„Es reicht nicht mehr, nur gute Musik zu machen“Label-Porträt: 10 Jahre Monkeytown
14.6.2019 • Sounds – Interview: Matti Hummelsiep, Fotos: Leonie SchollZehn Jahre Monkeytown. Zehn Jahre Label-Arbeit rund um das kreative Schaffen von Gernot Bronsert und Sebastian Szary aka Modeselektor. Dabei hat sich ein ganz besonderer musikalischer Kosmos entwickelt – eine wichtige Stimme im Dickicht der elektronischen Musik. Aber wie funktioniert das eigentlich? So ein Label hinzustellen, profitabel zu betreiben und sich dabei das ravende Herz am richtigen Fleck zu bewahren? Matthias Hummelsiep hat sich mit zwei der Protagonisten getroffen, die hinter den Kulissen die entscheidenden Strippen ziehen und im Blick haben. Mit Marit Posch, Volljuristin und klassisch studierte Sängerin, die über ihre ehemaligen WG-Mitbewohner Gernot und Szary zum Techno kam, bei BPitch Control erste Label-Luft roch und heute Label-Managerin von Monkeytown Records ist. Und mit Raymond Merkel, Geschäftsführer der Monkeytown Music GmbH, der Gernot seit der Kindheit kennt, Partner des Vertrauens für Modeselektor, studierter Saxophonist ist. Im Gespräch erzählen Marit und Raymond wie es zu Monkeytown überhaupt kam, wie der digitale Musikkonsum die Label-Arbeit verändert, die signifikanten Wesensunterschiede zu Majors und warum Labels auch 2019 immer noch wichtig sind.
Wie lief das am Anfang genau ab bei euch?
Raymond Merkel: Modeselektor wurden immer größer, und es entstand der Wunsch, alle Aufgaben und Probleme an einen Tisch zu bekommen. Am Beispiel von Modeselektor haben wir dann Schritt für Schritt alle Geschäftsbereiche und Aufgaben professionalisiert. Vom Booking, über Fragen zu Verlagsrechten, einen weltweiten Vertrieb, bis zur Zusammenarbeit mit PR-Agenturen. Die Probleme waren manchmal sehr profan: Wir wollten den Merchandise nicht nur auf Tour verkaufen, sondern auch online. Wir brauchten also Regale und eine Datenbank.
Marit Posch: Das war der ausschlaggebende Grund. Das Label war erstmal zweitrangig.
Raymond: Das Label war ein ganz persönliches Anliegen von Gernot und Szary. Die beiden wollten eine Plattform für die Musik von Siriusmo.
Marit: Und dann sind Modeselektor von BPitch Control zu uns gewechselt. Die erste „Modeselektion“ war dann ein richtiger Versuchsballon, ob das mit einem Label überhaupt klappt.
Raymond: Wir fühlten uns irgendwann schlagkräftig genug, um die Erfolgsgeschichte von Modeselektor selbstbestimmt weiter stricken zu können, veröffentlichten ihr drittes Album „Monkeytown“ und die nächsten beiden Alben von Moderat.
Habt ihr euch das alles selbst beigebracht?
Raymond: Vor „III“ von Moderat haben wir uns selbstkritisch gefragt: Was können wir eigentlich? Sollten wir das Projekt mit einem Major zusammen machen? Und was sind die Vorzüge, wenn wir das selbst machen? Wo liegen unsere Stärken und unsere Schwächen?
Marit: Wir hatten ja fast zeitgleich mit dem Label „50 Weapons“ angefangen – und da lief vieles per Handschlag, so nach dem Motto: Die Typen aus Glasgow kennen wir ja schon ewig, machen wir’s über die. Irgendwann haben aber wir gemerkt, so geht das nicht gut – wir müssen es anders machen.
Raymond: Eine Konsequenz daraus war, dass uns eine Berliner Agentur in Strategie- und Marketingfragen beraten hat. Klar, man kann sowas auch lernen und das ist gut so, aber solches Wissen hat eine begrenzte Halbwertszeit. Durch die ständigen Veränderungsprozesse im digitalen Bereich ändern sich auch die Aufgabenstellungen regelmäßig.
