„Meine Arbeit bleibt unter dem Radar“Interview: Der Storyboard-Artist Kurt van der Basch erweckt Filme zum Leben
18.2.2019 • Film – Interview & Fotos: Thaddeus HerrmannEr hat für „Star Wars“ gezeichnet, für „Jurassic World 2“, „Borgia“, „Assassin’s Creed“, „Sense8“ und „Everything Is Illuminated“ – und doch kennen Kurt van der Basch nur Kino- und TV-Insider. Dabei sitzt der gebürtige Kanadier mit seiner Kunst an einer kritischen und wichtigen Schnittstelle einer jeden Film-Produktion. Er ist der erste, der das Drehbuch visualisiert, dem Text bildliches Leben einhaucht und so gemeinsam mit Regie und Kamera über die Blickwinkel und Perspektiven beim Dreh entscheidet. Unter Zeitdruck entsteht so eine Art Comic dessen, was wir später als Film sehen. Mittlerweile arbeitet van der Basch – genau wie viele anderen Zeichner und Illustratoren – nur noch digital, mit einem iPad Pro. Auch bei seinem aktuellem Projekt, der dritten Staffel von „Babylon Berlin“. Thaddeus Herrmann hat dem Storyboarder beim täglichen Meeting mit Regisseur Tom Tykwer über die Schulter geschaut.
Wenn dieser Tage die roten Teppiche auf der Berlinale wieder eingerollt werden, haben all diejenigen ihre Schuhabdrücke darauf hinterlassen, die man zuerst mit einem Film assoziiert – die Schauspieler*innen natürlich, Regisseur*innen, vielleicht noch die Kamerafrauen und -männer, wenn sie denn berühmt genug sind. Aber: Um einen Film oder eine große TV-Serie hinzustellen, braucht es viel mehr kreativen Input, als auf den Plakaten Platz für Credits ist. Logisch irgendwie, dennoch macht man sich darüber viel zu wenig Gedanken. Wer sind diese Menschen, mit deren Vorstellungskraft und Ideenreichtum Filme überhaupt möglich werden, und über die dennoch so gut wie nie gesprochen wird?
Am Anfang des Bildes steht das Buch. Zwei per Definition eigentlich konträre, höchstens komplementäre Medien, die bei Film- und TV-Produktionen zwingend aufeinander angewiesen sind. Nur wenn der Text punktgenau visualisiert wird, entsteht etwas Großes. Gutes Buch gleich guter Film? Diese Rechnung ist zu einfach. Damit die Rechnung aber trotzdem aufgeht, braucht es Menschen wie Kurt van der Basch – Storyboarder. Sie sind die ersten im Produktionsprozess überhaupt, die Szenen und Einstellungen des Scripts verbildlichen und dem Film visuelles Leben einhauchen. Meistens in Schwarz-Weiß, grob skizziert, flüchtig hingescribbelt. Und doch legen diese textfreien Comics bereits Perspektiven und Blickwinkel fest, mit denen später am Set Szenen und Einstellungen abgedreht werden. Sie sind Orientierungshilfe für die Regisseur*innen und wichtiger Anhaltspunkt für alle anderen Beteiligten im knallhart durchgetakteten und budgetierten Dreh-Alltag. Van der Basch zeichnet am laufenden Meter, oft unter Zeitdruck, wohl wissend, dass sich so gut wie niemand mehr für seine Bilder am Ende eines Drehtages interessiert – dann zählen nur noch die Entwürfe für morgen, wenn alles wieder von vorne beginnt. Wie kann man sich als kreativer Mensch mit solchen Bedingungen arrangieren? Manchmal sei das schon frustrierend, sagt er. Keine Überraschung. Der alte Spruch „Ist das Kunst oder kann das weg?“ – hier gilt er ganz faktisch. Den Job macht er aber seit nunmehr rund 15 Jahren.
