Vinyl angeht, werde ich gefragt, welche Auflage wir für eine Platte brauchen.

Lupo: Die Schallplatte war immer das Medium meiner Wahl, bis heute sind die Attribute einer Platte maßgeblich für das Musikhören: Wenn ich das bewusst tun will, lege ich eine Platte auf. Damals war das ausschließlich Schallplatte, CD war eher eine Randerscheinung. Heute ist das umgedreht, statt der CD sind es jetzt die digitalen Files. Vinyl ist aber immer noch annähernd 70 Prozent meiner Arbeit. Mastering mache ich seit 1998, beruflich damals mit „Dubplates & Mastering“, was relativ bedeutsam in der elektronischen Musikszene war. Das Mastering ist der letzte ästhetische und technische Schliff vor der Veröffentlichung eines Musikstückes. Es geht darum, einen Mix auf Platte so klingen zu lassen, wie es vom Künstler gedacht war. Weil mit der digitalen Entwicklung die Leute mehr und mehr selbst produzieren und ein professionell trainierter Toningenieur wegfällt, springt das Mastering dort auch ein, versucht den Sound zu erzielen, der angestrebt war, und ihn dann auf Platte zu transferieren.

Peter: Ich bin klassisch im Plattenladen sozialisiert worden, habe dort gearbeitet, aber fand die wöchentlichen Ausflüge zum Vertrieb – der Schnittstelle zwischen Label und Laden – interessanter als hinter dem Tresen zu stehen.

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Alex, für dein Buchprojekt „Beyond Plastic“ bist du in Eigenregie mit dem Auto quer durch Deutschland gefahren, um die Welt des Vinyls abzubilden. Was hast du dabei gelernt?

Alex: Ich hatte eine Vinyl-Kaufpause von zehn Jahren, habe 2010 wieder angefangen und von gewissen Labels jede neue Platte gekauft. Irgendwann kam ich an den Punkt: Wie geht das überhaupt, eine Platte rauszubringen, was ist Mastering? Ich habe dann zwanzig Labels angeschrieben, alle zwanzig haben ja gesagt und bin rumgefahren. Ein Vinyl-Roadtrip mit Zelt und Auto.

Würdest du sagen, dass Vinyl ein Medium ist, das die Szene zusammenhält?

Alex: Vinyl ist eine Art Ritterschlag: Erst dann ist ein Stück wirklich da, kann gespielt werden. In erster Linie ist es ein Instrument für Publicity, für Gigs, es ist wie eine Visitenkarte für den Künstler. Eine Platte hat man in der Hand, eine CD steckt man in die Tasche.

Seit 2006 gibt es weltweit einen verzehnfachten Umsatz an Vinyl. Nichtsdestotrotz sind das in der globalen Musikindustrie nur etwas mehr als zwei Prozent. Ist das überhaupt ein Hype?

Peter: Ich sehe sehr viele Labels, die sehr viele Platten in sehr kleinen Auflagen machen. Der Hype passiert im LP-Sektor, in Sondereditionen, in Limited Editions. Relevanz oder Hype im Sinne, dass wir viele House- und Technoplatten verkaufen, gibt es nicht. Wir haben in den 90er-Jahren Vertriebe – Neuton, Discomania – sterben und im Zuge der letzten Jahre Onlinestores wie Decks oder Deejay.de Vertriebsarbeit machen sehen. Viele Leute wollen Kleinstauflagen von 100 Stück machen, was noch zur Verschärfung der Situation führt.

Mario: Es ist in erster Linie ein Presse-Hype. Bei Universal hat das zu mehr Alben, mehr Aufmerksamkeit geführt, weil es eine gewisse Nachfrage gibt. Ein großer Major richtet sich erstmal danach und die Nachfrage dauert an. Im Vergleich zu vor sechs Jahren, seitdem bin ich dort, verspüre eine steigende Nachfrage.

Woher kommt das?

Mario: Es gibt eine veränderte Rezeption, eine gewisse Flüchtigkeit, einen Informationsoverkill. Der Sinn steht aber nach Entschleunigung, nach Haptik, etwas Greifbarem, das man in der Tüte nach Hause tragen kann. Der Soundcloud-Stream ist zwar praktisch, aber zu Hause möchte man es bewusster machen.

Alex: Hinter den 100er-Auflagen steht natürlich auch eine Geldfrage. Kleine Labels können das nur in dem Rahmen.

Peter: Das ist ein Denkfehler. Es gibt immer Vorproduktionskosten, diverse Schritte wie Mastering und Galvanik à 400 bis 500 Euro, bevor eine Platte gepresst wird. Der Break-even einer Platte ist mit 300 verkauften Stücken nicht erreichbar. Vinyl-Auflagen rechnen sich unter 500 auch heute nicht. Ich kann verstehen, wenn Labels aus Relevanzgründen das Risiko tragen wollen und Geld drauflegen. Wenn aber die Relevanz fehlt, sage ich als Vertrieb: Ich brauche niemanden mehr, der noch eine neue Visitenkarte für seinen Artist will. Manche machen Digitalbusiness und geben dem Künstler, weil er es will, Vinyl dazu. So lässt sich aber eigentlich kein Business machen.

