Review: Apple iPad Pro (2024)Mikrosklaven
27.6.2024 • Technik & Wissen – Text & Fotos: Thaddeus HerrmannOLED-Display, der schnellste Prozessor der Apple-Geschichte, ein neuer Pencil, ein neues Keyboard: Auf dem Papier lesen sich die Features des neuen Apple iPad Pro wie ein auf der Überholspur des technischen Fortschritts geschriebener Liebesbrief an die Zukunft. Aber hat man in Cupertino auch die nötigen To-Dos abgearbeitet oder ist sie zumindest angegangen? Thaddeus Herrmann liest erstmal Douglas Coupland und zäumt die Tablet-Geschichte von hinten auf.
Ich räumte kürzlich – aus Gründen – mein Schlafzimmer um. Dabei musste auch das unkaputtbare Expedit, das mir seit über 20 Jahren als Bibliotheks-Regal gute Dienste leistet, entleert, entstaubt und an einer anderen Wand neu befüllt werden. Während dieser Aktion fasste ich einen Entschluss. Mich für eine Zeit weniger um die aktuellen Debatten meiner angestammten journalistischen Nischen zu kümmern, sondern vielmehr eine Art Reise in die Vergangenheit anzutreten und die Werke von Autor:innen, die mir einst viel bedeuteten, mich vermeintlich in meinem Denken geprägt haben, einem Reality-Check zu unterziehen. Nach wenigen Tagen wurde mir klar, dass ich mich mit Paul Auster frühestens nach meinem Renteneintritt wieder beschäftigen möchte. So sehr ich es auch genoss, die US-amerikanischen Erstausgaben im Rough Cut mit meinen Fingern zu erfühlen, so schwer erschien mir der Stil des kürzlich verstorbenen Autors. Das Existenzielle muss nicht mit so viel Gravitas daherkommen. Hängengeblieben bin ich schließlich nur drei Expedit-Fächer weiter: Meine Sammlung von Douglas Coupland ist fast lückenlos. Und weil ich nun mal ein Technology-Sucker bin, lese ich aktuell „Microserfs“ – „Mikrosklaven“ – erneut, knapp 30 Jahre nach der Veröffentlichung.
„Microserfs“ ist Couplands Microsoft-Roman, in dem er erst vom MS-Campus in Redmond und später von einem Start-up im Valley darüber berichtet, wie sich das in der heute als Epoche der „digitalen Disruption“ bezeichnete Leben anfühlte. Episodenhaft, schlaglichtartig. Persönlich. Erzählt und beobachtet aus der Perspektive von Charakteren, denen all das vielleicht nicht normal vorkam, aber zumindest angemessen. Ganz nebenbei erfand Coupland in diesem Roman auch Minecraft.
Mir gefällt diese Herangehensweise. Auch 30 Jahre später kann ich mich ganz easy dazu zu verhalten. Meinen ersten Mac kaufte ich wohl kurz vor der Veröffentlichung des Romans. Und wenn ich ehrlich bin, denke ich seitdem darüber nach, was das eigentlich ist oder sein soll – der Computer. Zum Glück nicht kontinuierlich, aber doch immer wieder. Diese Frage, diese Debatte ist zeitlos. Wird unter vielleicht minimal anderen Bedingungen geführt, aber immer mit den gleichen Konsequenzen.
Coupland schrieb 1995: „Microsoft at Work (Digital Office) is sexiest at the moment. Fortune 500 companies are drooling over DO because it'll allow them to downsize millions of employees. Basically DO allows you to operate your fax, phone, copier––all of your office stuff––from your PC.“
Eine andere Epoche, die gleichen Fragen. Fax oder KI, Telefon oder ChatGPT, Kopierer oder LLM: Technologischer Fortschritt befeuert Begehrlichkeiten, stellt den Status Quo infrage und ebnet Innovationen den Weg, die manchmal erst Fragezeichen und schließlich irgendwann – hoffentlich – im Mainstream nickende Ausrufezeichen ernten.