Wie haben sich die Modeselektoren verändert über die Jahre?Irgendwelche Allüren?
(Beide lachen)
Die Frage habe ich mir extra aufgeschrieben.
Marit: Natürlich. Nächste Frage?
Raymond: Wir sind noch genauso gut wie früher befreundet.
Marit: Das stimmt wirklich.
Raymond: Klar gibt es ein paar Allüren, die nerven. Aber, um ernsthaft zu antworten, die Basis ist da, um über ernsthafte Probleme sprechen zu können. Als Geschäftsführer ist es auch meine Aufgabe, ehrlich zu sein. Wenn das irgendwann nicht mehr möglich ist, kann man wirklich aufhören.
Wer fällt die Entscheidung bei einem neuen Künstler: Modeselektor alleine? Oder ihr vier gemeinsam?
Raymond: Gernot und Szary treffen mehr die künstlerisch-inhaltlichen Entscheidungen. Marit und ich mehr die strategisch-technischen. Obwohl ich ein künstlerisches Auge auch für uns in Anspruch nehmen würde.
Marit: Das wird auch gehört, aber künstlerische Entscheidungen treffen am Ende Gernot und Szary. Wenn wir beide jedoch ein starkes Veto einlegen, würden sie zumindest nochmal überlegen.
Die musikalische Farbe von Monkeytown war für mich von Anfang an ein Gegenentwurf zum Minimal Techno in Berlin.
Marit: Für uns ist es wie ein Gemischtwarenladen. Es geht um Musik, die uns gefällt, Genres sind uns egal. Es geht aber auch um die Künstlerpersönlichkeiten dahinter, da du ja ein Gesamtpaket verkaufst. Es reicht einfach nicht mehr, nur gute Musik zu machen.
Erzählt mir von der Struktur des Labels. Wer macht was?
Marit: Ich bin die Label-Managerin, Maria macht die PR – den Verlag betreuen wir gemeinsam. Marie ist Office Managerin und die Assistentin von Raymond, der die Finanzen im Auge hat. Dann haben wir noch eine Buchhalterin und eine Stelle für den Webshop, die aber nur halbtags kommen.
Raymond: Wenn ich mich nicht verzählt habe, sind wir acht Leute.
Marit: Wir bieten ja praktisch alles an. Es ist aber nicht so, dass nicht alle Künstler*innen auf dem Label auch zwangsläufig beim Verlag sind oder beim Booking. Andersrum sind nicht alle, die beim Verlag sind, auch beim Label.
Raymond: Man zieht, heute mehr denn je, an vielen Bändern, um die Karriere der Künstler*innen in Bewegung zu bringen. Wir könnten schwerlich nur von Streaming-Erlösen leben, die Musikerinnen und Musiker auch nicht. Es ist sinnvoller, wenn man gemeinsam an allen Karriere- und Wertschöpfungsbausteinen arbeitet, das Vorgehen vernetzt und letztlich an den unterschiedlichen Paybacks auch gemeinsam partizipiert.
Haben sich die Aufgaben über die Zeit signifikant geändert?
„Streaming generiert langfristige Erlöse. Und man braucht kein größeres Lager.“
Raymond: Streaming-Portale sind geschäftlich ein ziemlich einschneidendes Ding. Der Nachteil ist, dass das Geld viel langsamer als früher strömt. Ein Problem ist auch, dass sich mit bestimmter Nischenmusik viel schwieriger schwarze Zahlen schreiben lassen, als z.B. mit einem Album von Moderat. Andererseits generiert das Streaming längerfristige Erlöse. Vorteil ist auch, dass man kein größeres Lager braucht. Beim Streaming gibt es grundsätzlich ganz viele Chancen, es ist wie ein smartes Radio, und man kann Neues einfacher entdecken als früher.
Verdient ihr mittlerweile mehr über die Streams, als über physische Plattenverkäufe?
