Review: Apple iPad Pro (2020) & Magic KeyboardComputerliebe
4.6.2020 • Technik & Wissen – Text & Fotos: Thaddeus HerrmannWarum ist das iPad im Allgemeinen und das iPad Pro im Speziellen immer noch kein adäquater Ersatz für den Laptop? Das hing bislang mit etablierten Workflows zusammen, bei denen macOS das iPadOS immer noch klar auf die Plätze verwies. Nun aber kommt man bei Apple mit einem Stück Hardware um die Ecke, das die Gemengelage nachhaltig verändern wird. Das Magic Keyboard macht das iPad Pro noch mehr zum Notebook. Reicht die Initiative? Thaddeus Herrmann geht full in.
Diese Geschichte beginnt in einem unpersönlichen Ladenlokal in Berlin-Moabit, Mitte der 1990er-Jahre. Ja, ich muss mal wieder etwas ausholen, es geht schließlich um das iPad Pro. Beziehungsweise: Eigentlich geht es vornehmlich um das Magic Keyboard, dass das Tablet näher an einen Laptop heranbringt, als Apple es selbst immer wollte. Gab wohl ein Meeting, eine Kurskorrektur.
Damals also ging ich zu Gravis und kaufte meinen ersten Mac. Einen Performa 475, um genau zu sein. Das war eine der „Pizzaschachteln“. Dazu einen 14"-Monitor, einen Drucker, ein Modem und die Studentenversion von Word 5.1., verteilt auf ich glaube acht Disketten. Das kostete 3.000 Mark und ein paar Zerquetschte. Meine ersten Uni-Arbeiten hatte ich auf einem AtariST geschrieben. Schon ganz guter Style, aber nicht wirklich nachhaltig. Seitdem habe ich das System nie wieder gewechselt und konnte auch meinen Kontakt mit Windows bei Jobs und Praktika auf einem erfreulich niedrigen Level halten. Ich wollte auch nie wechseln, weil der Mac trotz immer wieder auftretender Frustration einfach zu comfy war (und ist). Und ich war Musiker, da ging das eh nicht anders. Ich sage nur ASIO-Treiber unter Windows. Ich bin #TeamSystem7.6.1!
Heute, mindestens 25 Jahre später, rechne ich zwar lieber nicht nach, wie viel Geld ich nach Cupertino überwiesen habe, komme auch auf mindestens 18 Macs, die ich durchgeschleust habe – Desktop wie Notebook. Ich habe das GeoCity-Modem überlebt, die implodierenden Trinitron-Monitore, kaputte Scharniere am Titanium PowerBook, fiepende Motherboards, netzbrummende iMacs, kaputte PCIe-Karten. Habe geschätzt fünf FireWire400-Ports sterben sehen, PowerPC-Code unter Rosetta gefeiert und sogar den Wechsel von Eudora zu Apple Mail ohne Blessuren überstanden. Der Mac und ich also, wir sind so: 🤝. Und werden es auch immer bleiben. Aber dennoch: Ich würde gerne abspringen und mich voll und ganz auf das iPad Pro stürzen – spätestens seit 2018. Was für eine Killer-Maschine. Immer noch. Und auch wenn macOS ja schon fluffig ist, iOS ist noch fluffiger. Nun hat Apple vor wenigen Wochen neue iPad Pros veröffentlicht. Das ist eigentlich nicht weiter wichtig, file under Produktpflege.
Viel wichtiger sind die Software-Anpassungen (Maus-Unterstützung! Trackpad-Unterstützung!). Und der Release des Magic Keyboard für die Pros. Eine „echte“ Tastatur mit Hub und integriertem Trackpad. Und das Tablet? Schwebt, von Magneten gehalten, majestätisch vor einem. Genau meins, dachte ich mir, nicht nur weil an meinem MacBook gerade mal wieder eine Taste rausgebrochen ist. Denn: 2018 merkte ich schnell, dass ich Laptops mit Touchscreen nicht mag. Das Smart Keyboard Folio der Vorgängerversion lässt sich zwar gut zum Tippen einsetzen, der ewige Wechsel zwischen Tastatur und Touchscreen machte mich mittelfristig aber wahnsinnig bzw. hinterließ mich frustriert. Ich könnte nun zwar dank der aktuellen Software-Version iPad OS 13.4.x meine alte Magic Mouse rausholen, aber das ist mir nicht tight genug. Mit dem Magic Keyboard erübrigt sich das. Oder doch nicht? Schon 2017 stellte man in der Marketing-Abteilung von Apple in Bezug auf das iPad Pro die Frage: „What’s A Computer?“ Und genau diese Frage will ich hier und heute erneut versuchen zu klären. Da kann ja nichts schiefgehen.