Mario: Die Visitenkarte ist das Stichwort. Zumindest im Elektronikbereich ist die Platte genau das. Es geht dabei nicht um Geld, das kommt über Gigs ...

Alex: ... und ohne Platte keine Gigs.

Lupo: Ich habe früher fast nur Maxis gemacht, mal ein Album dazwischen. Heute ist das umgekehrt: Nur noch Alben, denn daran wird verdient und 12-Inches dienen als Visitenkarte. Die meisten DJs legen auch digital auf.

Aber woher kommen diese Zahlen? Alle scheinen produktionsmäßig relativ am Limit zu sein und trotzdem gibt es diese Steigerung.

Lupo: Es gab ja eine Demokratisierung der Produktionsmöglichkeiten. Heute kann jeder am iPhone einen Track machen und damit direkt zum Presswerk.

Peter: Es gibt sehr viel Verkauf über Mailorder, Berlin ist zu einer echten Blase für Plattenläden geworden. Der Onlinezugang ist für viele aber der eigentliche Zugang: Decks, Juno. Die erzielen einen guten Endkonsumentenpreis und können auch in kleinere Auflagen investieren. Das heißt: noch mehr Labels, noch mehr Pressungen. Die Maschine einspannen, Platten konfektionieren - je größer die Auflage, desto einfacher der Prozess.

Lupo: Weil es keine neue Maschinen gibt. Die Plattenpress- und Schneidemaschinen sind alle aus den 50ern. Das ist uralte Technik, die hervorragend funktioniert. Wir können nicht einfach mal fünf neue Maschinen kaufen, die gibt es einfach nicht mehr. Mastering und Schnitt passieren in Echtzeit, wo man nicht einfach den Schalter drücken kann und dann kommen da fünf Platten raus. Galvanik ist echt wie Kochen, das braucht alles seine Zeit und Sorgfalt. Die Testpressung alleine dauert ein bis zwei Stunden an der Maschine. Da gibt es noch gar keine Auflage.

Peter: Viele Labels wollen die Sache mittlerweile schnell durchziehen und verzichten auf Testpressungen. Bei der Schallplatte, wo das audiophile Erleben im Vordergrund steht, ist das eine Reduktion dessen, was Qualität ausmacht. Wenn uns Labels anschreiben, sage ich denen oft scherzhaft: Ihr könnt sowieso nur noch zwei Platten pro Jahr releasen, das haben die Presswerke so entschieden. Die antworten dann manchmal schockiert: Was?

Lupo: Bei den Mastercuts, aber auch bei der Galvanik und der eigentlichen Pressung, können viele Kleinigkeiten schief gehen – mit großen Auswirkungen. Wenn Labels es aber schnell durchziehen wollen, kann ich als Master keine Gewährleistung mehr geben. Der worst case wären 300 bis 500 fertige Platten mit Fehlern, da mit der Testpressung der Schritt übersprungen wurde, wo sie korrigierbar gewesen wären.

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Menschen sind heute also bereit Platten zu machen, aber die Firmen sind zu klein. Deren Maschinen kann man auch nicht expandieren, oder?

Mario: Es gibt tatsächlich keine neuen Pressmaschinen. Es wäre wirklich keine Raketentechnik, eine neue Vinylpresse zu bauen. Aber mit großen Investitionsleistungen verbunden.

Lupo: Bei speziellen Teilen wie dem Schneidstichel, der die Rille in den Lack oder ins Kupfer beim Direct Metal Mastering schneidet, ist es z.B. der Kleber, der genau das gewünschte Ergebnis erzielt. Den gibt es heut aus Umweltschutzgründen nicht mehr. Genauso wie es sehr gute Tonabnehmer nicht mehr gibt, weil da radioaktives Beryllium drin war.

Auch wenn wir hier alle pro Schallplatte sind: Es ist eine riesige Umweltsauerei.

In unserem Lack für die Masterfolie wurde ein Abfallprodukt aus der Baumwollindustrie verwendet, das heute wegen des Umweltschutzes wegfällt. Der Ersatzstoff konnte keine ausreichende Qualität liefern. Für uns ist diese ganze Verwertungskette bei der Lackfolie im Prinzip von einer Person abhängig: Neben einer Stelle in Kalifornien gibt es einem 70-jährigen Japaner, der den Lack mit seinem Schwiegersohn herstellt. Die sind aber nur per Fax zu erreichen und sprechen kein Englisch. Auch in die Aluminiumscheiben fließt sehr viel Energie rein, die werden mehrmals gebacken und flach gepresst. Dann kommt der Chemielack und die Dinger werden aus Japan und USA in die ganze Welt hin und her verschifft. Schlimmstenfalls sind sie am Ende Sondermüll. Diesen CO2-Fußabdruck muss man sich mal vor Augen halten.

Alle: Kauft kein Vinyl!

Wie sind denn z.B. bei einer Rolling-Stones-Reissue oder einem Special die Auflagen bei Universal?

