Produzenten-Fachgespräch: „Musikmachen ist wie Kochen“Beats-Boss Luke Wood und Kitschkrieg über Generationskonflikte und den Status Quo im Musikstudio
10.8.2018 • Sounds – Text: Thaddeus HerrmannEine ungewöhnliche Zusammenkunft: Luke Wood, Präsident von Beats by Dre, trifft die Berliner HipHop-Produzenten Kitschkrieg. Die Idee: sich gegenseitig Tracks vorspielen und darüber fachsimpeln. Doch schnell wird klar, dass diese Studio-Session überhaupt nicht ungewöhnlich ist, ganz im Gegenteil. Das Filter hat zugehört.
Warum trifft sich ein Apple-Manager mit Kitschkrieg und dann auch noch in einem Tonstudio? Hätte man ein paar Beats-Kopfhörer nicht auch mit der Post schicken können? Nein. Bzw.: natürlich schon, aber darum geht es hier nicht. Denn Luke Wood ist nicht nur Headphone-Executive, sondern auch Musiker und vor allem ein Nerd. Hat nicht nur selbst in Bands gespielt, sondern nach seinem Einstieg in die Musikbranche als Label Manager bei Geffen mit Nirvana und Sonic Youth gearbeitet – auch im Studio –, als A&R Weezer unter Vertrag genommen, TV On The Radio entdeckt und natürlich schon damals Dr. Dre im Blick gehabt. Seit 2011 hat er den – also den Blick – vor allem auf den Kopfhörer mit dem großen B – wir hatten berichtet. Und dann sind da Kitschkrieg. Fizzle, Fiji Kris und awhodat haben den deutschen HipHop nachhaltig verändert – musikalisch und visuell. Trettmann, Haiyti, Megaloh – sie alle haben den Dancehall-beeinflussten Sound des Berliner Kollektivs dankend aufgesogen – zwischen Autotune und Sub, inmitten aufgeräumter und präziser Arrangements.
Zwei Generationen Musikgeschichte und -produktion also, zusammen in einem Studio. Zum gegenseitigen Tracks vorspielen.
Wobei: Das stimmt so nicht ganz. Hier werden keine CDs eingelegt oder Playlisten gestreamt. Die Session heißt „Deconstructed“. Das bedeutet, dass Kitschkrieg ihr MacBook auf die riesige analoge Konsole stellen, Logic aufmachen und Luke erklären, wie sie ihre Tracks produziert haben. Und Luke sitzt am ProTools und macht die Original-Sessions einiger Welt-Hits auf, allesamt in ihre Einzelspuren zerlegt. Welche das sind? Tut hier nichts zur Sache, ist aber beeindruckend und öffnet den beiden anwesenden Journalisten die Augen. Kitschkrieg auch. Wie viele Bassdrums kann man kombinieren, um den richtigen Sound zu finden? Wie komplex arbeitet Produzent A und wie einfach Produzent B? Braucht es 40 Spuren, um Druck zu erzeugen oder reichen vielleicht auch fünf? Ein Blick auf die Arrangements offenbart die unterschiedlichsten Ansätze, Strategien und Konzepte. Was zählt, ist das beste Ergebnis. Wie man dahin gelangt, ist letztendlich egal.
Dabei wird ständig die Start/Stop-Taste gedrückt. Wood und Fizzle und Fiji Kris von KitschKrieg unterhalten sich, tauschen sich aus – Nerd-Wissen wechselt die Seite. Einer der HipHop-Tracks – legendärstens – wird besonders akribisch beäugt und auseinandergenommen. Wie passen die Bassdrums alle aufeinander? Wo kommt der Groove genau her? Und wie sind die Vocals gecuttet?Eine Geschichtsstunde hatte nie mehr Drive.
Es geht um Sound, Arrangements, Tricks und ästhetische Fragen. Schnell wird klar, dass sich Luke, Fizzle und Fiji Kris auf einen gemeinsamen Nenner einigen können, wie Dinge tönen sollen, nein: müssen. Und dann wechseln wir die Seiten, machen ProTools zu, wechseln zum Kitschkrieg-MacBook und hören wir Trettmanns „Grauer Beton“, produziert von Kitschkrieg.
