Gegen den MainstreamIn München ist ein großer Kampf um die Subkulturen entfacht

München Gegen den Mainstream alt start

Oktoberfest, Bayern München, BMW, Horst Seehofer und ganz viel Schischi. Das ist das Bild, das viele von München haben. Vor wenigen Wochen hat der Münchener Musiker und Labelbetreiber Sebastian Schnitzenbaumer eine große Debatte losgetreten, als er androhte, die Stadt wegen ihres für Künstler und Musiker rufschädigenden Images zu verklagen. Ein polemischer, wütender Scherz, der dazu geführt hat, dass die existentielle Notwendigkeit von kreativen Freiräumen und Infrastrukturen für die Subkulturen der Stadt in breitem Maß diskutiert wird. Selbst Medien wie Süddeutsche, BR und Deutschlandfunk haben das Thema aufgegriffen und berichteten.

Seitdem bewegt sich was in der bayrischen Hauptstadt. In der Favorit Bar findet wöchentlich die Diskussionsveranstaltung „Monokultur“ statt. Immer gut besucht und mit viel Gesprächsbedarf. Denn allen Protagonisten ist klar – Wenn das so weiter geht, ist München bald am Ende. Mehr Gentrifizierung und Verdrängung verträgt die Stadt nicht. Wir sprachen mit Sebastian Schnitzenbaumer über diese einmalige Situation und die Stimmung in der Stadt. Was von den Protagonisten wirklich gewollt wird, worin die eigentlichen Probleme liegen und wieso „Mia san mia“ eine Sackgasse ist.

Was ist gerade in München los?
Seit einigen Wochen wird hier eine hitzige Debatte geführt. Die Sache ist die: Seit langem gibt es hier diese vorherrschende neoliberale Einstellung. Uns geht es doch gut, was wollt ihr überhaupt? Eine Mainstream-Haltung, die alles tot gebügelt hat. Es gibt hier natürlich eine Szene. Die gibt es lange, die ist aber auch sehr klein. Irgendwann kam mir daher die Idee, zu behaupten: Das Image der Stadt ist so beschissen, dass man es als Künstler und Musiker mit geschäftsschädigenden Vorurteilen zu tun bekommt. Also wollte ich die Stadt München verklagen. Das war ein Scherz, es war humorvoll gemeint. Dann kam aber diese Debatte auf. Da hat sich ein riesiges Spannungsfeld aufgetan. Es gab viel Feedback von den Medien und auf Facebook wurde durchgängig darüber diskutiert. Daraufhin haben wir eine Veranstaltung organisiert: Lass uns über Subkultur reden. Der Laden war voll. Es kamen krasse Meinungen zu Tage und plötzlich ist das ein Thema in der Stadt. Sowas ist neu. Man kann sagen, dass seit langer Zeit in München erstmalig wieder ein Bewusstsein dafür herrscht, dass in der Stadt etwas fundamental schief läuft. Die Münchener haben lange so getan, als ob alles cool wäre. Man spürt nun aber eine Verunsicherung in der breiten Bevölkerung. Man fragt sich, ob das viele Geld, sunny happy people, Wiesn, wirklich ausschließlich die Dinge sind, für die die Stadt stehen will.

Ich habe München eine Zeit lang oft besucht und ich muss sagen: Ich war positiv enttäuscht. Ich fand die Leute und die Stadt viel besser als ihr Ruf.
Das ist der Punkt. Ich habe nicht gesagt, die Stadt ist scheiße, sondern das Image. München hat durchaus was zu bieten, hat viele interessante Leute. Im subkulturellen Bereich passieren hin und wieder spannende Sachen. Aber alleine zu behaupten, das Image sei scheiße und mache die Subkulturen kaputt, hat offenbar einen Nerv getroffen. Das ist das Spannende daran. Klar kommen Leute, die sagen: „Das Image ist doch gut.“ Aber dann springen zehn andere auf und behaupten: „Spinnst du? Das Image ist super beschissen!“ Wenn ich in Köln oder Hamburg bin, ist irgendwie nur die Rede von Oktoberfest, FC Bayern und CSU. Mittlerweile ist es hier doch so, dass die Subkulturen komplett in den Underground gerückt sind.