Bei der einen oder dem anderen kam vielleicht gerade im Kopf eine notification rein, als ich die Frage stellte, was ein Computer eigentlich sei. Richtig. Apple selbst münzte das 2018 in einen Werbe-Claim für eine Kampagne zum iPad Pro um, zeigte in den Clips das easy life mit einem Tablet aus Cupertino. Ein bisschen dies, ein wenig das, multidisziplinär, natürlich kreativ, gut gelaunt und beseelt von kalifornischer Leichtigkeit, die am besten mit kategorisch-naivem Vertrauen in den technischen Fortschritt beschrieben werden kann. Wenn das doch alles wirklich nur so einfach sein würde.
2025 wird Apples iPad Pro zehn Jahre alt. Seitdem stickere ich diese Produktkategorie regelmäßig mit neuen Fragezeichen. 2015 resümierte ich über das erste Modell nach allem Abwägen der Pros und Cons des gigantischen 13"-Tablets und seiner (noch nicht eingelösten) Versprechen: „Bis es soweit ist, bleibt das große Pro-Tablet eine brillante, aber auch teure Medien-Maschine und ein mehr als gutes Tool für die kreative Nische, die Bock auf das Digitale hat. Und mit der Nische kennt sich Apple traditionell ja aus.“ Irre, wie sich dieses „Ja, aber“ durch die Jahre und meine Reviews zog und zieht. Ob klein, mit neuem Pencil, neuem Design und USB-C, überarbeitetem Keyboard-Dock und weiterem Finetuning: Das iPad Pro ist und bleibt ein merkwürdiges Gerät. Will sagen: Das obligatorische Fragezeichen, das in der technischen Evolution oft unvermeidbar ist, konnte immer noch nicht durch ein beherztes Ausrufezeichen ersetzt werden. Natürlich ist das iPad Pro immer noch ein fantastisches Gerät für den Medienkonsum – heutzutage noch viel mehr als vor einer knappen Dekade: sympathisch durch und durch, auf dem Papier fast unfassbar mächtig, bestens ausgestattet und dank iPadOS im Alltag einen ganzen Ticken freundlicher als ein MacBook mit seinem ebenfalls sehr freundlich daherkommenden macOS. Ein iPad Pro ist seit Jahren mein daily driver im Büro und Alltag. So gut es eben geht. Bis der Punkt erreicht ist, an dem ich zum MacBook zurück muss. Weil dies nicht geht, jenes nicht vorgesehen oder wieder etwas anderes einfach unmöglich ist. Auch wenn seit 2015 sehr viel vorangegangen ist, bleibt das frustrierend. Das ist auch – erwartbarer Spoiler – 2024 so. Dabei machen die diesjährigen Modelle technisch erneut einen fast unfassbaren Sprung nach vorn. Das Problem ist nur: Dort vorn ist erneut nicht genug, um diesen Sprung abfedern zu können. Oder wie Coupland sagen würde, bzw. schrieb: „It's so permanent, it's frightening.“ Vielleicht ist es auch einfach nur meine ganz persönliche Lebenslüge, dass das iPad Pro jemals mein daily driver sein wird.
In den 2024er-Pro-Tablets arbeitet der M4-Prozessor – Apples bislang schnellster Prozessor, der Stand heute noch nicht in Laptops und Desktops zum Einsatz kommt.
Vieles neu, vieles anders
2023 gab es keine Überarbeitung des iPad Pro. Heuer, 2024, haut man bei Apple also raus. Das Tablet selbst gibt es weiterhin in den bekannten Größen, 11" und 13". Doch beide Geräte sind deutlich dünner (okay, warum nicht), vor allem aber auch spürbar leichter (schon interessanter) als die vergangenen Versionen. Die Displays sind nun OLED-Panels, das Keyboard-Dock zumindest zum Teil aus Aluminium, die Webcam sitzt endlich auf der horizontalen Seite, führt also bei Videokonferenzen zu keinen „Schau mir doch in die Augen“-Witzen mehr. Und weil der Pencil mehr kann, heißt er nun Pencil Pro. Ganz nebenbei arbeitet in den 2024er-Pro-Tablets der M4-Prozessor – Apples bislang schnellster Prozessor, der Stand heute noch nicht in Laptops und Desktops zum Einsatz kommt. Nanotexturglas für matte Darstellung gibt es als Option ebenfalls.
Für diesen Testbericht beschäftige ich mich mit dem kleineren 11"-Modell. Ein Novum für mich in der iPad-Pro-Historie. Pro bedeutet für mich vor allem groß. 11" ist was für Couch. Auf der es sich natürlich auch produktiv oder kreativ arbeiten lässt, in meinem Fall aber doch eher YouTube, E-Book oder Film-Streaming bedeutet. Wie also schlägt sich das „Kleine“ im produktiven Alltag? Und wie nützlich sind die Neuerungen wirklich?