Marit: Generell schon. Aber wir sind in der glücklichen Lage, dass es sich bei großen Releases fast noch zu 50 % die Waage hält. Bei Seilscheibenpfeiler ist es hingegen so, dass mehr Gewinn über Vinyl reinkommt – die Releases werden weniger gestreamt. Dann siehst du bei der Auswertung eine Aufteilung des Profits von 70 % durch physische Tonträger zu 30 % digital. Normalerweise ist es genau umgekehrt.
Raymond: Um das gleiche Geld einzunehmen, was man beim Verkauf einer CD- oder einer Platte bekommt, braucht man ungefähr 2.000 Streams. Bei Alben mit Special-Interest-Charakter ist es schwer, auf diese Zahlen zu kommen. Wir denken uns daher bei physischen Produkten gerne etwas Schönes aus – limitierte Sammlerstücke zum Beispiel.
Wie setzen sich die anderen Einnahmequellen zusammen?
Raymond: Das Label steuert ca. die Hälfte unseres Umsatzes bei. Die andere Hälfte kommt durch Management, Webshop, Publishing rein.
Sind Modeselektor und Moderat so erfolgreich, dass ihr es euch leisten könnt, Künstler zu fördern, die nicht das große Geld abwerfen?
Raymond: Absolut. Unser Backkatalog, mit Modeselektor, Moderat und 50 Weapons ist ein wichtiges Rückgrat für uns, um Miete, Personalkosten zu decken und Kapital für Projekte zu haben. Für Modeselektor machen wir z.B. auch das Management und sind Tourneeveranstalter. Dadurch nehmen wir zusätzliche Gelder ein. Bei manchen Releases wollen wir einfach die coole Musik im Katalog haben, obwohl die Kosten höher als die Einnahmen sind.
Was verdienen Künstler*innen bei euch?
Marit: Kosten und Profit werden zu gleichen Teilen geteilt.
Gab es mal jemanden, den ihr aufgrund eines Demos gesigned habt?
Marit: Das war nur bei FJAAK der Fall.
Müsst ihr, im Verhältnis betrachtet, genauso viel Energie in die PR stecken wie die Majors?
Müsst ihr, im Verhältnis betrachtet, genauso viel Energie in die PR stecken wie die Majors?
„Social Media muss man einfach machen.“
Marit: Das hängt vom Künstler ab, welche Gefolgschaft er mitbringt, auf welchen Kanälen er schon aktiv ist. Social Media muss man einfach machen. Es gibt soviel Musik und Künstler*innen, man würde sonst untergehen. Um überhaupt etwas Aufmerksamkeit zu bekommen, muss man eigentlich aus allen Kanonen feuern. Das versuchen wir so halbwegs geschmackvoll und subtil wie möglich zu machen, um die Leute nicht zuzuschütten mit Kram.
Regelmäßig.
Marit: Ja.
Raymond: Ich finde, da gibt’s einen Wesensunterschied: Bei einem Major-Konzern geht es ganz am Ende nur um den Profit. Wir wollen natürlich auch erfolgreich sein, sind aber eher ein Liebhaber-Buchladen. Als kleines Team haben wir zu allen Künstler*innen eine enge, persönliche Beziehung.
Marit: Wir entscheiden nie etwas über ihre Köpfe hinweg. Manches geben sie uns auch vor. Das ist bei Majors anders.
Raymond: Dort ist die Struktur anonymer – größere Teams, mal abgesehen vom intellektuellen Anspruch. Wir können intuitiver arbeiten, aber auch nicht beliebig groß.
Marit: Einmal war es so, dass wir die Musik von einem Künstler gut fanden, aber alle ein ungutes Gefühl hatten. Wir haben es dann gelassen. Wir müssen uns wohlfühlen mit dem Künstler – und umgekehrt.
Was würdet ihr Producern raten, die ihre Musik verbreiten wollen?
