Der ultimative PuppenspielertrickBerlinale 2019: „Vice“ von Adam McKay
12.2.2019 • Film – Text: Tim SchenklFür die Rolle des Dick Cheney in Vice futterte sich Christian Bale über 20 Kilo an. Gestern war der Brite dann aber schon wieder rank und schlank auf dem roten Teppich der Berlinale unterwegs. Tim Schenkl hat sich den Film angesehen.
Im Wahlkampf zwischen Hillary Clinton und Donald Trump kam es während des letzten TV-Duells zu einer bemerkenswerten Szene zwischen den beiden Kontrahenten, die aus heutiger Sicht geradezu prophetische Qualität besitzt und darüber hinaus ein weiteres Mal die Infantilität dieses Mannes zeigt, zu dessen häufigsten Posen die eines schmollenden Kindergartenkindes zählt, welches die Arme vor seinem Oberkörper verschränkt und dabei die Mundwinkel verzieht, weil ihm Muttis Mittagessen nicht schmeckt.
Diskutiert wurde über die Einmischung Russlands in den US-amerikanischen Wahlkampf, von der Donald Trump bekanntlich nichts wissen wollte. Der Milliardär beschränkte sich darauf, immer wieder zu betonen, dass Vladimir Putin Clinton im Gegensatz zu ihm als politischen Gegner nicht ernst nehmen würde, worauf Clinton erwiderte, dass das russische Staatsoberhaupt sich eben eine Marionette wie Trump im Weißen Haus wünsche. Den bewährten argumentativen Strategien eines Sandkastenstreits folgend, antwortete Trump darauf im englischen Original: „No puppet. No puppet. You’re the puppet.“ Und kurze Zeit später noch einmal: „No. You’re the puppet.“
Ein lasterhaftes Leben
Die politische Landschaft Washingtons als ein Ort der Marionetten und der Puppenspieler, dieses Bild zeichnet Adam McKay (Anchorman, The Big Short) in seinem neuen Film Vice. Anders als Regisseure wie Oliver Stone oder Joe Wright hat er sich für seine Polit-Biografie nicht einen kontroversen Frontmann wie Richard Nixon oder Winston Churchill ausgesucht. Sein Film handelt von einer vermeintlichen Nebenfigur, dem aus Nebraska stammenden Republikaner Dick Cheney, wobei sich der Film vor allem auf dessen Zeit als US-amerikanischer Vizepräsident unter George W. Bush Jr. fokussiert.
Der Titel Vice ist mit großem Bedacht gewählt, weil in ihm im Englischen nicht nur das deutsche Wort „Vize“ steckt, sondern „Vice“ eben auch als „Laster“ übersetzt werden kann. Adam McKay hält mit seinem Vorhaben also von Beginn an nicht hinterm Berg. Er will seinen Zuschauern von Dick Cheneys lasterhaftem Leben erzählen.
Über die Alkoholexzesse des jungen George W. Bush Jr. ist viel berichtet worden. Dass Dick Cheney jahrelang soff, zweimal alkoholisiert hinterm Steuer erwischt wurde, aufgrund seiner Eskapaden von der Elite-Universität Yale flog und einige Zeit als Leitungstechniker Strommasten aufstellte, wissen vermutlich nur die wenigsten. Denn es gehörte noch bis vor Kurzem nicht zu dem Bild des politischen Strippenziehers und machtbewussten Wirtschaftsbosses, das von Cheney in der Öffentlichkeit gezeichnet wurde.
McKay beginnt seinen Film gleich mit einer jener Alkoholfahrten, die für Cheney (Christian Bale) auf der Polizeiwache endeten. Diese wird parallel montiert mit einer Episode aus dem Situation Room am Tag der Anschläge vom 11. September. Später bekommen wir Cheneys Aufstieg innerhalb der Republikanischen Partei zu sehen, wo er sich unter anderm als Chief of Staff von Gerald Ford und als Verteidigungsminister unter George W. Bush Sen. verdient macht.
Fast noch mehr als für dessen politische Laufbahn interessiert sich McKay für den Familienmenschen Dick Cheney, auch wenn beide Bereiche teilweise nur schwer voneinander zu trennen sind. Denn nicht nur Cheney ist ein geschickter Puppenspieler, auch seine Ehefrau Lynne (Amy Adams) versteht es meisterhaft, im Hintergrund zu agieren und andere nach ihrer Pfeife tanzen zu lassen. Lynne sieht aufgrund ihres Geschlechts in den USA der 1960er- und 1970er-Jahre keine Chance auf eine eigene bedeutsame politische Karriere und nutzt daher ihren Mann als Mittel zum Zweck, den sie jedoch erst einmal davor bewahren muss, sein Leben an den Alkohol zu verschwenden.