Mario: Kann ich erstmal so nicht sagen, es geht los bei 500, bei der Sticky Fingers mit 3.000. Die gab es damals mit einem Reißverschluss als Doppel-LP. Wir haben noch eine Einfachversion von 1.500 nachgelegt. Unsere Probleme gehen los, falls es Verzögerungen gibt und wir auf Nachschub warten, dann kann der Drops schon wieder ganz schnell gelutscht sein.

Wenn durch lange Vorlaufzeiten auch Universal keine Releases zu hundert Prozent planen kann, scheint es schier unmöglich für kleine House- und Techno-Labels, Business zu machen. Gilt noch der alte Ablauf Platte-Reviews-Promo-nächste Platte? Wie wird damit gerade verfahren?

Peter: Back to Relevanz. Früher brauchte man ein Label. Heute geht das wann und wie ich will. Rein fürs Veröffentlichen ist das Label überflüssig. Ich bin erstaunt, dass der Wunsch nach einem Label noch besteht. Als Musiker wäre mir da Unabhängigkeit wichtig.

Mario: Manche wollen eine gewisse Marke repräsentieren.

Peter: Mittlerweile kommt manches ja auch schon so raus und dann erst zum Label. Wir versuchen eine Tendenz aus dem Vorverkauf abzuleiten, was schwierig ist, weil alle wenig Risiko eingehen wollen. Je kleiner aber die Auflage, desto höher der Preis.

Diese Risiko-Minimierung hat sich aber geradezu verkehrt, denn wir müssen ins Risiko, das macht es spannend: Zu sagen, an diese Platte glaube ich, die ist geil. Da wird es für die Labels auch wieder spaßig nach Jahren der Dürre.

Der Schnellkochtopf des Vinylbusiness steht also auf Hochdruck: Wenn der 70-jährige Japaner auf Modellflugzeuge umsteigen will, dann geht das ganze Ding in die Luft. Wie sieht das bei euch von handlewithcare aus?

Oskar: Wir arbeiten mit diversen Presswerken: MPO, Optimal, Pallas. Für mich bedeutet der Vinyl-Hype unheimlich viele Kleinstauflagen von vielen Erstpublishern. Die muss man erstmal in den Prozess reinbringen. Das macht es für die Presswerke sehr kompliziert.

Lupo: Die präferieren immer einen Kunden, der eine Zehntausender-Auflage will.

Peter: Die Presswerke schrecken Kunden auch gerne wieder ab, mit vier- bis fünfmonatigen Produktionszeiten. Wir haben solch eine Verknappung, dass man sagen kann: Leute, die heute Vinyl machen wollen, haben es schwer mit der Umsetzung.

Lupo: Die Lösung: Immer so weit wie möglich im Voraus planen und mit Slots arbeiten. Man kann nicht einen Track machen und sagen, ich komme dann nächste Woche mal im Presswerk vorbei. Da sind die Slots auch größer und stressiger, wegen der großen Aufträge. Jeder guckt eben, wie er seine Produktion eintakten kann. Damit verbunden ist ein mögliches Qualitätsproblem. Wenn eine Platte raus ans Presswerk geht, liegt die bis zu sechs Wochen rum. Das Produkt verändert sich jedoch in der Zeit, denn die Lackoberfläche wird mit dem Schnitt geöffnet. Optimal müsste die Verarbeitung innerhalb von 72 Stunden, maximal zwei Wochen erfolgen. Sonst gibt es Qualitätsminderungen, z.B Knistern, eben auch durch geskippte Testpressungen. Genaue Planung im Voraus ist das Beste: für mich, das Presswerk, das Label, die Qualität, den Kunden.

Peter: Wie hoch ist denn die Produktionsleistung bei Optimal? Meine Kenntnis ist 24/7? Das ist die reinste Produktionshölle.

Oskar: Da laufen die Maschinen 24 Stunden am Tag. Der Vorlauf bei Optimal beträgt momentan zehn Wochen bis zu den Whitelabels und weitere sechs bis sieben bis zur Handelsauflage.

Das impliziert ja eigentlich, dass der ursprüngliche Gedanke „Ich bin DJ/Produzent, ich mach ne Platte, bring sie raus, die wird am Wochenende in den Clubs gespielt, ich drück wem meine Promo in die Hand“ nicht mehr so existiert.

Peter: Das war mal so, 1989.

Was passiert eigentlich, wenn diese eine Maschine bei Optimal, die 24/7 läuft, kaputt geht?

Oskar: Dann wird die repariert.

Peter: Dann kommt der 3D-Drucker und rettet uns.

Lupo: Wir haben das auch schon mal durchgespielt. Aber da ein Laser immer einen Schrittmotor hat, ist das wegen der begrenzten Auflösung leider nicht möglich.

Aber ist die Vinyl-Produktion dadurch tatsächlich gefährdet oder ist das eher ein temporäres Problem?

Oskar: Durch den „Record Store Day“ scheint es sich zwar gerade etwas zu entspannen, aber längerfristig wird es eher so bleiben bzw. sich verschärfen.