Wer ist bei dieser Debatte dabei? Wer sind die Unterstützer? Gibt es so etwas wie einen Konsens, um den es geht?
Das ist ein Zusammenschluss von Leute aus sehr vielen Bereichen. Da wäre zum Beispiel Holger Dreissig, der viel am Theater macht. Wir haben Autoren, Musiker, Journalisten, Künstler. Es geht um verschiedene Aspekte. Das Image zum einen, dass es nicht nur um das wirtschaftlich-positive FC-Bayern-Ding geht. Denn wir sind halt nicht Hamburg. Es gibt keine große alternative Szene. Wenn die Stadt aber anfangen würde, das Bild wieder zurecht zu rücken, zu zeigen, dass es hier nicht nur um das Eine geht, würde das helfen. Die andere Sache, die noch wichtiger ist, betrifft fehlende Freiräume. Die letzten zehn Jahre ist die Stadt um 200.000 Leute gewachsen. Die Stadt verdichtet sich extrem. Die Wirtschaft wächst, aber Wohnraum wird immer teurer und knapper. Alles, was mal an Räumen da gewesen ist, ist verschwunden. Freie Kinos, kleine Veranstaltungsorte – da laufen viele auf Anschlag. Zwar macht die Politik mittlerweile Zugeständnisse, aber es passiert nichts richtiges. Stattdessen wird ein Kunst- und Gründerzentrum für viel Geld gebaut, um Künstler dort in einem neoliberalen Verkaufskontext zu präsentieren. Das fühlt sich komisch an. Man bekommt das Gefühl, Künstler werden hier als Bedürftige betrachtet. Wenn es genug Freiräume gäbe, dann bräuchte es auch diese ganze verkopfte Struktur nicht. Denn wenn sich Künstler für diese Räume bewerben, dann müssen sie gut sein, ästhetischen Vorstellungen von Politikern entsprechen, wirtschaftlich und vermarktbar sein – ein Konstrukt, das mit Kunst nichts zu tun hat. Es geht an allem vorbei, was relevant ist. In einem Punkt sind sich die allermeisten einig: Die Aufgabe der Politik sollte sein, entweder bedingungslos Gelder für Subkultur zur Verfügung zu stellen oder eben Räume.

München Gegen den Mainstream Sebastian Schnitzenbaumer

Sebastian Schnitzenbaumer ist Musiker und Labelbetreiber aus München. Als Belp produziert er elektronische Musik. Bei Schamoni Film veröffentlicht er Musik und verwaltet den filmischen und kreativen Nachlass seines bekannten Vaters, den Regisseur Peter Schamoni, und seiner ebenfalls im Film tätigen Brüder.

Dass München teuer ist, was die Mieten anbetrifft und der Platz knapp, ist kein Geheimnis. Aber inwiefern hat die Stadt eurer Meinung nach eine subkulturelle Verantwortung? Anders, will ein Punk überhaupt in einer subventionierten Location abhängen?
Das geht natürlich nicht. Das größte Problem ist die Erosion. Viele wichtige Orte sind schon verschwunden, wurden rausgeklagt, gentrifiziert. Allein den Bestand zu schützen, wäre schon eine wichtige Sache. Diese Erosion wird ja keineswegs von der Stadt aufgehalten, und da fängt die Sache an. Wir halten nicht die Hand auf und wollen was Neues. Wir wären einfach gerne dort geblieben, wo wir zuvor schon 20 Jahre lang gewesen sind.

Gibt es Beispiele?
Das ganze Domagk-Gelände wurde nachverdichtet. Ein ehemals großes Areal mit einem Atelierhaus. Dort wird immer mehr Platz weggenommen. Das Backstage ist gefährdet, war und ist aber immer noch ein Szenetreff. Dort wurde das ganze Areal mit Wohnungen zugebaut. Und jetzt beschweren sich die neuen Anwohner über den Lärm. Da wird eine Luxusimmobilie gekauft und die Punker sind denen einen Dorn im Auge. Die Sache ist ja, die müssen dann auch wirklich gehen. Viele machen zu, aber nichts Neues passiert. So wird die Sache immer prekärer. Deshalb wird Alarm geschlagen. Und viele stellen plötzlich fest: Stimmt, das wollen wir doch alle nicht.