Technische Geräte, die uns im Alltag nicht nur begleiten, sondern auch regelmäßig bewegt und mitgenommen werden, leichter und dünner zu machen – das ist ja eigentlich ein No-Brainer. 446 Gramm wiegt das neue 11"-Modell – rund 25 Gramm weniger als sein Vorgänger. Statt 5,9 mm ist es nun nur noch 5,3 mm dick (das große Modell ist mit 5,1 mm sogar das dünnste Geräte, das Apple je gebaut hat). Schon mal sehr gut. Denn gerade das kleine Modell soll auch auf der Couch gute Dienste leisten, und wenn man lungert und das Tablet in einer Hand hält, darf die Ermüdung derselben gerne später einsetzen. Bei den iPads wird jedoch schon seit Jahren kritisiert, dass es immer nur diese Art von Verbesserungen gibt. Verbesserungen, die von einigen gar nicht so empfunden werden – von denen nämlich, die sich eher eine deutlich längere Akkulaufzeit von den Tablets wünschen und dafür auch ein wenig mehr Gewicht und ein „dickeres“ Gehäuse in Kauf nehmen würden. Fakt ist, dass Apple seine iPads seit dem Start der Produktkategorie 2010 mit „10 Stunden Laufzeit“ bewirbt, das der ganztäglichen Nutzung entsprechen soll. Dass hier nichts vorangeht, ist schon bemerkenswert – aber tatsächlich keine Debatte, an der ich mich beteiligen möchte. Neue Features sind regelmäßig dazugekommen, die Prozessoren wurden dabei nicht nur schneller, sondern eben auch energieeffizienter. Und wer zehn Stunden kontinuierlich an einem Tablet arbeitet und dabei nicht einmal sporadisch in der Nähe einer Steckdose ist, dem kann vielleicht eh nicht mehr geholfen werden.
Guckst du
Die vielleicht wichtigste Neuerung der 2024er Pro-Tablets ist das OLED-Display. Bei Apple hat man sich mit der Umstellung sehr viel Zeit gelassen. Wir kennen das von den iPhones. Das iPhone x war 2017 das erste Gerät überhaupt, bei dem diese Bildschirmtechnik verbaut wurde, ganz langsam erfolgte danach der Rollout. Apple ist manchmal schon eine sehr konservative Bude, wenn es um die Integration neuer(er) Technologien geht. Dass es bei den iPads bis 2024 gedauert hat, ist eigentlich Stoff für eine Kurzgeschichte von Coupland, der, da bin ich mir sicher, zahlreiche Unterhaltungen der Ingenieur:innen am water cooler zu diesem Thema borderlinen könnte.
Das ist nicht OLED-la-la, sondern OLED-oh-la-la!
Tatsächlich hat sich das Warten aber gelohnt, um mal ganz tief in die Phrasen-Tüte zu greifen. Apple setzt auf das „Tandem OLED“-Design. Das bedeutet, das zwei Displays übereinander liegen und gemeinsam für Farbtiefe, -werte und vor allem für die beeindruckende Helligkeit sorgen: 1.600 Nits im absoluten Maximum bei Videos und Bildern in HDR, 1.000 Nits für das gesamte Display. Kontrastverhältnis 2.000,000:1. Mit meinen nicht mehr wirklich guten Augen weiß ich das sehr zu schätzen. iPads hatten eigentlich immer gute Displays, die Pro-Modelle sowieso. Nun kann ich auch in der Tablet-Kategorie nicht mehr zurück. Einmal OLED, immer OLED sagt man ja – das iPhone hat es vorgemacht. Der Bildschirm des 2024er iPad Pro ist gigantisch gut. Nicht nur OLED-la-la, sondern vielmehr OLED-oh-la-la. Es ist ja Sommer, und auch bei strahlendem Sonnenschein bereitet das Display in der freien Wildbahn keinerlei Darstellungsprobleme. Und wenn es Nacht wird und YouTube oder ein Streaming-Dienst mit Bewegtbild das Schlafzimmer zum Kino macht, sind die Farben unfassbar prächtig. Das ist schon deep.