Alex: Nochmal zu der Planbarkeit dieser ganzen Releases: Ein Major oder größeres Indielabel kann ganz gut im Voraus planen. Aber viele kleine Labels leben von der Hand in den Mund. Da sind die Produzenten gleichzeitig auch die Labelbetreiber und man braucht auch erstmal vier oder fünf gut laufende Releases, damit du weitere einplanen kannst. Es ist bei kleineren Labels gar nicht möglich, so weit im Voraus zu planen.

Mario: Das war genau das, was ich gerade auch im Kopf hatte. Gerade wird jedes noch so krumme Jubiläum gefeiert, Velvet Undergrounds „White Light White Heat" wird 35 und bekommt dann die große Reissue-Kampagne mit fünf Formaten. Natürlich können wir bei diesen klassischen Katalog-Reissues dementsprechend planen. Das kann ein kleines Techno-Label, das unmittelbarer und spontaner arbeiten muss, gar nicht leisten. Wir als Major leben aber auch nicht nur von klassischen Katalog-Reissues und Releases, sondern wollen und müssen auch neue Platten veröffentlichen. Da haben wir eigentlich genau die gleichen Probleme wie die anderen. Bei einer Newcomer-Band machen wir auch nicht 3.000 bis 5.000, sondern 500 und sind froh, wenn wir die weghaben.

Was für Konsequenzen kann man daraus ziehen, sowohl für kleine Labels als auch den Hype um Re-Issues und Backkataloge?

Mario: Ich glaube, dass die ganz großen Wachstumsschübe der letzten Jahre irgendwann etwas moderater sein werden, auch wenn mein Arbeitgeber gerne rausschreit „40 Prozent Wachstum, Juchhu!“. Ich weiß nicht wann, aber „sky is the limit“ stimmt da halt einfach nicht. Unsere Diskussion hat ja die Ursache, dass das ganze Wachstum letztlich limitiert ist.

Ich glaube, dass sich nur etwas ändern kann, wenn neue Presswerke öffnen, neues Wissen weitergegeben wird. Wenn sich, wie wir es gerade hier diskutieren, etwas aufbrechen lässt und neue Ressourcen geschaffen werden.

Wir haben ja schon paar Paradigmenwechsel angedeutet, von der Digitalisierung, über den Vinyl-Hype und DJs, die digital auflegen, weil es praktischer im Handgepäck ist. Wie schaffen wir wieder Planbarkeit und geben jungen Labels und Künstlern Möglichkeiten? Was sind die Fehler im System? Die Kleinauflage wurde ja schon genannt.

Peter: Es muss zu einer Verschärfung des A&R-Managements kommen. Die Labels müssen sich fragen, ob bestimmte Releases sein müssen, nur weil sich Artist XY seine Unsterblichkeit ins Regal stellen will. Das kann nicht der Ansatz sein. Da müssen die Labels auch mal sagen: „Sorry, das machen wir nicht mit“. Lupo hat auch den ökologischen Aspekt völlig zu Recht angesprochen. Ich kann mich nicht in meinem Veganer-Dasein den ganzen Tag sonnen und diese Aspekte außen vor lassen. Gleichermaßen betrifft das uns als Vertrieb, da müssen wir manchmal sagen: „Das passiert nicht auf Vinyl, das wird keine Relevanz haben. Auch wenn du sagst, mit vierzig Verkäufen bist du zufrieden, erlaube ich dir nicht, nur vierzig zu verkaufen“. Dabei will ich alles andere sein als ein Marktzugangs-Nazi.

Es ist ein absurdes Dilemma, andererseits aber vollkommen notwendig, wenn wir nur zwei Quellen weltweit haben, die uns die Vorproduktion für Vinyl ermöglichen. Es muss eine ernsthafte Auseinandersetzung passieren. Nicht jede Techhouse-12-Inch muss auf Vinyl im Laden stehen. Tut sie ja sowieso nicht.

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Es gab in den letzten Jahren gerade um limitierte Editionen sehr viel Hype. Zum Beispiel hat die „Woman“-EP von Loefah bei Berceuse Heroique zum Release fast 400 Euro gekostet. Da wird ja bei kleinen Labels, ob USA, England, Deutschland, spekuliert wie an der Börse. Ist das richtig?

Peter: Das wird von Discogs, wie auch den Labels befeuert, die bevor die Pressung überhaupt da ist, schon bei Discogs inserieren. Das ist ein Spiel, das völlig außer Kontrolle geraten ist und absurde Formen angenommen hat.

Mario: Es kann bei uns natürlich nicht so kleinteilig zugehen wie bei einem Elektroniklabel. Wir müssen uns aber den Vorwurf gefallen lassen, etwas mehr Sorgfalt walten zu lassen, welche Reissue, welche Veröffentlichung an sich überhaupt sein muss. Selbst manche noch so absurden Re-Releases, zum Beispiel die selbstbetitelte Genesis mit „Mama“ drauf. Die steht wahrscheinlich in jeder Grabbelkiste und da halt auch zu Recht - ohne Genesis was zu wollen -, die gibt es dann für viel Geld mit mittelprächtigem Mastering. Praxis und Realität zeigen aber einfach, dass das auch gekauft wird. Je größer der Bandname, je mehr Fans, desto eher ist da jemand dabei, der sich das Album ins Regal stellen will, neben seinen zwanzig Versionen, die er eh schon hat. Da müssten wir aber auch den „Record Store Day“ ansprechen, mit über 400 verschiedenen Releases weltweit ...