Luke Wood: Wow, das gefällt mir sehr gut. Wie sich die Akkorde entwickeln, ist fantastisch. Das zieht mich total rein. Ihr habt mir gerade ja schon erklärt, worum es in dem Song geht – um dieses Abgehängtsein, das Gefühl, nicht beachtet oder sogar vergessen worden zu sein. Das spiegelt sich in den Chords wider. Die sind für mich das Narrativ dieses Tracks. Eben weil sich die Akkordfolge am Ende nicht auflöst. Das hinterlässt einen Schwebezustand in mir. Der mir sagt, dass es auch auf der Text-Ebene die Geschichte nicht gut ausgeht und das Ganze eher als Statement funktioniert.
Wenn man Lyrics in Sprachen hört, die man selbst nicht spricht, bleiben die ja immer mehr oder weniger abstrakt. Aber es scheint, als ob du das ganz gut fühlen kannst – worum es geht.
Luke Wood: Oh ja. Im HipHop ist es ja nochmal komplizierter. Ich verstehe so gut wie nie, worum es in den Texten geht. Ich kenne den Slang nicht und auch nicht die Referenzen. Aber das Gefühl kommt immer durch.
Reden wir doch über Technologie. Hier sitzen ja immerhin zwei Generationen von Produzenten, die ihr Handwerk an unterschiedlichen Arten von Geräten gelernt haben. Und die Technik beeinflusst auch immer den Sound und den Style. Hier die große Konsole, dort das MacBook. Sind diese unterschiedlichen Herangehensweise heute überhaupt noch wichtig?
Fiji Kris: Mach uns nicht jünger, als wir sind! Wir haben das tatsächlich noch an einem analogen Pult gelernt, wir wissen, wie das funktioniert. Und haben diese Arbeitsweise einfach nur adaptiert und auf den Rechner übertragen. Das macht vieles einfacher und schneller. Ich will mich mit der Technik auch nur bis zu einem bestimmten Punkt auseinandersetzen und konzentriere mich lieber darauf, wie ich die Emotionen eines Tracks am besten transportieren kann.
Luke Wood: Aber es gibt doch schon bestimmtes analoges Equipment, das sich digital nicht reproduzieren lässt – der berühmte „Ghost in the machine“-Effekt.
Die 808, die ja in den meisten Tracks heute zu hören war und auch in den KitschKrieg-Produktionen eine tragende Rolle spielt, ist ein gutes Beispiel dafür.
Luke Wood: Genau. Ich habe alle Samples. Alle Sets, die jemals aufgenommen und geklaut wurden. Wir alle haben die. Aber die Knöpfe am Original zu drücken ist einfach etwas anderes. In meinem Studio habe ich ein Pult von Neve. Ich kann nicht ohne diesen Sound. Das ist bestimmt nur psychologisch. Aber der Klang hat sich bei mir eingebrannt. Ich weiß: Das ist das Pult, mit dem Led Zeppelin „III“ aufgenommen haben. Shit! Ich bin auch davon überzeugt, dass alte Mikrofone einfach besser klingen, die haben mehr Charakter. Aber: Natürlich glaube ich auch an Technologie und Fortschritt. Denkt doch nur daran, wie die Beatles experimentiert haben. Von vier Spuren auf acht und dann auf 24, Bandmaschinen, Vocals durch den Amp einer Hammond geschickt. Es geht schon darum, dass Musiker und Produzenten immer das meiste aus dem rausholen, was ihnen zur Verfügung steht. Man muss also nicht mehr mit solchen Pulten arbeiten. Auch nicht mit Hardware-Kompressoren. Ich finde es aber gut und wichtig, dass man diese Welt kennenlernt. Dann geht man mit Plug-ins einfach anders um.