Rechenschieber M4
In Berlin fährt die Straßenbahn M4 vom Apple Store am Hackeschen Markt nach Hohenschönhausen, im Apple Park in Cupertino ist der M4 der aktuelle Meilenstein der hauseigenen SoC-Entwicklung. Warum dieser Prozessor tatsächlich in einem iPad debütiert und nicht etwa in einem MacBook oder gar einem Mac Studio oder Mac Pro, scheint tatsächlich mit den Tandem-OLED-Displays zu tun zu haben. Um diese Bildschirme anzutreiben, braucht es Hardware-seitig Bedingungen, die die bisherigen Apple-Prozessoren schlicht nicht erfüllen. Häkchen hinter. Ich war im Umgang mit einem iPad im Allgemeinen oder beim Arbeiten im Besonderen noch nie mit der Situation konfrontiert, dass die Hardware das, was ich tue oder will, nicht problemlos durchführen konnte. Ich schneide aber auch keine Spielfilme auf iPads. Ich schneide überhaupt keine Spielfilme. Und bin ein bisschen müde darüber geworden, dass diese Fähigkeiten immer wieder als Benchmark hergenommen werden – wünsche aber allen Cutter:innen viel Freude mit der neuen Version von Final Cut. Logic wurde zum Launch der neuen iPads ebenfalls überarbeitet.
Abseits des Produkt-Marketings – unerlässlich, klar – halte ich das theoretisch Machbare mit Apps dieser Klasse (dazu zählen auch die zahlreichen Grafik-, 3D- und Animations-Apps – beeindruckende Möglichkeiten, gar keine Frage) auch nicht für wirklich zitierfähig. Das ist Nische. Und auch, wenn ich mich oben selbst mit dem Sager „Und mit der Nische kennt sich Apple traditionell ja aus“ zitiere: Apple designt und plant schon lange nicht mehr für eben diese Nische. Apple baut Geräte für dich und mich, die Masse, den Mainstream in all seinen Abstufungen. Vom reinen Performance-Zuwachs abgesehen, den ich vielleicht wirklich spüren würde, wenn Slack die GUI auf 3D umstellen würde (Gott bewahre!), verstehe ich den M4 eher als Investition in die Zukunft. Denn wenn man bei Apple mit der KI, also der Apple Intelligence, wirklich ernst macht – das war die Message der kürzlich absolvierten Entwicklungskonferenz – und die Features irgendwann EU-konform auch nach Europa kommen werden, dann zählt in den kommenden Jahren jedes Bit. Und die Neural Engine des M4 hat 16 Kerne. Wer richtig investiert beim neuen iPad, sich also ein Modell mit 1TB oder 2TB Speicher gönnt, bekommt nicht nur 16 GB RAM (statt 8 GB bei den kleineren Modellen), sondern auch einen Performance-Kern mehr. Das kann bei ChatGPT und Co. nur helfen. Kostet natürlich auch richtig viel Geld. Aber dazu später mehr.
Ein Stift namens Pro
Von Beginn der iPad-Pro-Geschichte an war der Apple Pencil Teil des Storytellings und Funktionsumfangs. Das Zubehör-Teil ermöglicht das handschriftliche Schreiben auf dem Display in Apps. Von Anmerkungen und Notizen über Zeichnen und Malen bis zur Steuerung von Apps und Interface und digitalen Unterschriften. Mit den Jahren profitierten auch Nicht-Pro-Modelle vom Apple Pencil. Dass dies eigentlich zwangsläufig zu einem mittleren Kuddelmuddel führen musste, zeigt das aktuelle Line-up mit vier unterschiedlichen Modellen. Neu ist der Pencil Pro, der ausschließlich an den 2024er-Modellen der Pro- und Air-iPads funktioniert. Das hat vor allem technische Gründe, die mit der überfälligen Entscheidung Apples zusammen hängen, die FaceTime-Kamera auf der horizontalen Seite des Rahmens zu positionieren. Genau darüber nämlich wird der Pencil Pro magnetisch gehalten und auch geladen. Die Platzierung der Magnete links und rechts von der Kamera erforderten auch ein neues internes Design des Stiftes. Der Pencil Pro ist damit Apples erster digitaler Stift, der sich an gewohnter Stelle anflanschen lässt und sich mit der Kamera versteht. Der Apple Pencil (USB-C), der vergangenes Jahr mit dem „regulären“ iPad vorgestellt wurde, das ebenfalls die neue Kameraposition hat, muss tatsächlich mit Kabel geladen werden.