Marit: Authentisch bleiben und nicht einfach gucken, was gerade gut läuft. Das kann auch funktionieren, ist dann aber meistens nach ein, zwei Jahren wieder vorbei. Dann mag das ein guter Produzent sein, aber da fehlt das Innere. Besser auf sich selbst hören, was man eigentlich machen will. Ein bisschen Glück gehört auch dazu.
Eine beliebte These heute ist ja, dass Künstler*innen Labels gar nicht mehr brauchen.
„Wer schon etabliert ist, kommt bestimmt ohne Label aus – ein erfahrenes Team vorausgesetzt. Aber gerade unbekannte Künstler brauchen diesen Rahmen.“
Marit: Das ist gerade die Frage: Viele haben das tatsächlich gedacht, dann aber gemerkt, dass es doch viel mehr Arbeit ist und man viel mehr Expertise braucht. Manche kehren dann wieder zu einem Label zurück. Wer schon etabliert ist, kann bestimmt ohne auskommen – ein erfahrenes Team vorausgesetzt. Aber gerade unbekannte Künstler brauchen diesen Rahmen. Catnapp hat es auf jeden Fall gut getan, dass Modeselektor sie unter ihre Fittiche genommen haben. Ohne dieses Konstrukt wäre sie wahrscheinlich nicht so weit, wie sie jetzt ist.
Raymond: Ein Label mit einem schönen, krediblen Katalog hat ja auch etwas von einem Gütesiegel.
Marit: Wir haben das Glück, dass unsere Marke nach außen anscheinend einen sehr guten Ruf hat. Wenn etwas von Monkeytown in die Redaktionen, Vertriebe und Läden kommt, dann wird das zumindest erstmal angehört. Bei anderen Labels ist das teilweise nicht mehr so, gerade wenn die Künstler*innen noch nicht bekannt sind.
Zum Abschluss nochmal ein Blick zurück: Was war euer persönliches Highlight bei Monkeytown?
Marit: Ich hab gar kein bestimmtes Beispiel im Kopf. Ich finde es schön, dass wir zumindest einmal im Jahr zum Beispiel alle auf das Melt Festival fahren, um zu sehen, wofür man das eigentlich alles macht.
Raymond: Mit Moderat haben wir die Berliner Kindl-Bühne ausverkauft, das war der Höhepunkt des Moderat-III-Projektes und ein ganz spezieller Abend. Das war für mich auch ein persönlicher Erfolg, einen Ort für 20.000 Leute voll zu kriegen. Mir machen aber auch die anderen Künstler Freude – wie authentisch sie sind. Der lustigste Typ ist einfach Siriusmo, ein unfassbar bescheidener Typ, der ein toller Produzent ist, super gut malen kann, der humorig ist, erfolgreich, aber trotzdem am liebsten mit seinen Kumpels abhängt.
Marit: Oder Catnapp, die selber soviel Energie hat, die sich kümmert und einfach dankbar ist. Dass man mal ein Dankeschön kriegt, das passiert leider nicht häufig, muss man ehrlich sagen. Man steckt mehr rein, als man eigentlich müsste, das wird leider nicht oft gesehen. Es gibt aber Künstler*innen, die das sehen, und das ist natürlich toll. Wenn man sieht, wie die sich freuen, wenn sie zum ersten Mal das physische Produkt in der Hand haben. Das sind die kleinen Momente, bei denen man denkt, ach ja, deswegen mach ich das eigentlich.
Ihr scheint ein eingespieltes Team zu sein. Was sind denn so eure Marotten, die ihr euch gegenseitig zuschießt?
Marit: Wir sind schon ein bisschen wie ein altes Ehepaar. Mich nervt, wenn Raymond bei Meetings oder am Telefon die ganze Zeit Mandeln knabbert (lacht). Und dich nervt es wahrscheinlich, wenn ich morgens schlecht gelaunt ins Büro komme und schlechte Vibes verbreite.
Raymond: Ich finde es gut, wenn ich mich morgens erstmal konzentriert auf eine Sache stürzen kann. Dann sitzen wir uns gegenüber und kommunizieren schriftlich.
(Beide lachen)