Das neue iPad Pro
Wir können ja offen reden, oder? Die neuen Modelle des iPad Pro hätten eigentlich gar nicht sein müssen. Gewerkelt hat man bei Apple vor allem an den Kameras – der Rest, bis runter zum Prozessor, ist praktisch gleich geblieben. Zwar hat dieser einen neuen Namen – aus dem A12 Bionic X wird nun der A12 Bionic Z –, die Unterschiede sind jedoch marginal. Auf der Grafikseite ist der Neuling wohl auf dem Papier einen Deut schneller bzw. performanter. Neben den acht CPU-Kernen kommen nun auch acht GPU-Kerne zum Einsatz, beim 2018er-Modell waren es sieben. Auskenner gehen jedoch davon aus, dass es sich um das genau gleiche SoC handelt, das Fabbing aber mittlerweile so perfektioniert wurde, dass der achte Grafikkern einfach kategorisch freigeschaltet werden konnte. Steve Jobs sagte ja immer „It’s a screamer“, wenn es um neue Prozessoren ging. Das stimmte nicht immer (in der Mac/Intel-Welt), hier aber trifft es nach wie vor zu. Wenn ich mein vier Jahre altes MacBook Pro und dieses (und das letzte) iPad Pro vergleiche, ist die Performance aus einer anderen Welt. Anders als noch 2018 sind jetzt alle Modelle (die neuen iPad Pros gibt es mit je 128 GB, 256 GB, 512 GB oder 1 TB SSD) mit 6 GB RAM ausgestattet. Bei der Vorgängerversion wurden die lediglich bei den 1-TB-Varianten verbaut.
Und die Kamera? Aus der einen der 2018er-Reihe sind heuer zwei geworden: eine mit 12 Megapixeln (inklusive Video in 4k/60fps) und eine mit 10 Megapixeln für Weitwinkel-Aufnahmen. Letztere ist nicht ganz auf iPhone-Level, die Unterschiede dürften jedoch marginal ausfallen. Was hingegen fehlt, ist der Nachtmodus. Die größte Neuheit am Kameramodul ist jedoch etwas, das sich aktuell noch gar nicht wirklich nutzen lässt: der LiDAR-Sensor. Seine Einsatzbereiche richten sich aktuell vor allem an Pros (na, das passt ja), was wiederum heißt, dass er in Nischen seine Fähigkeiten ausspielen kann. LiDAR steht für „Light Detection And Ranging“. Dabei wird Licht auf Objekte projiziert, die bis zu fünf Meter weit entfernt sind, was dann reflektiert wird. So könnte sowohl die Einrichtungs-App von Ikea besser, CAD-Expert*innen besser, weil präziser arbeiten und das nächste AR-Spiel noch immersiver werden. Ein Zukunftsversprechen (auch so ein Dauerthema bei allem, was das iPad angeht), das vor allem belegt: Bei Apple nimmt man es nach wie vor sehr ernst mit der Augmented Reality. Dass der LiDAR-Sensor im Herbst auch im neuen iPhone verbaut sein wird, gilt als abgemacht.
Mehr gibt es zum neuen iPad Pro 2020 eigentlich gar nicht zu sagen. Wer mit einer Anschaffung liebäugelt, wird begeistert sein. Und wer die Vorgängerversion besitzt, hat eigentlich keinen Grund, nach maximal anderthalb Jahren schon wieder Geld einzuwerfen. Das iPad Pro ist und bleibt ein faszinierendes Stück Hardware. Der Star der Show ist aber ein Stück Zubehör – das Magic Keyboard, das dankenswerterweise auch mit dem 2018er-Modell funktioniert. Und mich meinem Traum, das iPad zum Zentrum meines Home Offices zu machen, hoffentlich ein Stück näher bringt.
Ein Stück Hardware, bei dem man sich vielleicht zum ersten Mal seit Jahren wieder fragt: Wie um alles in der Welt haben die das gemacht in Cupertino?
Hub, Tab, Klick
Frage: Wann habt ihr, geschätzte Filter-Darlings, das letzte Mal 400 Euro für eine Tastatur ausgegeben? Genau soviel kostet das Magic Keyboard für das 12,9" große iPad Pro nämlich – für das 11"-Tablet werden 340 Euro fällig. Alle, die Keyboards sammeln oder Podcasts zu Cherry-Switches abonniert haben: Bitte antwortet nicht. Ich will eher auf „Normalos“ raus, die sich in der „neuen Normalität“ vielleicht ein externes Keyboard für ihren Laptop zugelegt haben. Na? Gehen Hände hoch? Nein? Dachte ich mir. Nun ist das Magic Keyboard ja auch mehr als einfach nur eine Tastatur. Es ist ein Stück Hardware, bei dem man sich vielleicht zum ersten Mal seit Jahren wieder fragt: Wie um alles in der Welt haben die das gemacht in Cupertino? Wie ist es möglich, dass das iPad vor einem praktisch frei in der Luft schwebt? Was für Höllen-Magnete sind hier verbaut. Und wo überhaupt? Und warum kann ich das Tablet dennoch ganz leicht mit einem Handgriff von dieser Konstruktion trennen und wieder anflanschen?