Der Pencil Pro hat erstmals einen kleinen Vibrationsmotor für haptisches Feedback (sehr gut), lässt sich für bestimmte Funktionen einfach drücken (konfigurierbar, ebenfalls sehr gut) und emuliert per „Barrel Roll“ unterschiedliche Druck- und Seitenpositionen eines Pinsels oder Stiftes – für dickere oder dünnere, präzisere oder satte Striche. Das alles funktioniert mehr als überzeugend und ist ein Strauß gern genommener Features – ich wünschte nur, ich könnte sie wirklich wertschätzen. Stifte passen mehr als gut in meinen tagtäglichen Workflow, Kugelschreiber und Notizbuch kann mein Gehirn nicht ersetzen. Es fällt mir schwer, auf Glas zu schreiben. Auch wenn das mit allen Apple Pencils für mich besser funktioniert, als mit anderen Pens anderer Hersteller auf anderen Tablets. Und weil ich nun mal kein Illustrator bin, keine Animationen baue und ich handschriftliche Notizen and PDFs lieber dem mittleren Management überlasse, bin ich mit dem grundlegenden Konzept eines digitalen Stifts nie wirklich warm geworden. Schreiben ist für mich Tastatur oder Papier. Das mag oldschool sein, ich habe aber in der Vergangenheit gelernt, dass es nicht immer ratsam ist, alle Neuerungen mit offenen Armen zu empfangen und zu adaptieren. Meine diversen Lernkurven sind jeden Tag steil genug. Darum ist es gut möglich, dass ich den Pencil Pro irgendwann buchstäblich aus den Augen verlieren werde. Sehr gut, dass sich der Stift nun über „Wo ist“ wiederfinden lässt.
Ich bin der Journalist mit Schreibmaschine in der Hand
Umso glücklicher bin ich hingegen, dass man sich bei Apple dazu entschieden hat, das Magic Keyboard zu überarbeiten. Das iPad Pro ist für mich Laptop-Ersatz, wo immer es geht. Und ein Laptop braucht eine Tastatur. 2020 platze das Magic Keyboard in seinem heutigen Design mitten in die Pandemie – und verwandelte das iPad pro tatsächlich in eine Art MacBook – mit toller Tastatur, einem großzügigen Trackpad und einer Konstruktion, die zwar ein wenig wild aussieht, mir tatsächlich aber nie Probleme bereitet hat. Doch das teure Stück Zubehör hatte zwei Schwachstellen: fehlende Funktionstasten (es gibt ein ganzes paralleles Internet nur zum Thema der fehlenden Escape-Taste) und die generelle Bauweise, bzw. der verwendete Kunststoff, der nach einigen Monaten heftiger Benutzung einfach nicht mehr besonders gut aussieht. Die neue Version verfügt endlich über Funktionstasten. Die Oberschale rund um die Tasten ist aus Aluminium, was sich deutlich besser anfühlt als der Kunststoff früherer Iterationen. Und das Trackpad liefert nun ähnlich wie beim Mac haptisches Feedback. Einigen Reviewer:innen ist dies zu zahm, mir läuft es gut rein. Gewöhnt hatte ich mich an die neue Tastatur in nur wenigen Minuten. Was schon beeindruckend ist, denn immerhin wechselte ich von einem 13"- zu einem 11"-Modell. Nichts fühlt sich gestaucht oder fehl am Platz an. Leider ist diese Magic-Keyboard-Version nur mit den 2024er-Pro-Modellen kompatibel. Andersherum formuliert: Die bisherigen Modelle, die es aufgrund der anderen Bauweise der Modelle gibt und geben muss, wurden nicht mit den neuen Features ausgestattet.
Neben einem sehr guten Display (check!) ist mir eine sehr gute Tastatur am wichtigsten bei einem iPad. Ich weiß, dass das eigentlich wenig Sinn macht und ich mit diesen Anforderungen eher einer Minderheit angehöre. Aber es sind genau diese produktentwicklerischen Punktlandungen, die mir immer wieder erklären, warum ich so gerne Apple-Produkte verwende.