Peter: ... die mittlerweile kaum noch von Indies kommen. Dieses Jahr hatten wir relativ wenig Indielabels mit exklusiven Veröffentlichungen. Weil sie teilweise auch nicht diese Planung haben und nicht zu dieser Verschärfung beitragen wollen. Das ist keine Schuldzuweisung an die Majors, es handelt sich um eine Verlagerung. Man kann nach vier Jahren heute sagen, dass das Ziel, nämlich die unabhängige Händlerstruktur zu stärken, nicht erreicht worden ist. Eher das Gegenteil.

Mario: Es ist ja der „Record Store Day“ und nicht der „Record Label Day“.

Peter: Wer war denn in den Record Stores die letzten Jahre?

Mario: Ich betreue 150 Plattenläden, die alle einen Wahnsinnsumsatz haben und den „Record Store Day“ mittlerweile für wichtiger als Weihnachten erachten. Das will schon was heißen. Auch die notorischen Meckerer und Grummelköppe aus den kleinen Läden konnten sich plötzlich ein kleines bisschen Euphorie entlocken lassen und fanden es im Endeffekt ganz geil. Der blöde Spruch „Wo gehobelt wird, fallen Späne“ stimmt schon. Aber ich sehe es eben nicht so, dass beim „Record Store Day“ größtenteils nur Major-Releases im Laden stehen.

Peter: Das wollte ich so auch nicht sagen. Aber Labels, die die Fahne hochgehalten, auf digitale Einnahmen verzichtet, die dieses Medium ans sich wirklich am Leben gehalten haben, als Vinyl nicht so präsent war, die sind nun die Leidtragenden. Die sind beim „Record Store Day“ so nicht mehr vorzufinden.

Mario: Das mag sein, ich kann das gerade nicht wirklich beurteilen, ob da Labels gerne etwas zum „Record Store Day“ am Start haben würden und es nicht hinkriegen aus finanziellen Gründen.

Peter: Sie machen einfach nicht mehr mit, weil sie wissen, dass durch den „Record Story Day“ die Presswerke ab Februar beinahe ausgelastet werden, sich das über April zuspitzt und bis Juni noch auswirkt. Würden sie mitmachen, wären sie ein Teil dessen. Die Fokussierung auf diesen einen Tag lehnen die meisten ab, da ihre Haltung seit Jahren ist: Record Store Day is anyday.

Mario: Sehe ich genauso. Leider geht der Großteil der Leute nicht jeden Tag in den Plattenladen. Natürlich sind am „Record Store Day“ viele vermeintliche Trittbrettfahrer dabei, die nur einmal im Jahr Platten kaufen und dann meinen, den Plattenladen unterstützt zu haben. Mir ist es aber letztlich egal, warum sie die Platte kaufen, Hauptsache sie kaufen überhaupt Vinyl. Insofern ist der „Record Store Day“ für mich erstmal eine gute Idee, weil er dem Vinyl und den Läden Aufmerksamkeit, eine volle Hütte und hoffentlich Gewinn beschert, was ja nichts Schlechtes ist. Sicher ist vieles verbesserungswürdig, absolut einverstanden. Nichtsdestotrotz ist es ein Angebot, und wenn Labels, Stores oder Käufer daran nicht teilnehmen wollen, wird ja niemand gezwungen.

Peter: Letzten Endes handelt es sich wieder um Special Editions, die am nächsten Tag direkt bei Discogs landen. Wir haben hier ein Spekulationsobjekt geboren, einen kleinen Kunstmarkt an sich, der mit Verknappung und allen schlimmen Marketing- und Limitierungsmaßnahmen einen Mehrwert generiert. Darüber muss man sprechen und da steige ich persönlich aus. Das macht keinen Spaß mehr.

Mario: Das treibt mich selber in den Wahnsinn. Ich bin ja am Ende des Tages selbst blöder Sammler - als Kind scheinbar zu oft fallen gelassen worden - und dreh am „Record Store Day“ bei Titeln auch durch, die ich nicht kriegen kann. Weil ich auch einfach nicht in Nashville wohne, wo Jack White in seinem Third-Man-Store eine Liquid-gefüllte 10-Inch rausbringt, die Kaffee kochen kann. Es werden also Begehrlichkeiten geweckt, die in dem Moment oftmals nicht gestillt werden. Ich sehe aber täglich, dass die Beweggründe für Platten bei den Leuten oft nur noch Preis oder Limitierung sind. Das ist zutiefst besorgniserregend. Es reicht offenbar nicht, dass ein Album gut ist, es muss vor allem limitiert sein. Das ist einfach eine Wendung, die es zu diskutieren gilt.