„Als wir anfingen, hatten wir einfach nur begrenzte Möglichkeiten, Heute zeigt sich aber, dass die Musik, die am liebsten haben, genau so funktioniert – mit nur wenigen Elementen.“
Fiji Kris: Sich auf wenige Geräte zu beschränken, ist immer eine gute Idee. Wir arbeiten noch heute mit so wenigen Spuren wie möglich. Das ist in unserer Geschichte begründet. Als wir anfingen, hatten wir einfach nur begrenzte Möglichkeiten, Heute zeigt sich aber, dass die Musik, die am liebsten haben, genau so funktioniert – mit nur wenigen Elementen. Wir sind keine Fans davon, immer noch mehr Layer zu schichten. Das schlägt sich auch in unserer Arbeit mit Vocals nieder. Wir stellen jeden Satz infrage. Braucht es den wirklich?
Wer jetzt gerade mit dem Produzieren anfängt, hat in der Regel nicht die Möglichkeit, sich in so einem Studio wie hier auszutoben. Die schauen sich Tutorials auf YouTube an und bauen das dann am Laptop nach – und können diese Beziehung nicht aufbauen.
Fizzle: Das Prinzip ist aber vergleichbar. Sie haben nicht die Maschinen und nicht das Studio – verlieren sich aber auch in der Musik. Darum geht es doch. Ich finde das sehr gut. Es geht nicht darum, privilegiert zu sein. Je länger man Musik macht, desto größer die Chance, diese Welt dann nachträglich kennenzulernen. Dann fasst man die 808 an oder setzt sich an Rhodes und denkt, nanu, ein 3D-Druck meines Plug-ins. Die eine Arbeitsweise ist nicht besser oder schlechter als die andere. Es geht darum, zu lernen.
„Früher war Recording und Engineering eine Kunst, die immer weiter vererbt wurde.“
Luke Wood: Ich schaue mit auch Tutorials auf YouTube an, wenn ich mit der Software nicht weiterkomme. Bis ich das Handbuch gefunden habe, konnte ich das Video doch schon drei Mal gucken. Ich finde es dennoch wichtig, das auch junge Leute so früh wie möglich solche Studios kennenlernen und dort Zeit verbringen. Früher war Recording und Engineering eine Kunst, die immer weiter vererbt wurde. Da fing man als Laufbursche und arbeitete sich langsam hoch. Und lernte nicht nur die Technik, sondern auch social skills, die im Studioalltag mindestens genauso wichtig sind. Den ganzen Tag mit anderen Menschen in einem Raum zu verbringen, fordert. Wie mache ich dem Manager klar, dass er bitte die Klappe halten soll? Und wie dem Künstler, dass er nicht nur einmal den Gesang einsingt und dann wieder kiffen geht? Ihr produziert für andere Künstler, ihr wisst, wie ich das meine, oder?
Fiji Kris: Du hast so recht!
Luke Wood: Deshalb sage ich: Allein am Laptop ist ok, aber eben nicht alles.
Fünf Laptopper zusammen wäre also auch ok. Es geht um das Zwischenmenschliche.
Luke Wood: Ja klar! Musiker, Engineers und Produzenten: Wir setzen doch den ganzen Tag nur Puzzles zusammen. Das geht nicht immer allein.
Fiji Kris: Der Austausch mit anderen hat ja noch einen weiteren großen Vorteil. Du spürst plötzlich, dass du nicht alleine da draußen bist. Da ist mehr, und du bist Teil davon. Das gibt dir Kraft, macht dich aber auch demütig.
Luke Wood: Als ich 19 Jahre alt war und am College, gab John Cage in meiner Klasse einen Workshop. Wir sollten rausgehen und found sounds aufnehmen und dann Loops daraus schneiden. Kurz, lang, ganz egal, alles auf Tonband. Wir haben dann alle zusammen ein Konzert gespielt und er hat dabei die Loops gemischt. Mir war das zunächst fremd. Als ich dann einige Jahre später mit Sonic Youth im Studio war, habe ich das plötzlich verstanden. Die Band hatte eine ganz ähnliche Arbeitsweise. Es fügt sich irgendwie immer alles zusammen.
Die Produktion ist das eine, das Abhören das andere. Luke, wie hörst du denn am liebsten Musik?
Luke Wood: Wenn ich unterwegs bin, natürlich mit unseren Kopfhörern. Zu Hause und im Studio eigentlich nur über Studio-Monitore. Ich will den echten Sound. Wenn eine Bassdrum plötzlich nicht mehr so klingt, wie ich sie kennengelernt habe, werde ich grantig. Das zieht mich raus. Aber nehmen wir die Monitore hier im Studio. Was kosten die? 5.000 Dollar, 10.000 Dollar pro Stück?