Nachdem die Cheneys sich Mitte der 1990er-Jahre aus dem Politikgeschäft zurückgezogen haben und Dick CEO des Öl-Dienstleisters Halliburton wird, wo er Millionen verdient, steht das Tag-Team 2001 vor seinem größten politischen Coup und ultimativen Puppenspielertrick.
Der texanische Gouverneur George W. Bush Jr. (Sam Rockwell), ebenfalls ein ehemaliger Säufer, sucht für den Präsidentschaftswahlkampf einen erfahrenen Washington-Insider für das Amt des Vize-Präsidenten und bietet Cheney den Job an. Dieser willigt, so erzählt es uns zumindest McKay, unter der Bedingung ein, dass er es sein müsse, der bei einem Wahlsieg die Amtsgeschäfte führe und steigt so zum Schattenpräsidenten auf.
Dramedy
Adam McKay hat mit Filmen wie Step Brothers und Anchorman Klassiker des Comedy-Genres abgeliefert. 2015 wagte er sich mit The Big Short, einem Film über die Finanzkrise 2008, erstmalig an ein „seriöses“ Thema und wurde dabei von einem All-Star Cast unterstützt. Auch diesmal bedient McKay sich mit Amy Adams, Steve Carell, der Donald „Rummy“ Rumsfeld spielt, Sam Rockwell und Christian Bale wieder aus der obersten Schublade der US-Schauspieler. Problematisch ist dabei, dass die vier sich ihren Rollen mit unterschiedlichen Herangehensweisen nähern. Während Carell und Rockwell eher komödiantisch spielen, man könnte wohl davon sprechen, dass sie Rumsfeld und Bush Jr. parodieren, gehen Adams und Bale ihren Figuren deutlich ernsthafter an.
Das Problem des richtigen Tons zieht sich ein wenig durch den ganzen Film. Irgendwie weiß man nie so recht, ob es sich bei Vice nun um eine Komödie oder ein Filmdrama handelt. McKays These ist jedoch eindeutig: Mit Dick Cheney begann der endgültige Ausverkauf der Republikanischen Partei an Milliardenkonzerne wie Halliburton sowie an erzkonservative Familienclans wie die Coors und die Kochs. Außerdem wird er von MyKay sowohl für die Gründung des Islamischen Staats als auch für den Aufstieg von Fox News verantwortlich gemacht. Cheney wird als ein Mann ohne Wertsystem gezeigt, der im Namen der nationalen Sicherheit vor allem eigene Interessen verfolgt. Solidarität zeigt er lediglich seiner lesbischen Tochter Mary (Alison Pill) gegenüber, doch auch diese wird irgendwann aus politischen Kalkül von ihm verraten.
Zu viel Schwarz, zu wenig Weiß, meinten einige US-Kritiker und führten an, dass Cheney sich sehr wohl einem national-konservativen Wertesystem verpflichtet fühlt. Außerdem wurde kritisiert, dass Cheneys erfolgreiches Wirken als Verteidigungsminister während des ersten Irak-Krieges in Vice keinerlei Rolle spiele. Dazu kommt, dass McKays mannigfaltige Regie-Tricks aus dem Repertoire seiner Vorbilder Scorsese, Buñuel und Co. häufig eher stören, als dass sie der Handlung weiterhelfen würden.
Trotzdem entwickelt der Film mit der Zeit einen recht starken Sog, was vor allem an Bales beeindruckender Method-Acting-Performance liegt, und führt einem außerdem noch einmal eindrücklich vor Augen, welch fürchterliches Vermächtnis die Regierung Bush-Cheney, oder sollte man besser sagen Cheney-Bush, ihren Nachfolgern hinterließ. Dies war auch der US-Bevölkerung nicht entgangen: Bei seinem Abgang 2009 lagen Cheneys Zustimmungswerte bei gerade einmal 13 Prozent.
Vice – Der zweite Mann
USA 2019
Regie und Drehbuch: Adam McKay
Mit: Christian Bale, Amy Adams, Steve Carell, Sam Rockwell, Tyler Perry, Alison Pill u.a.
Screenings während der Berlinale:
Di, 12.02., 9.30 Uhr – Haus der Berliner Festspiele
Di, 12.02., 12:00 Uhr – Friedrichstadt Palast
Di, 12.02., 22:30 Uhr – International
Fr, 15.02., 22:45 Uhr – Haus der Berliner Festspiele
Deutscher Kinostart: 21.2.2019