Es gibt ein falsches Kunstverständnis in der Stadt?
Wenn die Stadt über Kunst spricht, dann geht es immer um die Exzellenznummer. Aber es muss doch Kunst in einer Stadt geben, die nicht gleich einem Verwertungszwang unterliegt. Die Geschichte in großen Städten hat eines immer gezeigt. Erst kommt die Kunst, dann kommen die Leute, dann kommt die Wirtschaft. Aber hier schien dieses Bewusstsein total vergessen worden zu sein. Stattdessen denkt man: Wir haben sehr viel Geld, lass uns doch ein bisschen in Kunst als Zierde investieren. Hier gönnt man sich Kunst als Luxus. Aber wir sagen jetzt: Wir wollen das genau anders herum. In erster Linie eine spannende Gesellschaft, ein spannendes Umfeld und Subkulturen. Berlin hat das ja exzellent vorgemacht.

München Gegen den Mainstream Favorit Bar

Die Luft wird dünn. Die Favorit Bar in München. Foto: Alina Kroos, entnommen dem Stadtbuch Alternativ Unterwegs.

In den 60ern gab es in Schwabing viel Krawalle zwischen Jugendlichen und Polizisten. Um die Flora in Hamburg wurde auch handfest gekämpft. Ich habe nicht den Eindruck, dass ihr diese Form des Protests für euch gewählt habt.
Die Monokultur-Veranstaltungsreihe geht noch bis Dezember und wir überlegen noch, wie und womit wir da enden. Eine Möglichkeit ist ein Manifest mit Forderungen. Ein juristischer Weg, wie bei der Klage damals angedacht, wäre auch eine Option. Denn trotz des Scherzes haben wir herausgefunden, dass es sogar reale juristische Möglichkeiten gibt. Der Diskurs aber ist mir besonders wichtig. Die Leute sind erregt, haben wirklich was zu sagen. Viele spüren ein Demokratiedefizit und wollen den Prozess mit gestalten.

Ihr beklagt aber auch die Abwanderung von vielen Künstlern und Musikern.
Richtig.

Viele ziehen nach Berlin?
Absolut.

Aber was berichten diejenigen über ihre Erfahrungen? Ist Berlin im Vergleich so viel besser?
Teils, teils. Es ist auch nicht so, dass Künstler nach einiger Zeit wiederkommen und es heißt, derjenige hätte es nicht gepackt, weil er nicht gut genug ist. Es gibt aber Leute die sagen, dass sie in München bleiben würden, vorausgesetzt die Rahmenbedingungen wären ein bisschen besser und nicht so fatal wie jetzt. Ich kenne Leute, die kommen nach fünf bis zehn Jahren zurück. Sie sind mit guter Energie aufgeladen, wollen was reißen, aber denen kann man nichts bieten. Keine Räume, Spielstätten, es gibt keine Infrastruktur. Die sind dann völlig ausgebremst und wundern sich, dass gerade so wenig passiert. Das hätten sie auch nicht gedacht. Damals, als sie abgehauen sind, sei es doch gar nicht so schlimm gewesen, heißt es dann. Ich sag es noch mal. In den letzten Jahren sind 200.000 Menschen durch das Wirtschaftswachstum hinzugezogen. Hier wird gerade eine Satellitenstadt nach der anderen mit Wohnhäusern angebaut und die Stadt übersieht, wenigstens eine Bar mit zu planen. Dort gibt es nur Wohnungen und sonst nichts! Das kann man doch in Deutschland besser. Wenn ich schon eine Stadt plane und ausbaue, dann brauche ich ein Kino, vielleicht Proberäume. Aber in dieser Sackgasse befinden wir uns gerade. Das gehen wir an, auch weil wir so viel Zuspruch bekommen.

München gegen den Mainstream Flo*

Temporäre, spontane Locations sind selten geworden in München. Hier sieht man den Laden Flo* in Pasing, der dieses Jahr kurz existierte, aber schon wieder Geschichte ist.

Wenn es weiter so geht, ist München endgültig am Arsch?
Ganz genau!