Techniker: Reicht nicht ganz.
Luke Wood: Eben!
Fiji Kris: Gute Monitore waren in unserem Studio die erste echte Investition. Wir hören die Tracks aber natürlich auch über den iPhone-Lautsprecher an – um ein Gefühl dafür zu bekommen, wie die Kids unsere Musik hören könnten. Und wie viel Information dabei verlorengeht.
Luke Wood: Jede Epoche hat ihre Referenz-Abhöre. Als ich anfing, war es der Yamaha Auratone – ein brutal ehrliches Teil, aber kaum größer als ein Autolautsprecher. Später kam dann die Boombox. Und natürlich mussten die Tracks auch immer im Auto gehört werden. Wir haben uns sogar extra unterschiedliche Autos gemietet und sind damit durch die Gegend gefahren, nur um den Sound neuer Tracks zu checken.
Fizzle: Und heute ist es der Bluetooth-Lautsprecher, nicht zuletzt eure Beats Pill. Hat bei mir in der Nachbarschaft jeder.
Fiji Kris: Das ist ja auch eine wichtige Entscheidung: Tuned man den Sound vor allem so, dass er auf einem großen System gut klingt oder eher auf einem kleinen. Wir orientieren und eher an kleineren. Tatsächlich hilft das enorm. Wenn wir auf wirklich großen Bühnen spielen, gibt es da selten Probleme. Auch weil wir nicht so viel layern und gerade in den Mitten vorsichtig sind. Ich habe das Gefühl, dass immer mehr Tracks so produziert werden, dass sie auf dem Telefon gut klingen.
„Unten Bassdrum, oben superlaute Vocals, also vorne Britney Spears, TOXIC und sonst nichts.“
Luke Wood: Mich hat das anfangs wahnsinnig gemacht, als sich dieser neue Produktionsstil etablierte. Unten Bassdrum, oben superlaute Vocals, sonst nichts. Ich kannte das nicht und hatte dem mit meiner Art der Produktion auch nichts entgegenzusetzen. Ich machte mir Gedanken, wie man die Gitarren im Stereobild verteilt und ausschmückt, und dann kommt Britney Spears mit Bassdrum hinten und TOXIC vorne. Hmm. Ich glaube aber, das wird besser, nicht nur weil ich unsere eigenen Kopfhörer verkaufe. Die Marke spielt dabei gar keine Rolle. Die Audio-Branche wächst, die Produkte werden besser. Und man sieht immer mehr Menschen mit guten Kopfhörern auf den Ohren. Das wird sich auch in der Art und Weise, wie produziert wird, niederschlagen.
Als Produzent muss man aber dennoch den goldenen Mittelweg finden, weil man ja die unterschiedlichsten Szenarien bedienen will. Wie beeinflusst das die tägliche Arbeit?
Fiji Kris: Ganz ehrlich? Gar nicht mehr.
Endloses Layern von Elementen einerseits und das Sich-Zurücknehmen im Studio und der Musik so wirklich Raum zu geben, war ja schon Thema. Wie siehst du das, Luke?
Luke Wood: Es ist total verführerisch, immer mehr Elemente in einem Track unterzubringen. Weil: Es ist heute so einfach. Plug-in hier, Plug-in da und natürlich Hall überall. Aber Musikmachen ist wie Kochen. Manchmal ist wenig schon eine Menge. Wer mal was versalzen hat, weiß das. Neulich hörte ich im Flugzeug „In My Life“ von den Beatles. In diesen Track passiert absolut nichts. Links die Gitarre, dann noch ein Rimshot und eine HiHat und John Lennon. Fertig. Und dennoch ist es ein Klassiker. Da schließt sich für mich auch der Kreis unserer Studio-Session heute. Es geht um das Narrativ. Die Akkorde erzählen die Geschichten. Und die brauchen Raum. Das gilt für das Blues-Schema genau wie für Trap. Deshalb mag ich Trap im Moment auch so gerne. Da tun sich unglaubliche Räume auf. Und alles geht langsam.