Die Welt ist 11" breit
Mit iPads im 11"-Format – dem Standard der Apple-Tablets – kenne ich mich gut aus. „Es liegen welche rum“ bei mir und freuen sich hoffentlich, dass sie oft genug weich gebettet auf der Couch oder dem Bett auf ihren Einsatz warten. Bislang mussten die slates in dieser Größe sehr selten bis nie für irgendetwas Produktives herhalten. Zwischen Safari, YouTube, AppleTV+, der Kindle-App und wirklich sehr wenigen Mails und Slack-Nachrichten leben sie entspannt. Tatsächlich ist ein viele Jahre altes iPad Air mein Radio, das ich morgens vom Bett in die Küche ins Bad und wieder zurück in die Küche trage und dabei DLF höre. Eine Produktivmaschine in dieser Größe? Mit brillantem, aber doch vergleichsweise kleinem Display? Ich bin mir auch nach mehreren Wochen nicht ganz sicher, wie sinnvoll das wirklich für mich ist. Die Gründe dafür habe ich hoffentlich hinreichend in diesem Text erläutert. Ich wünsche mir den größtmöglichen Mix aus Portabilität und Display. Und diese Anforderungen erfüllt ein 13"-iPad in meinem Fall dann eben besser. Aber: Dank der viel besser gewordenen Konnektivität der iPad Pros mit externen Displays und dem viel gescholtenen Stage Manager, ist das vielleicht gar nicht das eigentliche Problem. Wer sich ein iPad Pro als alleinigen Computer kauft, muss sich vieler Probleme gewahr sein. Die gehen teils auf Apples Kappe (Umgang mit Downloads, Dateien, Multitasking), sind teils aber auch auf Entwickler:innen zurückzuführen, die an bestimmten Stellen einfach nicht mitspielen wollen. Das ist ein alter Kampf auf einem neuen Gerät. Looking at you, Google, um nur ein Beispiel zu bemühen.
Ich verstehe, warum eine Pro-Machine in 11" für ganz bestimmte Zielgruppen die perfekte Lösung sein mag. Letztlich frage ich mich aber, ob es die in diesem Formfaktor wirklich braucht. Zwei Zoll mehr Display machen in dieser Größenordnung einen riesigen Unterschied, und gerade wenn es um kreative Arbeite oder Unternehmungen geht, ist das doch sicher mehr als gewünscht. Kleines Tablet, ganz groß? Natürlich. Davon abgesehen, dass die Pro-Tablets sowieso unfassbar teuer sind – allein das sollte schon ein schlagendes Argument sein, wenn es darum geht, sich zwischen MacBook und iPad zu entscheiden, ist genau dieses iPad ein merkwürdig anmutendes Flaggschiff einer Produktkategorie, deren Flaggschiff-Einsatzgebiete entweder noch nicht ausgemacht oder eben nicht in der Flaggschiff-Liga angesiedelt sind.
Das klingt ein wenig Destroyer-mäßig, ist aber gar nicht so gemeint. Ich mag dieses iPad sehr. Das Display, das neue Keyboard, die Webcam am richtigen Ort mit Center Stage – all das ist großartig. Von der Performance ganz zu schweigen. Eigentlich ist es ja so: Das iPad Pro verhält sich genau so, wie sich ein Computer seit seiner Erfindung – auf wann auch immer wir die terminieren wollen – verhalten sollte. Freundlich, hilfreich, farbenfroh, kraftvoll. Wenn man sich bei Apple doch nur dazu durchringen würde, diese Eigenschaften nachvollziehbar für alle Einsatzgebiete zu öffnen. Die interne Distinktionsdebatte „iPadOS vs macOS“ in der iCloud erst zu archivieren und dann schnell zu vergessen. Für den Moment bleiben wir auf dem iPad Pro die „Microserfs“. Das kann eigentlich nicht im Interesse Apples sein. Ebensowenig die Möglichkeit, dass – sollte Douglas Coupland nach „Microserfs“ und „JPod“ die Geschichten des IT-Alltags zu einer Trilogie auszubauen – „iPad Pro Trivia“ als Kategorie zu den allabendlichen Jeopardy-Runden der Hausgemeinschaft hinzufügt. Als Artefakt einer längst vergangenen Zeit, an die man irgendwie gute Erinnerungen hat, der man aber auch nicht wirklich nachweint.