Ich treffe Kurt van der Basch in Berlin-Mitte. Hier, in diesem Streifen Niemandsland zwischen Bahnhof Friedrichstraße, Reichstag und Bundestagsverwaltung, hat das Team von Babylon Berlin sein Produktionsbüro aufgeschlagen. Regisseur Tom Tykwer hat ihn verpflichtet, an der nächsten Staffel der TV-Serie mitzuarbeiten. Wieder mitzuarbeiten, denn auch die vorhergehenden Teile hat er für die Crew gezeichnet. Kurt sitzt an seinem iPad Pro und bereitet sein tägliches Treffen mit Tykwer vor, in dem die beiden die letzten Storyboards durchgehen und gemeinsam finalisieren. Neben dem Apple-Tablet liegen ein paar Matchbox-Autos und Spielfiguren. „Machmal sitzen wir hier und entwickeln mit den Modellen die besten Perspektiven“, sagt er. Das passt ins Bild. Denn den Schritt ins Digitale ist van der Basch erst sehr spät gegangen.
„Gezeichnet habe ich schon als Kind. Als Teenager entdeckte ich dann die Musik und nahm das sehr ernst. So ernst, dass ich es sogar studierte. Mittendrin im Studium jedoch merkte ich, dass mir das Zeichnen einfach leichter fiel und ich diese Kunst besser beherrschte. Ich war mit dem Stift schlicht besser. Ich zog dann nach Prag, wollte Maler werden. Einige Wochen später bekam ich einen Job bei einer Filmproduktion. Nichts Besonderes, ich war ein typischer Runner, der alles und nichts machte, aber immerhin schon im Art Department. Mir gefiel die Arbeit, ich schaute mir einige Abteilungen genauer an und blieb schließlich beim Storyboarding hängen. Die Anforderungen entsprachen am ehesten meinen Begabungen: Ich kann schnell zeichnen und verstehe, worauf es beim Storytelling ankommt. Es geht bei einem Storyboard nicht um Schönheit und Details, sondern um Klarheit.“
Das ist kein Conversation-Starter in der Bar. Wenn du dort jemanden triffst: Was sagst du, wenn man dich nach deinem Job fragt?
Ich mache Zeichnungen von jeder Einstellung eines Films. Die etwas längere Version ist: Regisseure haben Einstellungen im Kopf, die sie der Crew erklären müssen, damit alle wissen, wie die Szene gedreht werden soll. Nimm unser Gespräch als Beispiel: Es gibt zig verschiedene Möglichkeiten, wie wir das drehen könnten. Die Kamera könnte hinter dem Fenster positioniert sein. Oder aus einer anderen Totalen filmen. Wir könnten auch den Klassiker wählen und mit zwei Schulterkameras arbeiten, so dass wir beide abwechselnd zu sehen sind. Das sind Entscheidungen, die die Regie trifft. Unterschiedliche Einstellungen haben ja auch eine ganz bestimmte psychologische Wirkung. Ist unsere Gesprächssituation ein klassisches Interview? Ein Verhör? Ein Vorstellungsgespräch? Das muss die Kamera abbilden. Der Regisseur beschreibt mir die Szene und ich mache parallel verschiedene Zeichnungen. Willst du es so? Oder so? In diesem Moment konkretisiert sich die Szene bereits. Der Regisseur sagt: Oh nein, ich will näher an das Gesicht ran, ich brauche da mehr Spannung. Diese Dinge arbeiten wir gemeinsam aus. Je nach Budget verfeinere ich die Zeichnungen dann noch ein bisschen, in der Regel ist dafür aber keine Zeit. Gerade bei einer Produktion wie Babylon Berlin, bei der es viele Action-Szenen mit Perspektivwechseln gibt, bleiben meine Zeichnungen eher roh. An diese Arbeitsweise musste ich mich auch erst gewöhnen.
Ich darf nicht zu detailverliebt sein, es muss nicht perfekt sein. Und die besten Zeichnungen gehören sowieso oft zu Szenen, die am Ende rausgeschnitten werden.
Du musst also auf Knopfdruck nicht nur kreativ, sondern auch sehr anpassungsfähig sein.
Absolut. Jeder Regisseur ist ja auch anders. Viele, auch Tom Tykwer, freuen sich über meinen Input, und ab und zu füge ich Zeichnungen hinzu, die nach meiner Vorstellung gut in die Szene passen, auch wenn wir die vorher gar nicht besprochen haben. Andere Regisseure wiederum wollen das gar nicht. Von denen bekomme ich eine Liste, die ich zu zeichnen habe. Auch das kann interessant sein, weil ich so das „visuelle Vokabular“ des Regisseurs genau kennenlerne. Aber der Austausch ist schon besser. Deshalb fühle ich mich hier bei dieser Produktion auch sehr wohl. Tom hat einerseits eine sehr besondere Bildsprache, will sich aber andererseits auch immer wieder mit mir und dem Kameramann besprechen und gemeinsam Dinge entwickeln.