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Lupo: Das ist mittlerweile systemimmanent. Wir sind sowohl was die Ressourcen, als auch was die weiterführende Produktion in den Presswerken betrifft, am Limit angelangt. Tools wie der „Record Store Day“, die das Marktsegment der Platte eigentlich ganz im Sinne der Plattenläden anheizen sollen, verschärfen die eh schon kritische Situation nur noch weiter. Tatsächlich braucht auf Vinyl, noch viel mehr als auf der digitalen Ebene, nicht jeder - mit Verlaub - Scheiß veröffentlicht werden. Gerade bei einer Platte geht es mir um Limitierungen.

Eine Platte ist für mich wie Fleischessen als Vegetarier. Es ist okay wenn Leute sonntags, meinetwegen auch zweimal die Woche Fleisch essen. Die Platte soll aus ökologischer wie aus ökonomischer Sicht weiterbestehen, sie soll aber auch etwas Besonderes bleiben.

Deswegen finde ich es toll, wenn sich mit Releases etwas Besonderes überlegt wird. Es gibt Kleinstlabels, da ist es okay, wenn nur 100 Stück gepresst werden. Dafür gibt es dann eine wahnsinnig tolle Verpackung, es handelt sich um einen besondern Künstler, einen besonderen Cut. Das ist auch eine Abgrenzung und ein Alleinstellungsmerkmal gegenüber all den vielen Whitelabels, die da draußen sind, aber nicht wirklich da draußen sein müssen.

Peter: Sonntags also nur noch die Relevanz-Fleischkeule, die man sich freitags im Plattenladen kauft?

Lupo: Genau.

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Eine super Idee, wie wir das Problem lösen können: Kleine Labels pressen nur noch Auflagen ab 1.000 und große Labels bringen einfach weniger Genesis-Reissues raus. Ist das eine Lösung?

Alle bis auf Mario und Alex: Deal.
Mario: No deal. Weil wenn das jemand tatsächlich will, ist es nicht meine Aufgabe zu sagen: „Ne kriegste nicht“. Aber klar, theoretisch ist das die Lösung.

Wir wollen ja alle in zehn Jahren noch Platten kaufen.

Alex: Wenn ich an die Labels aus meinem Buch denke, fällt mir das natürlich schwer, da zuzustimmen.
Die Pressung kostet vielleicht 80, 90 Cent, aber in der Summe sind wir dann auch bei 630 Euro. Das ist eine ganz eigene Hausnummer. Ich finde nicht, dass es ein Verbot, eine Regel à la „mindestens 300 Stück“ geben sollte. Wenn Künstler und Labels Liebe, über Monate und Jahre, in krudes, sperriges Zeug investieren, dann sollen sie auch das Recht haben, nur fünfzig Stück zu pressen, wenn sie im Endeffekt nur fünfzig Stück verkaufen können. Die Leidenschaft berechtigt gewissermaßen die geringen Auflagen.

Das war sehr drastisch formuliert. Aber „handle with care“ zum Beispiel könnte das aus der Produktionssicht etwas ventilieren.

Oskar: Ich sehe das bloß nicht passieren, ich sehe immer mehr Labels mit immer kleineren Auflagen. Wer heute 1.000 verkauft, verkauft morgen 500. Dazu kommen die Neulinge auf dem Markt.

Peter: Es gibt tatsächlich eine Mindestmenge, die gepresst werden muss. Die wird zwar erfüllt, aber nicht immer verkauft. Das passiert nicht aus dem Kofferraum heraus.

Abschließend: Was bedeutet dann die Schallplatte heute überhaupt? Sie wird wegen des Aussehens gekauft, meinetwegen auch von Urban-Outfitters-Kunden. Die DJs hingegen kaufen weniger. Vinyl scheint nicht mehr das direkte, zeitnahe Medium für den Club zu sein.

Peter: Es gibt noch solche DJs wie Gerd Janson oder Zip, die aber tatsächlich Relevanz und DJ-Verständnis haben. Das wäre abseits der Schallplatte auch gar nicht möglich. Den Clubbetrieb der 90er gibt es aber so nicht mehr. Bloß eine wahnsinnig gute, große Riege von DJs, die noch Vinyl spielen und darum auch die spannenderen Sets abliefern. Ich habe Probleme, das auszuklammern, weil das denen auch nicht gerecht wird. Die Veränderungen des Clubbetriebs hin zur Techhouse-Hölle, die man um Mitternacht betritt und besoffen um fünf verlässt, hat für mich keine wirkliche Relevanz. Wenn Leute mit Musik umgehen können, Leidenschaft und Liebe investieren, dann haben die auch ein Verständnis, das über Jahre gewachsen ist. Die werden davon nicht nicht ablassen.

Verständnis erwirbt man sich durch Erfahrungen, durch ein organisch wachsendes Netzwerk. Das ist doch auch eine vernünftige Idee: Ein liebevolles Verhältnis zur Medien- wie auch zur Clublandschaft.

Mario: Wir müssen allerdings auch über Geduld reden. Was die Rezeption betrifft, hat sich heute alles beschleunigt. Amazon Prime liefert alles blitzschnell nach Hause, die Schallplatte kann das aber nicht. Es braucht eine andere Erwartungshaltung vom Konsumenten und einen gewissen Filter vom Plattenverkäufer. Würde weniger Quatsch beim „Record Store Day“ gekauft, würde der weniger produziert.