Gentrifizierung und Mainstreamisierung sind ja erstmal kein exklusives Münchener Problem. In Berlin, London, Amsterdam und Paris ist es nicht anders. Aber vielleicht ist unsere Vorstellung von Subkultur/linker Kultur auch romantisiert und veraltet. Wie müsste man so etwas zukunftsorientiert angehen?
In München sind wir, was die Prozesse anbetrifft, einfach schon sehr fortgeschritten. Viele führen bereits ein Doppelleben. Teils haben sie drei Jobs, arbeiten in einer großen Firma, nebenbei in einem Café oder beim Bayrischen Rundfunk oder einer Werbeagentur, sind aber im Kopf weiterhin radikalisiert und machen in der restlichen Zeit Kunst, Texte oder Musik. Subkultur ist hier eher eine geistige Welt geworden. Eine Kultur, die aus den Subkulturen aus aller Welt durch das Internet darstellbar ist. Die gibt es online, aber nicht real. Die Frage ist: Wie hoch ist die Diskrepanz? In Hamburg, Berlin oder meinetwegen auch Köln, gibt es Momente, in denen man diese Subkultur ausleben kann – ein Konzert, eine Veranstaltung. In München findet das immer weniger statt. Die Favorit Bar ist einer der wenigen Orte, wo so etwas Freies überhaupt noch stattfinden kann. Die meisten haben sich damit arrangiert. Es gibt die Marktwirtschaft, da bleibt keine Alternative. Es gibt zum Beispiel Autoren, die tagsüber beim Rundfunk arbeiten, aber eigentlich Bücher schreiben wollen. Und genau von diesen Leuten, die in Redaktionen arbeiten, bekommen wir gerade viel Zuspruch. Bislang durfte man so etwas in den Medien doch überhaupt nicht darstellen.

Wieso nicht?
Weil der monopolisierte Mainstream auf die Optimierung von Wirtschaftsleistung geeicht ist. Es wird darauf geachtet, dass die Stadt als Wirtschaftsstandort weiterhin so auf Lukrativität und Wirtschaftskraft vermarktet wird wie gehabt. Wenn man Verantwortliche darauf anspricht, dass wir zur Zeit enorm an Relevanz verlieren, dann wird aggressiv reagiert. Da wird nicht nur dementiert, sondern es werden auch unter der Gürtellinie Totschlagargumente ausgeteilt. Da herrscht ein enormer Druck, dass ja alles so bleibt. Einigen macht der aktuelle Druck durch die mediale Berichterstattung Angst. Es hat sich eine Art Schweigekartell gebildet. 20 Jahre lang wurden jegliche Diskussion dieser Art unterdrückt. Jetzt ändert sich das aber, es bildet sich eine breite Bewegung, und allmählich wird uns klar: Es gibt eine Menge Leute, die wollen das nicht. Wir sind ja überhaupt nicht wirtschaftsfeindlich. Wir verweisen auf IWF-Studien, auf Richard Florida, auf Leute die sagen, dass Neoliberalismus langfristig nicht wirtschaftsfördernd sein kann, wenn Subkultur und Kunst auf der Strecke bleiben. Wir brauchen eine diverse und kulturell spannende Gesellschaft. Die meisten Menschen wollen doch in eine Stadt ziehen, in der es eine spannende Kultur gibt. Wir sind keine linken Punker, die den Kapitalismus zerstören und durch Anarchie ersetzen wollen. Wir wollen, dass der Standort München als drittgrößte Metropole in Deutschland in 20 Jahren überhaupt noch existiert. Und dass wir nicht nicht wie Stuttgart enden. Eine Stadt, die mittlerweile nichts weiteres ist, als eine durch Firmen wie Porsche und Daimler definierte Schlaf- und Arbeitsstadt.

In München werden voraussichtlich aber weder die Mieten radikal fallen, noch dadurch junge Künstler aus aller Welt angezogen.
Auf gar keinen Fall. Aber man muss das Bewusstsein dafür schaffen, wie notwendig eine diverse Kultur für eine Stadt ist. Wenn diese Logik in den Köpfen der Leute hier ankommt, dann ist schon eine Menge bewegt.

Diskussionsbedarf. Ein Videozusammenschnitt von der Monokultur-Veranstaltung in der Münchener Favorit Bar am 12. Oktober 2016.

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Mehr über Monokultur:
Monokultur.org

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