„Ich muss mir darüber im Klaren sein, dass das, was ich tue, weggeschmissen wird, wenn die Szene gedreht ist.“
Dinge, die die breite Öffentlichkeit so gar nicht wahrnimmt. Ein anspruchsvoller und wichtiger Job, der nur hinter den Kulissen wertgeschätzt wird.
Das kann manchmal sehr frustrierend sein. Ich bin eben kein Comic-Zeichner, dessen Werke gedruckt werden. Nur wenige Menschen interessieren sich für meine Arbeit, das sind schon eher die Nerds. Dazu kommt, dass die Zeichnungen oft auch nicht veröffentlicht werden dürfen. Aber: Es kommt immer auf das jeweilige Projekt an. Manchmal arbeite auch nicht vor Ort, sondern von zu Hause und kommuniziere nur per Mail oder am Telefon. Auch das ist mitunter schwierig. Im vergangenen Jahr habe ich für ein wirklich richtig großes Franchise gearbeitet. Ich hatte mich eigentlich sehr gefreut, es wurde dann aber zu einem sehr anonymen Job. Ich bekam nicht mal inhaltliches Feedback zu meinen Zeichnungen, nur jeden Morgen eine E-Mail mit dem Abschnitt des Drehbuchs, das ich abzuarbeiten hatte. Aber ja: Egal wie gut die Qualität der Zusammenarbeit ist – meine Arbeit bleibt unter dem Radar.
Wie gehst du damit um?
Indem ich am Wochenende meine eigene Kunst mache. Das ist die einzige Möglichkeit. Ich muss mir darüber im Klaren sein, dass das, was ich tue, weggeschmissen wird, wenn die Szene gedreht ist. Ich weiß aber auch, dass auf der Basis meiner Arbeit wichtige Entscheidungen getroffen werden, sowohl künstlerische als auch monetäre.
Wie werden deine Storyboards genau eingesetzt, wer bekommt sie zu sehen?
Auch das ist sehr unterschiedlich. Natürlich wandern sie irgendwann ans Set und werden verteilt. Wer eines bekommt, hängt wiederum vom Regisseur ab. Wenn es alle gesehen haben, gilt die Szene als final, die gesamte Crew orientiert sich daran. Einigen Regisseuren ist das nicht recht, weil Änderungen in letzter Minute so eigentlich nicht mehr möglich sind. Fest steht, dass alle Abteilungen meine Zeichnungen haben wollen – der Planung willen. Die Kostümabteilung kann so entscheiden, ob doppelte Ausstattung gebraucht wird, einfach weil es vielleicht regnet. Und die Set-Designer können auf Basis des Storyboards entscheiden, ob bestimmte Dinge überhaupt gebaut werden müssen, wenn sie die Auswahl der Einstellungen sehen. Das spart wieder Geld. Und ohne ein Storyboard lassen sich Special Effects heutzutage praktisch gar nicht mehr umsetzen. Die Regieassistenz nutzt das Storyboard außerdem dazu, eine Reihe von Einstellungen komprimiert zu drehen, die zwar vor der gleichen Kulisse spielen, innerhalb des Films aber an ganz unterschiedlichen Punkten auftauchen. Auf all das habe ich aber keinen Einfluss mehr. Zu diesem Zeitpunkt arbeite ich bereits an ganz anderen Szenen oder am nächsten Projekt.
Du zeichnest seit deiner Kindheit, hast also mit Stift und Papier angefangen. Hier sitzt du aber mit dem iPad Pro.
Ich fühlte mich manchmal ein bisschen wie ein Luddit. Viele meine Kollegen hatten den Umstieg ins Digitale bereits vollzogen oder fuhren zumindest zweigleisig. Ich wusste, ich musste das nachholen oder zumindest mal ausprobieren. Abseits von Wacom gab es zu diesem Zeitpunkt ja nichts auf dem Markt. Ich kam damit aber irgendwie nicht hin. Ich hatte das Gefühl, dass meine Zeichnungen einfach nicht so gut wurden, und das Gefühl bei der Arbeit war auch nicht das gleiche. Außerdem musste ich mit einem großen Flight Case reisen, was alles andere als praktisch war.