Lupo: Klar, die Platte ist ein Modeprodukt. Man denke an Urban Outfitters und teure Plattenspieler, die nicht besser sind, aber gut aussehen. Die Rezeption von Musik auf Schallplatte ist aber für mich die Art schlechthin, Musik zu hören und kein Hintergrundgedudel.
Jeder kennt die Situation, dass man eine Platte wegen eines gewissen Titels kauft, der A1 oder der A4. Dann hört man sie den Monat lang und findet irgendwann die A1 oder A4 eher blöd, weil die A2 eigentlich viel besser ist. Sowas entdeckt man bei Digitalmedien gar nicht, alles besteht aus Playlists.

Das Besondere der Platte beginnt schon beim Kauf: Man zieht sie im Laden aus dem Cover und sieht anhand der Rillen: Sie ist abwechslungsreich, sie ist repetitiv, da laut, da leise. All das ist wunderbar, diese Haptik dabei.

Mario: Die Schallplatte ist für mich das schönste Medium um Musik zu hören. Ich glaube auch, dass all dem eine gewisse Nostalgie zu Grunde liegt. Die Welt – wie sie ist – weckt eine Sehnsucht nach Nostalgie. Ob alte Spielkonsolen, alte Modelle von Turnschuhen, Bücher VHS-Kassetten: Plötzlich denke ich, warum habe ich das damals alles verkauft? Eine Zeit lang waren vielen die Vorteile einer Schallplatte auch gar nicht so bewusst: das Klappcover, farbiges Vinyl, Edging usw.

Lupo: Bei meinen letzten Besuchen im Presswerk bin ich durch die Reihen von Pressmaschinen gegangen. Da liefen auf zehn Maschinen Reihen von Reissues. Nur auf zweien liefen aktuelle Sachen. Nebenan bei den Picturediscs lief eine David Bowie. Das wirft die Frage auf, welche Generationen das alles kaufen: Vielen, die in den 80ern ihre Platten nach und nach für CDs verkauft haben, fehlen ihre Schallplatten jetzt und die möchten die nochmal kaufen. Zwischendurch hat die DJ-Szene die Platte am Leben gehalten. Mittlerweile gibt's die neue Generation, die mit Vinyl nie einen Berührungspunkt hatte, die Platte durch das Auflegen schätzt und jetzt sogar selber eine machen will.

Platten zu kaufen ist also auch zu erlernen, sie zu entdecken und in den Secondhand Store zu gehen, anstatt bei Amazon zu kaufen.

Alex: Aus meinem Buch habe ich zur Frage der Bedeutung von Vinyl noch ein Zitat von Alex Neuschulz von Kann Records:

Vinyl ist einfach die schönste Art, Musik zu konsumieren und zudem das perfekte Format. Größe, Haptik und Sound sind einfach der Hammer und mit nichts vergleichbar. Man packt eine runde Scheibe aus, legt sie auf einen Teller, der sich dreht und es kommt Musik raus. Ich wüsste nicht, was man in Sachen Musikwiedergabe noch besser machen könnte.

Markus, du betreibst den Plattenladen „OYE“ im Prenzlaue Berg und neuerdings gibt es auch einen Laden in Kreuzkölln. Wie hast du den Hype mitbekommen, schwimmst du mittlerweile nicht im Geld?

Markus: Die Aufmerksamkeit, neue Kunden, neue Labels, viele neue und alte Musik, die rauskommt – das ist schon schön. Grundsätzlich ist es die geilste Zeit für Vinyl im Moment. Von den Klassikern bleibt eigentlich nur das Beste übrig, ob alte Funk-, Soul- und Jazzsachen. Der Secondhand-Markt ist da ein ganz großer Bereich, aber wird kaum in den Statistiken erfasst. Da werden unglaubliche Preise erzielt und ich glaube vor allem die junge Generation ist sehr dahinter, solche Klassiker wieder zu entdecken. Vinyl ist nach wie vor die Königsdisziplin fürs Musikhören.

Andererseits bedeuten die vielen neuen Labels mit ihren viele Kleinauflagen für uns viel Aufwand. Als ich 2007 einstieg, war man an der Talsohle angelangt, was Vinyl betrifft. Leute meinten zu mir: „Was, wieso verschwendest du dein Geld, bist du so bescheuert?“ Ich habe aber immer daran geglaubt. Und Schritt für Schritt hat sich der Erfolg dann eingestellt. Mehr Umsatz bedeutet allerdings auch mehr Arbeitszeit, mehr Arbeitnehmer. Was am Ende des Tages übrig bleibt, ist dann wieder eine ganz andere Frage. Die Gewinnspanne ist da sehr gering.