Tastaturen für iPads sind keine neue Erfindung. Selbst bei Apple hat man sie im Angebot. Es geht auch preiswerter, zum Beispiel von Logitech, oder mit ganz anderem Prinzip von Brydge. Mit dem Smart Keyboard Folio von Apple bin ich die letzten anderthalb Jahre bestens gefahren – ich kam (und komme) gut zurecht mit den versiegelten Tasten. Woran das Smart Keyboard Folio jedoch krankt, ist die Tatsache, dass sich das Tablet nur in zwei Winkeln aufbocken lässt. Diesen Kritikpunkt kann ich gut nachvollziehen: Der eine ist schlicht zu steil, der andere erfordert am Schreibtisch schon eine gewisse Haltung. Die ist gut für den Rücken, aber wenn man denkt und brütet und am Apple Pencil knabbert, sinkt man ja gerne mal in sich zusammen. Mit dem Magic Keyboard bekommt man in punkto Winkel deutlich mehr Freiheit. Zu viel erwarten solltet ihr jedoch nicht: Es ist mitnichten so flexibel wie ein regulärer Laptop-Bildschirm: von 90 bis 130 Grad lässt sich das iPad Pro feinjustieren.
Der Tastatur- und Trackpad-Teil des Magic Keyboard atmet die DNA von Microsoft. Das ist auch vollkommen in Ordnung.
Diese Einschränkung dürfte der Konstruktion geschuldet sein, die bei zusätzlicher Überdehnung das Tablet einfach nicht mehr halten könnte. Die neue Flexibilität ist ein großer Schritt nach vorne und hilft mir persönlich sehr. Apples Lösung ist aber noch längst nicht so variabel wie bei den Surface-Geräten von Microsoft, an denen ein extrem gut gemachter Kickstand für ultimative Individualität sorgt. Surface ist ein gutes Stichwort. Denn der Tastatur- und Trackpad-Teil des Magic Keyboard atmet schon die DNA von Microsoft. Das ist auch vollkommen in Ordnung, weil deren Keyboard/Trackpad-Kombo sehr okaye Produkte sind und sich über die Jahre wirklich bewährt haben. Schreiben wir also mal los.
Was Keyboards angeht, hat sich Apple in den vergangenen Jahren bei Laptops nicht gerade mit Ruhm bekleckert. 2015 wurde im mittlerweile wieder begrabenen 12" MacBook die Butterfly-Tastatur zur Zukunft erklärt – anders formuliert: die Konter-Revolution der Cherry-Generation. Super flache Tasten, praktisch ohne jeden Hub. Diese Tastatur hielt dann 2016 auch Einzug beim MacBook Pro, wurde immer wieder überarbeitet und landete schließlich auch im MacBook Air. Neben einem grundlegend anderen Schreibgefühl war und ist das größte Problem dieser Bauart jedoch ihre Fehleranfälligkeit. Schon kleinste Krümel können einzelne Tasten nutzlos machen. Ein teurer Spaß, vor allem für Apple, wo man seit 2016 für alle Modelle mit dieser Tastatur ein vierjähriges, kostenloses Reparaturprogramm anbietet. Kein Zustand.
Nun rudert man bei Apple wieder zurück und setzt auf neue alte Technik. Und genau die findet sich auch im Magic Keyboard des iPad Pro. Die bewährten Scissor-Switches und 1 mm Hub lösen sofort ein Grundvertrauen aus. Dazu kommt die Hintergrundbeleuchtung, die es auf den Apple-eigenen iPad-Tastaturen bislang nicht gab. An das Layout gewöhnt man sich schnell und reitet ins Tipp-Country. Je nach Winkel des schwebenden iPad Pros kann es in den ersten Tagen dazu kommen, dass man ab und an den unteren Rahmen des Tablets berührt, wenn man eigentlich nur die Zahlen-Reihe des Keyboards treffen möchte. Auch das ist schnell abtrainiert. Und weil sich das Keyboard praktisch instantan so anfühlt wie auf einem Laptop, vermisst man ziemlich schnell die Funktionstasten. Weniger f1-x, sondern vielmehr die Medien-Tasten, die für die Bildschirmhelligkeit und – ja – die ESC-Taste. Die sich aber immerhin auf eine andere, die man selten verwendet, umrouten lässt.
Ich habe das nie verstanden. Warum gibt es Laptops mit Touchscreen?