„Plastik auf Glas vs. Plastik auf Plastik macht für mich den Unterschied.“
Mit dem iPad Pro war alles anders. Ich kann das nicht genau identifizieren, aber ich spürte, dass meine Zeichnungen sogar besser wurden. Die Mischung aus Apple Pencil und der Glasoberfläche des Tablets funktioniert für mich. Ich weiß, dass es da auch andere Stimmen gibt, und viele diese Bildschirmfolie einsetzen, mit denen sich der Screen mehr wie Papier anfühlt – ich brauche das nicht. Plastik auf Glas vs. Plastik auf Plastik macht für mich tatsächlich einen großen Unterschied. Ich arbeite praktisch ausschließlich in der App „Procreate“. Die kostet 20 Dollar und eben nicht 20.000, die man als Künstler im Laufe der Jahre in Adobe-Produkte investiert – das ist schon fantastisch. Ich bin schneller und vor allem flexibler. Denn immer arbeite ich auch mit technischen Zeichnungen, komplexen Strukturen, die in meine Storyboards eingearbeitet werden müssen. Viele davon werden in 3D-Programmen entworfen, die ich auch auf dem iPad öffnen und auch gleich so in Szene setzen kann, wie es geplant ist, zum Beispiel mit einem Weitwinkel. Es hat aber auch noch andere Vorteile. Vorhin hatte ich ja berichtet, wie ich meine Zeichnungen immer wieder noch anpassen muss, um genau die richtige Perspektive zu treffen und das rüberzubringen, was sich die Regisseure vorstellen. Stell dir folgende Situation vor: Es gab einen Kampf, darauf folgt die Fluchtszene. Wir sehen den Bösewicht, wie er auf der Ladefläche eines LKWs abhaut. Das habe ich als Totale gezeichnet, man sieht den Laster und den Gangster gleichermaßen. Wird nun aber entschieden, dass das Gesicht des Flüchtenden im Mittelpunkt stehen soll, hätte ich früher ein neues Bild zeichnen müssen. Am iPad kann ich den Ausschnitt einfach vergrößern, so wie wir das alle am Smartphone gewohnt sind, ich ziehe das mit zwei Fingern einfach auf.
An einen alten Ludditen sei die Frage erlaubt: Hat das Digitale auch Nachteile?
Es gibt kein Original mehr, ganz einfach. Ein berühmter Kollege von mir aus England, der an vielen James-Bond-Filmen gearbeitet hat, war dafür bekannt, dass er ab und zu eine Seite herschenkte – ein echtes Kunstwerk also. Wenn mich jemand fragt, ob er eine Zeichnung aus Film XY haben kann, sage ich: Klar, ich kann dir das ausdrucken. Aber wer will schon einen Ausdruck haben? Das ist der Kompromiss unserer digitalen Welt. Wirklich schlimm finde ich das nicht. Die Vorteile überwiegen einfach in meiner täglichen Arbeit.
Du machst diesen Job jetzt schon sehr lang und gibst auch immer wieder Workshops zu diesem Thema. Welche Begabungen muss man mitbringen, um in diesem Metier Fuß zu fassen?
Naja, zeichnen können ist nicht schlecht. Tatsächlich aber auch keine zwingende Voraussetzung. Weil: Oft genug machen Regisseure ihre Storyboards einfach selbst, und die können meistens nicht zeichnen. Aber es ist dann gut genug, irgendwie. Wichtiger ist, einfach viele Filme zu schauen, um ein Gefühl dafür zu bekommen, dass die Einstellungen zueinander passen und mit welchen Standards immer wieder gearbeitet wird. Sequenzielles Denken. Werbespots sind ein sehr guter Einstieg. Die sind ja meist sehr schnell geschnitten. Zu verstehen, wie in diesem Genre Dinge dann zusammenpassen, ist sehr lehrreich. Und dann muss man an seinen Zeichnungen arbeiten.