Was ganz besonders ist, sind die junge Leute, die heute schon ab fünfzehn, sechzehn kaufen. Auch unsere Mitarbeiter sind etwa zwanzig, werden DJs, Produzenten, touren um die Welt. Es ist schön zu sehen, wie die Entwicklung voranschreitet. Vinyl ist auch eine Abgrenzungsmöglichkeit für den Künstler, auch das DJing. Er ist immer spannender als andere, die digital auflegen. Es gibt vielmehr Wellenform und eine andere Story. Und er hat sich auch vorher intensiver vorbereitet, er hat schließlich keine fünf Gigabyte dabei.

Auch was den ersten „Record Store Day“ anbelangt, könnte ich stundenlang erzählen. Den haben wir übrigens hier in Berlin selber organisiert, da gab's das in Deutschland noch gar nicht, das haben uns dann die aus Amerika verboten, weil die das selber machen wollten. Generell finde ich die Entwicklung schade, die die Majors anstreben. 80% von deren Releases braucht kein Mensch.

Mario: Dann kauf sie nicht.

Markus: Aber natürlich wird es gekauft. Und wir wollen Musik verkaufen, die wir toll finden und sehen uns auch in einer Filterfunktion. Ein Mensch kommt bei uns in den Laden und konzentriert sich zwei Stunden auf die Musik. Unsere Verantwortung ist zu sagen, das finden wir gut, das finden wir nicht gut. Wir verkaufen auch Sachen, die ich nicht so toll finde, aber eine gewisse Filterfunktion sollte doch schon da sein. Und beim „Record Store Day“ haben wir nur die Filterfunktion, dass wir sagen: Das bestellen wir oder das bestellen wir nicht. Aber es fragt uns keiner vorher: Wie sieht's denn bei euch aus, was würdet ihr denn gerne mal wieder anbieten? Wir haben ja diesen direkten Kundenkontakt, den hat ja kein Vertrieb und kein Label. Wir haben mit Stammkunden über die Jahre ein Wissen angesammelt. Beim „Record Store Day“ bleiben die weg.

Mario: Wollt ihr gefragt werden, habt ihr mal geredet mit meiner Kollegin?

Markus: Ich hab sie ja die letzten Jahre immer angerufen und mich tierisch aufgeregt.

Mario: Und was hat sie gesagt?

Markus: Jaja, das sei echt ne gute Idee. Ich hab ja auch die Organisatoren angerufen und gefragt: „Habt ihr einen Vogel?“ Natürlich hast du einen Megaumsatz am Tag. Aber wenn ich am Ende sehe, wie viel Kohle ich reingesteckt habe für Releases, die immer noch bei mir rumstehen ...

Eine Aha-Single zum Beispiel, Picturedisk von „Take on me“. Da ruft eine Woche später Mandy an und fragt: „Habt ihr noch diese Aha-Single?“ Dann kommt Mandy vorbei und freut sich und ich denke: Gut die sehe ich a) nie wieder und b) habe ich das nicht nötig. Das hat nichts mit Arroganz zu tun, ich möchte zu meinen Kunden eine Beziehung aufbauen, es geht ja um eine gewisse Entschleunigung. Es ist mir lieber, ein Kunde kommt rein, entdeckt was Schönes und dann bauen wir eine Beziehung auf, es entsteht Vertrauen und er kommt in zehn, fünfzehn Jahren wieder. So verdiene ich auch mehr als an Mandy, die einmal die Aha-Single kauft und dann nie wieder kommt.

Mario: „Der Record Store Day“ könnte durchaus noch etwas Feinschliff vertragen. Ich hoffe aber, dass jüngere Vinyl-Generationen auch in Zukunft nachwachsen. Ein One-Direction-Album, das ich selbst nie zum „Record Store Day“ in den Plattenladen gestellt hätte, wurde dann der erste Schallplattenkauf eines Mädchens, das mit ihrem Vater in den Laden kam. Wenn die zwei, drei Freundinnen davon erzählt, hat sowas für mich seine Berechtigung. Über den Nachwuchs und die Preispolitik, auch von uns, muss man aber reden.

Markus: Wir haben zum Beispiel mit circa 14.000 Platten eine richtig geile Größe. Und mehr brauchst du eigentlich gar nicht, genau wie rund 70 Prozent der neuen Releases. Diese Filterfunktion muss man aber auch vielleicht früher ansetzen, beim Vertrieb, beim Label. Wenn irgendwelche DJs merken, Vinyl ist wieder angesagt und starten ein Label, obwohl sie bisher nur digital aufgelegt haben, denke ich: Du hast von dem Medium eigentlich gar keine Ahnung, also lass es lieber sein. Ich betreue mittlerweile 19 bzw. 20 Labels, die drei Inhouse-Labels manage ich selber und den anderen helfe ich bei den Pressungen, Mastering etc. Ich habe also die völlige Kontrolle und verdiene auch mehr daran. Ich habe über die Jahre einfach ein Gefühl entwickelt für das, was gerade angesagt ist. Ich bin selber DJ und mache selber Musik, es gibt dann die Partys und Instockings, die man mit der Clubkultur zusammen organisiert. Somit kann man natürlich auch eine Atmosphäre kreieren und regelt das ganze Programm über den Plattenladen. Das ist einfach eine schöne Chance.

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