All das wäre für sich genommen zwar schon schön, aber auch nicht sonderlich berichtenswert. Apple baut eine Tastatur für das iPad, die funktioniert. Schön. Mit dem ebenfalls integrierten Trackpad jedoch muss ich so gut nicht mehr länger zwischen klassischem Laptop-Feeling und dem modernen Hybrid-Flavour aus Type & Touch umschalten. Ich habe das nie verstanden. Warum gibt es Laptops mit Touchscreen? Gut, ich verstehe es natürlich schon, im Windows-Lager ist das mittlerweile Alltag, und mir leuchten einige Einsatzgebiete durchaus ein. Das sind aber eben nicht meine. Wenn ich auf der Couch liege mit dem iPad, ist touchen knorke – dann schreibe ich auch nicht, jedenfalls nicht mehr als einen Tweet oder eine iMessage. Am Schreibtisch jedoch will ich mein Display nicht anfassen. Ich brauche dieses Feature für meinen Job nicht. Das Magic Keyboard macht die Laptopisierung des iPad Pro endlich möglich. Die systemweite Integration lässt mich selbst in den Apps mit dem Trackpad navigieren und arbeiten, die noch gar nicht für das neue Stück Hardware optimiert wurden. Slack gehört dazu, Gmail auch. Surprise: Macht fast gar nichts.
Einen „normalen“ Mauszeiger zum Dreh- und Angelpunkt von iPadOS zu machen, wäre natürlich zu einfach. Der zeigt sich auf dem iPad Pro als transparenter grauer Kreis, der sich nahtlos ins Interface einfügt und auch nicht weiter stört. Über den Icons in Apps verändert sich dann seine Form – je nach Icon-Größe. Das ist clever und gut umgesetzt. Arbeitet man sich durch ein Text-Dokument, wird aus der Bubble ein Cursor. Das funktioniert in Pages wie auch in E-Mails. Ich nenne das Kontextualisierung par excellence. Auch andere Features, die man vom iPhone kennt, werden unterstützt. So öffnet beispielsweise ein langer Druck auf dem Trackpad auf einen Link im Browser eine Vorschau der dahinter liegenden Website. Das ist schon erstaunlich gut durchdacht.
Groß, klein, now what?
Was ihr wissen müsst: Ich habe das Magic Keyboard in der großen Variante ausprobiert, also für das 12,9" iPad Pro. Mit dieser Tastatur-Größe komme ich hervorragend hin. Ob sich der gleiche Effekt auf bei der kleineren 11"-Variante einstellt, weiß ich schlicht nicht. Ich kann mir gut vorstellen, dass die große Freiheit dort nicht im gleichen Maße ausbricht – ob des begrenzten Raums. Aber es gab ja auch viele Fans des 11" großen MacBook Airs. Wie immer bleibt auch hier und heute die Frage nach dem Preis. 400 Euro? 200 wären besser gewesen, aber das ist nun der Startpreis für das Smart Keyboard Folio, das weiterhin verkauft wird und seine Berechtigung hat. Ich habe es mir schlichtweg abtrainiert, über die Preise von Apple-Produkten nachzudenken, zumindest bis zu dem Zeitpunkt, an dem ich ein neues MacBook brauche und innerlich fluchen werde. Denn: Zu 100 Prozent kann das iPad Pro in Verbindung mit dem Magic Keyboard meinen Laptop immer noch nicht ersetzen. Dabei geht es um Details, die aber entscheidend sind, weil sie mich gegen eine Wand laufen lassen. Es gibt macOS-Apps, die in der iOS- oder iPadOS-Welt noch keine Entsprechung haben. So lange muss ich zweigleisig fahren. Leider. Vielleicht ist das aber auch ganz gut so: Zwei Welten sind besser als eine. Bis der ARM-basierte Mac kommt und iOS und macOS miteinander verschmelzen. Das könnte nächstes Jahr sein oder auch erst 2025 – wer weiß das schon. Was ich hingegen weiß ist, dass mir das iPad Pro dank des Magic Keyboards noch mehr ans Herz gewachsen ist. Computerliebe? Volle Kanne. Natürlich bleiben Fragen offen. Warum ist das Magic Keyboard mit dem eingestanzten Apple-Logo quasi per default auf den Querformat-Einsatz geeicht? Warum sind dann die FaceTime/Videotelefonie-Kameras nach wie vor nur noch sinnvoll im Hochformat nutzbar, was zu abstrusen Konstruktionen auf dem Schreibtisch führt? Das iPad Pro war fertig, bevor COVID-19 zugeschlagen hat. 2021 – spätestens – gibt es hoffentlich die Antwort von Apple. Mit einem iPad Pro, das in noch mehr Details der Einsatzweise eines Laptops entspricht.
Sent from my iPad